Andreas Dresen, Jahrgang ’63, sammelte über Jahre Erfahrung bei Theater und Film, bis er 1986 sein Regiestudium in Potsdam aufnahm. Seit 1992 hat er zahlreiche Spielfilme realisiert („Halbe Treppe“, „Sommer vorm Balkon“, „Halt auf freier Strecke“). Mit „Als wir träumten“, der gerade auf der Berlinale im Wettbewerb lief, hat er den gleichnamigen Roman von Clemens Meyer verfilmt.
engels-kultur: Anfang der 90er Jahre gab es in allen größeren deutschen Städten Technoparties in alten Lagerhallen, Drogen und all das. Was ist das Besondere an Ihrer Geschichte?
Andreas Dresen: Ich glaube, das ist tatsächlich eine Geschichte, die überall stattfinden könnte – auch in Rio de Janeiro oder Köln. Aus Kindern werden Erwachsene – da fordert man die Welt heraus. Das ist eine Zeit, in der man die Grenzen austestet und teilweise auch überschreitet. Das finde ich toll! Irgendwann wird man leider erwachsen, wird vernünftig und funktioniert in der Welt. Diese Geschichte hier spielt allerdings unter zugespitzten Bedingungen, weil die Kinder in eine neue Zeit gestoßen werden. Sie wurden unter anderen Verhältnissen sozialisiert, in einem System, das sie umklammert hat mit Fürsorge, auch falscher und ideologischer Fürsorge. Das bricht mit einem Schlag weg und man steht alleine auf weiter Flur, weil auch die Eltern und Lehrer andere Probleme haben. Man hat plötzlich diese Freiheit, die großartig ist, aber es gibt auch niemanden, der einen vor den Gefahren warnt. Das ist ein Rausch, der besonders absturzgefährdet ist, weil das Gefälle so hoch ist. Darauf waren viele im Osten nicht vorbereitet. Trotzdem würde heute sicher jeder der Jungs davon schwärmen. Brecht hat in „Im Dickicht der Städte“ geschrieben: „Das Chaos ist aufgebraucht, es war die beste Zeit.“
Welche Relevanz hat ihre Geschichte für die Gegenwart?
Mich hat am meisten interessiert, dass in diesen Jungs so viele Möglichkeiten liegen, dass sie so eine unglaubliche Kraft haben, wie die loslegen und versuchen, sich ihren Platz in der Welt zu erkämpfen, und wie wenig die Gesellschaft diese Energien nutzt. Aber auch, wie wenig wir selber an unseren Träumen, die wir hatten, festhalten. Das ist vielleicht normal, aber auch ein wenig frustrierend, wenn man zurückblickt. Diese Fragen beschäftigen mich und sie haben insofern eine Relevanz, weil wir ja nicht in der besten aller möglichen Welten leben. Wer, wenn nicht die jungen Leute, sollte diese Welt herausfordern und provozieren? Ich finde es ja toll, wenn sich die Jugend anarchisch verhält und ihre Fragen stellt – auch unverschämte Fragen. Das passiert viel zu wenig. Und es sind ja sie, die dann in dieser Welt leben müssen. Deswegen fand ich diesen Anspruch, mit dem diese Jungs da losmarschieren, toll. Auch, wenn das natürlich viele verstören wird, weil die einen Haufen Scheiße bauen. Aber zwischendrin sind sie auch sehr mitfühlend. Diese Mischung aus Wildheit und Zartheit hat mich gerührt. Von solchen Menschen möchte ich erzählen.
Es gibt viele Rückblenden, die im Kontrast zur Haupthandlung eine sentimentale Stimmung erzeugen ...
Sentimental? Das will ich nicht hoffen. Es gibt ja auch in dieser Ebene einiges an Zumutungen durch die Erwachsenen. Aber in den Kindern steckt natürlich immer noch sehr viel Hoffnung, sie sind voller Möglichkeiten. Und dann sieht man später, wo‘s hingeht ... Das ist Allgemeingültig und hat nichts mit der Wende zu tun. Diese erste zarte Liebe zwischen den Kindern, die sich anbahnt, und dann zu wissen, wie schmerzhaft es später sein kann: Das sind so Dinge, die mich mit zunehmendem Alter melancholisch machen und anrühren. Das sind auch Inseln in der sonst doch eher harten Geschichte.
Der Film transportiert nicht nur negative, sondern auch positive Energie, mit Technobeats und Stroboblitz …
Aber ja! Das ist auch eine filmische Entsprechung für die großen Extreme dieser Zeit, denen die Jungs ausgesetzt sind. Dieser Kontrast hat mich für den Film sehr gereizt: dass es so laut ist und so leise. Ich mochte, dass das so aufeinander knallt, und ich wollte das physisch schmerzhaft erzählen – auch für den Zuschauer. Das muss ja spürbar werden! Wenn man von so einer Welt erzählt, darf man nicht mit Samthandschuhen losgehen, das wird sonst lächerlich.
Sie haben Ihren Film an den üblichen Darstellern vorbei weniger prominent mit neuen Talenten besetzt. Wie haben Sie Ihre Darsteller gefunden, was war Ihnen bei der Besetzung wichtig?
Mal davon abgesehen, dass ich sowieso ein sehr junges Ensemble brauchte, was schnell dazu führt, dass man auf Leute zurückgreift, die man noch nicht kennt, tue ich mich auch schwer damit, bekannte Schauspieler in Nebenrollen zu haben. Das sprengt schnell den Rahmen, und man sieht dann zuerst den Schauspieler und nicht die Figur, die er spielt. Ich habe nichts gegen Bekanntheit, bei „Whisky mit Wodka“ habe ich zum Beispiel mit sehr vielen berühmten Schauspielern gearbeitet. Der spielte im Filmmilieu und das passte natürlich, aber hier bot sich das nicht an. Außerdem finde ich, dass es so viele gute, unentdeckte Schauspieler gibt, die auch eine Chance kriegen sollten. Man sollte nicht immer mit den gleichen Leuten drehen, dann gibt’s ja keine Neuen! Unter den Jungs sind echt große Begabungen. Zwei von denen standen vorher noch nie vor einer Kamera – die haben sich bei uns mit Handyvideos beworben, sind dann bis zur Endrunde gekommen und haben schließlich die Rollen gekriegt.
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