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Peter Walger
Foto: privat

„Große Lücken im Kampf gegen Keime“

29. April 2020

Infektiologe Peter Walger über die Gefahr multiresistenter Erreger – Teil 1: Interview

engels: Herr Dr. Walger, viele Bakterien machen auf und in uns einen guten Job. Wann wird’s kritisch?

Peter Walger: Der Job findet auf den Oberflächen – Haut und Schleimhäuten – statt und dient dazu, dass andere Bakterien und Krankheitserreger nicht in uns eindringen können. Kritisch wird es immer dann, wenn diese Oberflächen verändert werden, entweder durch Hautkrankheiten, wie etwa Neurodermitis, oder Stoffwechselerkrankungen, wie etwa Diabetes mellitus. Dann verändern sich die physiologischen Bedingungen der Haut und damit die Lebensbedingungen der Bakterien. Kritisch wird es auch bei Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes, wodurch sich auch dort das bakterielle Milieu verändert.

Wer zählt besonders zur Risikogruppe bei multiresistenten Erregern (MRE)?

Vor allem betrifft es die Menschen, die wegen verschiedener Krankheiten häufiger Antibiotika einnehmen müssen oder häufiger in Krankenhäusern behandelt werden – also dort, wo beides zusammenkommt: Krankheit und Antibiotika-Therapie.

Welche Gefahr geht von sogenannten Krankenhauskeimen aus?

Die wichtigste Gefahr ist, dass sie Infektionen während des Krankenhausaufenthalts verursachen können. Operierte Patienten haben frische Wunden der Haut, dort wo ein OP-Schnitt getätigt wurde. Sie bekommen Zugänge in die Venen oder Arterien, Katheter in die Harnblase oder einen Beatmungsschlauch, um ihre Krankheit zu heilen. Das sind alles mögliche Eintrittspforten für Keime, die dann schwere Krankheiten verursachen können.

Welche Maßnahmen gibt es bereits? Was kann zusätzlich verbessert werden?

Es gibt ein umfassendes Regelwerk, wie der Patient, der diese Risiken hat, geschützt wird. Nehmen wir als Beispiel einen Gefäßzugang, eine Venenpunktion und die Anlage eines Venenkatheters. Das ist sicher das Häufigste, das Krankenhaus-Patienten bekommen. Wenn sie Medikamente über diesen Venenzugang verabreicht bekommen, gibt es dafür klare Vorgaben. Die Anlage muss unter sterilen Bedingungen erfolgen, die Haut muss an der Einstichstelle antiseptisch vorbehandelt werden, und der Arzt, der diesen Zugang legt, muss eine Schutzausrüstung tragen, zum Beispiel sterile Handschuhe oder einen Mundschutz. Das heißt, die Einstichstelle wird so vorbereitet, dass sie weitgehend bakterienfrei ist. Während der Anlage muss verhindert werden, dass Bakterien von außen eingetragen werden. Die weiteren Regeln betreffen die Situation, wenn der Zugang liegt und benutzt wird: Es werden Medikamente gegeben, Infusionen angehängt. Das bedeutet, Ärzte und Pflegekräfte müssen mehrfach an diese Zugänge heran. Dieses Benutzen der Zugänge erfordert jedes Mal ein sorgfältiges hygienisches Verhalten, bei dem die Händedesinfektion und das Tragen von Schutzkleidung ganz entscheidende Faktoren sind. Gefäßzugänge müssen jeden Tag darauf überprüft werden, ob es Frühzeichen einer Infektion gibt, ob sie sauber verbunden sind und, ob sie überhaupt noch notwendig sind. Der tägliche Check hat mit ärztlicher Unterschrift zu erfolgen. Ein frühes Symptom für eine Infektion wäre zum Beispiel Schmerz an der Einstichstelle. Bei fehlender Notwendigkeit oder bei Infektionszeichen muss der Gefäßzugang sofort entfernt werden.

Was kann jeder Einzelne tun, um sich zu schützen?

