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Im Wettlauf gegen den Keim

29. April 2020

Stehen wir vor der post-antibiotischen Ära? – Teil 1: Leitartikel

Jahrtausendelang wurde die Menschheit von Seuchen heimgesucht und stand ihnen machtlos gegenüber. Mit der Entdeckung des Penicillins im Jahr 1928 war eine Wunderwaffe gefunden. Doch gegen immer mehr bakterielle Erreger zeigt sie keine Wirkung mehr. Mittlerweile sprechen Experten von einer „post-antibiotischen Ära“, in der längst besiegte Krankheiten wieder zur tödlichen Gefahr werden. Wie konnte es so weit kommen?

Vor einigen Jahren verbreitete ein Keim Angst und Schrecken: der Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA), bekannt geworden als „Krankenhauskeim“. Er ist der prominenteste der multiresistenten Erreger (MRE), die auf gängige Antibiotika – auch auf viele Reserveantibiotika – nicht mehr ansprechen. Von rund 500.000 „Krankenhaus-Infektionen“ pro Jahr entfallen 30.000 auf solche Erreger, 1.500 gar hervorgerufen durch Keime, gegen die fast nichts mehr hilft – wie der 4MRGN, der gegen alle vier wichtigsten zu seiner Behandlung eingesetzten Antibiotikaklassen resistent ist. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig und wie so oft hausgemacht. Durch übermäßigen Einsatz von Antibiotika seit den 1970er Jahren passten sich die mutationsfreudigen Keime immer besser an die Medikamente an und entwickelten Resistenzen. Auch der Antibiotikamissbrauch in der Massentierhaltung trug seinen Teil bei. Außerdem wurde das Problem jahrelang ignoriert. Nachdemallerdings im Jahr 2007 ca. 65.000 Menschen eine MRSA-Infektionerlitten hatten, handelte die Regierung: 2008 wurde die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie DART ins Leben gerufen. Die Maßnahmen zur Verbesserung der Krankenhaushygiene und zum fachgerechten Einsatz von Antibiotika zeigten Wirkung: ab 2011 sank die MRSA-Rate. Das Problem ist damit jedoch nicht vom Tisch. Im Gegenteil:Weltweit nehmen die multiresistenten Erreger zu. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass 2050 die meisten Todesfälle weltweit durch Infektionen mit MRE verursacht sein werden.

Eine wesentliche Ursache liegt in der Antibiotika-Herstellung selbst. Diese findet zu 80 Prozent in Indien und China statt, in Ländern, die ihre Abwässer – auch die aus Pharmafabriken – in Flüsse leiten und so den perfekten Nährboden für Erreger schaffen. So ist der Fluss Musi in der indischen Antibiotika-Hochburg Hyderabad – woher auch Ratiopharm, Hexal und STADA ihre Wirkstoffe beziehen – hochgradig verschmutzt. Gewässerproben von 2017 zeigen: Rückstände von neun verschiedenen Antibiotika sowie resistente Bakterien befinden sich im Wasser. Über Umwelt und Nahrung übertragen sie sich auf Mensch und Tier. Es kommt nicht von ungefähr, dass in Indien die Arzneimittelresistenz vieler weit verbreiteter Bakterien bei über 70 Prozent liegt. In der globalisierten Welt verbreiten sie sich ungehindert: 90 Prozent aller Indien-Reisenden kehren mit multiresistenten Keimen zurück, die sie vorher nicht hatten. EU-Inspektoren können indes nur die Produktion der Medikamente selbst überprüfen, nicht aber, ob Umweltstandards verletzt werden.

Die Pharmaindustrie scheint das Problem also zu verschlimmern. Und selbst wenn neue Antibiotika entwickelt werden – was wegen geringer Rendite aktuell nicht der Fall ist – entwickeln sich neue Resistenzen. Die einzige Lösung ist ein maßvoller Umgang mit der Wunderwaffe Antibiotikum. In Deutschland werden noch immer doppelt so viele Antibiotika verschrieben wie etwa in den Niederlanden. Das muss sich ändern. Sonst droht eine Katastrophe, die die Welt medizinisch gesehen ins Mittelalter zurückwerfen könnte.


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Julia Grahn

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