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Matthias Waldeck
Foto: Dana

„Ich bin Farbenhörer“

29. Januar 2020

Synästhetiker Matthias Waldeck über seine Wahrnehmung der Welt

engels: Herr Waldeck, Sie sind Synästhetiker. Was bedeutet das?

Matthias Waldeck: Synästhesie bedeutet „Mitempfindung“ und meint, dass verschiedene Sinne miteinander verkoppelt sind. Das ist genetisch bedingt. Ich vergleiche meine Synästhesien immer mit anderen Begabungen wie z. B. ein absolutes Gehör zu haben oder ein überdurchschnittliches mathematisches Verständnis. Wenn ich von meinen Synästhesien erzähle, sagen viele, sie könnten zwar nachvollziehen was ich sage, könnten sich aber nichts darunter vorstellen. Manche sagen auch direkt, das ist doch völliger Blödsinn. In solchen Fällen brauche ich gar nicht weiter reden. Es ist schwierig, jemandem eine Welt zu erklären, die er noch nie betreten hat. Daher muss das Gegenüber auch wirklich verstehen wollen, was das ist.

Synästhesie hat unterschiedliche Ausprägungen. Es ist die Rede von 80 bekannten Formen. Welche erleben Sie?

Ich bin einerseits Farbenhörer. Das heißt, alles was ich höre wird automatisch in einer speziellen Form und Farbe vor meinem inneren Auge umgesetzt. Das „in Farben hören“ ist bei mir außerdem mit einer Notationssynästhesie verbunden. Das bedeutet jeder Ton wird in der jeweiligen Tonhöhe abgebildet. Hohe Töne tauchen auf meinen inneren Monitor oben auf, tiefe Töne weiter unten. Das ähnelt dann in der Optik einem Notenblatt. Außerdem habe ich sogenannte Tickertapes: Alles was ich spreche, oder von anderen gesprochenen wird, läuft zeitgleich vor meinem inneren Auge von rechts nach links ausgeschrieben durchs Bild. Man kann sich das so vorstellen wie die Eilmeldungen bei NTV die häufig unten durchs Bild laufen.

Können Sie mir für das Farbenhören ein Beispiel nennen?

Stimmen sind bei mir grundsätzlich mit der Farbe grau verbunden, sie haben aber unterschiedliche Oberflächenstrukturen. Die Oberfläche kann z. B. sehr rau oder auch total glatt sein. Und erst wenn man singt bekommen sie einen leichten Farbton. Joe Cocker z. B. hat ja eine sehr raue Stimme. Die Buchstaben seiner Songtexte erscheinen für mich sehr kräuselig, schaumig an der Oberfläche und sind leicht rosa eingefärbt. Meine Haustürklingel ist eher rötlich und visualisiert sich in einer rundlichen Form.

Als Babys sind wir alle Synästhesisten, vermutet die Wissenschaft. Dann verlieren die allermeisten diese Fähigkeiten. Wie ist Ihnen aufgefallen, dass Sie anders sind?

Das ist mir während der Schulzeit aufgefallen. Für einen selbst ist die eigene Wahrnehmung ja völlig normal, deshalb war mir lange nicht bewusst, dass ich da anders bin. In der 12. oder 13. Klasse habe ich mich dann quasi ungewollt „geoutet“. Wir haben über moderne Musik gesprochen und als ich dann bei der Besprechung eines Musikstücks meinte, das klingt für mich nach braunen, gelben und roten Linien die sich von der Tafel zum Fenster ziehen, waren alle sehr verwundert und fanden die Aussage ziemlich komisch. Zufälligerweise kannte mein damaliger Lehrer das Phänomen. Er gab mir dann die Aufgabe mal zu dem Thema zu recherchieren.

Und dann?

Ich bin dann in die Bibliothek gegangen und habe nach dem Begriff gesucht. Ich hatte keine Ahnung davon und war total überrascht. Später habe ich dann gelesen, dass synästhetische Begabungen schon seit etwa 300 Jahren bekannt sind, aber lange Zeit nicht wissenschaftlich bewiesen bzw. erforscht werden konnten. Das ging erst mit der Erfindung des MRT beziehungsweise der Computertomographie. Wenn ich mich einer solchen Untersuchung unterziehe, sieht man, wenn ich Musik höre und die Augen geschlossen sind, in meinem visuellen Cortex andere Aktivitäten, als bei Menschen die keine Synästhesie haben.

Nehmen Sie Ihre Begabung manchmal als anstrengend wahr?

Wenn ich auf einer größeren Veranstaltung bin, wo viele Leute um mich herum reden, dann kann das mal etwas zu viel werden. Ich sehe dann ja mehrere Tickertapes – da kann es mal etwas schwierig sein, sich auf die eigene Unterhaltung zu konzentrieren. Aber ich persönlich leide nicht unter meinen Synästhesien. Ich weiß allerdings auch, dass es für Menschen, die z. B. die Synästhesie „Töne sehen“, haben, das alltägliche Leben, sehr erschöpfend sein kann. Sie empfinden bei jeder Farbe, auch einen Ton – das bedeutet, dass sie dann oft nicht unterscheiden können, ist er real oder imaginär.

Gibt es Momente, in denen Sie Ihre Synästhesiebesonders schätzen?

Ja, wenn ich aktiv Musik höre, z. B. eine Sinfonie. Das ist dann wie eine innere Landschaft die sich aufbaut. Ich kann dann nach oben, unten, rechts, links gucken und mir die einzelne Instrumente angucken. Das ist dann schon eine tolle Sache.

Interview: Marlene Drexler

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