Das hängt ein bisschen davon ab, welche Risiken dieser Patient hat. Nehmen wir einen ansonsten gesunden Menschen, der operiert wurde und mit einem frischen Operationsverband in der Klinik liegt. Dann gilt es natürlich, dass er sein Verhalten zum Beispiel nach dem Toilettengang mit Händewaschen und -desinfektion so gestaltet, dass er die Wund-Verbände und seine Gefäß-Zugänge nicht anfasst und damit einen Beitrag dazu leistet, dass diese sauber bleiben. Das ist sozusagen ein Basis-Programm der eigenen Hygiene bzw. Händehygiene. Andere Regeln betreffen den Umgang mit Besuchern, mit seinen Mitpatienten im Krankenzimmer und mit dem Verhalten im Sanitärbereich.

Kann der Patient auf ein MRSA-Screening bestehen?

Das ist gesetzlich sogar vorgeschrieben. Es besteht eine Pflicht für Krankenhäuser, nach Methicilllinresistentem Staphylococcus aureus (MRSA) bei stationärer Aufnahme zu suchen. Auch die Suche nach weiteren hochresistenten Keimen ist inzwischen eine gesetzliche Pflicht, für die sich die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) eingesetzt hat. Hierfür wird nach speziellen Risiken gefragt, zum Beispiel einem Aufenthalt in Hochrisikoländern. Der Test auf weitere hochresistente Keime erfordert einen so genannten Rektalabstrich, das heißt eine Abstrich aus dem Enddarm oder eine Stuhlprobe. Der Test auf MRSA erfordert einen Nasen-Rachenabstrich. Viele Kliniken testen alle Patienten auf MRSA, ohne speziell zu erfragen, ob der Patient ein Risiko hat oder nicht. Andere Kliniken machen einen Check nach Risikofaktoren. Beide Verfahren sind gerechtfertigt und erfolgreich, wenn sie sorgfältig angewendet werden, um die Patienten zu erkennen, die mit dem MRSA besiedelt sind.

Was können deutsche Kliniken von niederländischen lernen?

Was wir von ihnen gelernt haben, ist das Management um den MRSA. Die Niederländer haben sehr früh erkannt, systematisch nach MRSA zu suchen und Patienten zu isolieren, die von einem MRSA besiedelt sind. Dieser Keim sitzt ganz besonders in der Nase, da hat er gewissermaßen seine ökologische Nische. Von da aus kann er sich durch die Hände über den Körper verteilen. Besonders gerne besiedelt er Wunden oder andere Verletzungen der Haut. Der Keim wird auch über Mund und Nase verschluckt und erscheint so am Ausgang des Darms. Zum Glück gibt es auch ein spezielles Konzept, ihn zu beseitigen. Während dieser Eradikationsbehandlung muss sich der Patient für 5 bis 7 Tage mit einer Waschlotion täglich einer Ganzkörper- und einer Haarwäsche unterziehen, die so den Keim beseitigt. In die Nase schmiert sich der Patient mehrfach eine Salbe, die den MRSA dort abtötet. In dieser Kombination gelingt es, diesen Keim bei den meisten Patienten zu eliminieren. Inzwischen sind wir in Deutschland damit ganz erfolgreich. Binnen 10 Jahren konnten wir so mehr als eine Halbierung der MRSA-Raten erreichen. Er befindet sich weiterhin im Sinkflug, ist aber nach wie vor der dominante Krankenhaus-Keim. Ein sehr gefährlicher noch dazu, der schwere Infektionen hervorrufen kann.

Wie hängt die Humanmedizin mit der Tiermedizin zusammen, in punkto MRE?

Durch den massenhaften Einsatz von Antibiotika erzeugen wir in der Tiermedizin resistente Keime, die dann in der Humanmedizin eine Rolle spielen. Der bekannteste ist der MRSA. Bei vielen Menschen, die zum Beispiel in Deutschland oder in den Niederlanden in der Schweinemast arbeiten, finden wir ihn in der Nase. Letztendlich findet er so seinen Weg in die Kliniken und verursacht dort Infektionen. Über eine genaue Identifizierung der Keime lässt sich die tierische Quelle nachverfolgen. Sie können dieselben Krankheiten beim Menschen verursachen und unterscheiden sich nicht grundsätzlich von den Vertretern aus der Humanmedizin.

Erzeugt das bereits Probleme?

In Dänemark wurde bei Hähnchenfleisch ein Keim gefunden, der auf Colistin hochresistent getestet wurde. Im Labor konnte man sehen, dass die genetische Information dieser Resistenz auf übertragbaren Genelementen gelagert war. Es handelte sich also um eine übertragbare Resistenz, die Bakterien untereinander weitergeben. Das Resistenz-Gen gegen Colistin ist somit in der Tiermast vorhanden, dort kursiert es. Resistenz gegenüber Colistin wird als maximale Bedrohung empfunden, würde sie in die Humanmedizin hinein geraten. Denn bei Colistin handelt es sich um ein extrem wichtiges Reserveantibiotikum gegen multiresistente Erreger. Es ist eines der Mittel, die in letzter Instanz noch wirken, sollten andere Antibiotika nicht anschlagen. Zuletzt gab es einen großen Ausbruch in Mecklenburg-Vorpommern im Raum Greifswald/Rostock, von dem mehrere Kliniken betroffen waren. Dort war ein multiresistenter Keim mit Colistin-Resistenz verantwortlich für den Ausbruch. Daran lässt sich ablesen, dass es nicht nur eine theoretische Bedrohung ist, sondern auch eine reale.

Kann die Sorge durch eine Ansteckung mit MRE irgendwann der Vergangenheit angehören?

Das wird sie mit Sicherheit nicht. Denn Resistenz und Multiresistenz sind nicht ausschließlich Ergebnis einer falschen Anwendung von Antibiotika, sondern ein Ergebnis jedweder Anwendung. Was die Größe des Problems anbelangt, steht es natürlich in Zusammenhang mit einer inadäquaten Anwendung. Das heißt, wir bekommen das Multiresistenz-Problem mit maximalen Anstrengungen eingedämmt, aber wir kriegen es nicht beseitigt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Alexander Flemming, den Entdecker des Penicillins. Er hat 1945 den Nobelpreis für diese Entdeckung bekommen. Genau auf diesen Umstand möglicher Resistenzbildungen hat er schon in seiner Nobelpreis-Rede aufmerksam gemacht: „Würde Penicillin nicht richtig dosiert, liefe man Gefahr, resistente Keime zu erzeugen“. Damit hat er visionär das heutige Problem beschrieben. Leider haben wir in den letzten Jahrzehnten die Antibiotika inflationär eingesetzt mit nicht korrekter Indikation, nicht korrekter Dauer und Dosis. Damit haben wir sehr viele Fehler gemacht. Und der Gradmesser dieser Fehler ist die Höhe der resistenten Keime.

Wie sieht es in Bezug auf die Entwicklung neuer Antibiotika aus?

Seit zwei Jahren listet die WHO sämtliche Studien über neue Antibiotika auf und stellt sie der wissenschaftlichen und medizinischen Öffentlichkeit zur Verfügung. Darin lässt sich ablesen, in welche Richtung die Perspektiven der wichtigsten Forschungsprojekte über neue Antibiotika gehen. Doch, wenn man sich diese Auflistung anschaut – zuletzt 2019 aktualisiert – ist man sehr ernüchtert. Es lässt sich nicht erkennen, dass in den nächsten 10 Jahren große Würfe gemacht werden. Laut WHO bleiben im Kampf gegen die wichtigen Problemkeime in den nächsten Jahren große Lücken bestehen. Es gibt zwar einzelne Antibiotika, die gegen einzelne Keime oder spezielle Resistenzen erfolgversprechend erscheinen, aber eine ganz neue Wirkstoff-Klasse, die praktisch mit einem Wurf die wichtigsten Keime beseitigen könnte, ist nicht in der Pipeline der Forschungslabors erkennbar. Daraus hat die WHO das Resümee gezogen, dass der sorgfältige Umgang mit den bisher vorhandenen Substanzen höchste Priorität hat.


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zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und choices.de/thema

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zdf.de/verbraucher/volle-kanne/multiresistente-keime-in-krankenhaeusern-100.html | Drei ZDF-Videos über multiresistente Erreger.

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Interview: Nina Hensch

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