Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
11 12 13 14 15 16 17
18 19 20 21 22 23 24

12.578 Beiträge zu
3.806 Filmen im Forum

Maddalena de‘ Pazzi
Bild: Little Pictorial Lives of the Saints, gemeinfrei

Unendliches Schwarz

11. September 2019

Salvatore Sciarrinos „Infinito nero“ – Opernzeit 09/19

Zu Beginn ist nichts zu hören, dann steigen aus der absoluten Stille menschliche Atemgeräusche auf. Unmittelbar überträgt sich der Atemduktus auf die Zuhörenden und das Gehörte versetzt in die Innenwelt der Protagonistin. Die ekstatischen Äußerungen der Maria Maddalena de‘ Pazzi nehmen Gestalt in der Stimme an, die durch die Nonne spricht und sie verschiedene Heilige verkörpern lässt. Sciarrino entlehnt in seinem Libretto einzelne Sätze und Worte aus den Berichten der Mitschwestern über die Ausbrüche der Karmeliterin, die 1607 starb und 1669 heiliggesprochen wurde. Während ihrer Visionen sprach sie ungeheuerlich schnell und kaum verständlich, so dass vier Protokollantinnen den Text laut nachsprachen und vier andere eilig das aufschrieben, was sie davon mitbekamen.

Sciarrino sieht in diesen Visionen etwas Psychopathologisches und erkennt dahinter eine große Angst, die er in die Sprachklänge eines selbstvergessenen Sprechens fasst. Das eigentliche Drama ereignet sich nicht in einer äußeren Handlung, sondern im verinnerlichten Klang. Mit dem Ziel einer „Verinnerlichung des Theaters in die Musik“ schafft der Komponist einen neuen Gesangsstil, die „sillabazione scivolata“, eine gleitende Silbenartikulation. Ein lang gezogener Ton schwillt an und mündet in einer schnellen Abwärtsfiguration, die zwischen Singen, Sprechen und Stille wechselt.

Sciarrino kürzt die Textvorlage radikal, selten bleiben ganze Sätze übrig, Textfetzen bringen das sprunghafte psychische Erleben zum Ausdruck. In dem kammermusikalischen Instrumentalsatz für acht Musiker finden sich auch „Überschreibungen“ von existierenden Kompositionen, wie in fast allen Opernwerken Sciarrinos. Dabei nutzt der Komponist vielfältige Möglichkeiten, den Klang der Instrumente zu verfremden, so dass die Musiker unerhört filigrane Klänge erzeugen, die gerade im Stillstand ihr gewaltiges Spannungspotenzial entfachen. Er schreibe keine Musik, sondern psychologische Erfahrungen, sagt Sciarrino über sein Komponieren.

„Meine Werke sind nüchtern, das ist ein wichtiges Element, wenn man Musik hört... und das ist ihre einzige Möglichkeit unser Fleisch zu durchdringen und uns in der Tiefe zu erreichen“, sagt Sciarrino.

Wo zu sehen in NRW?

Oper Bonn | 26., 28., 29.9. je 20 Uhr | 0228 77 80 08

Kerstin Maria Pöhler

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Gladiator II

Lesen Sie dazu auch:

„Kritische Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit“
Kapellmeister Hermes Helfricht über Werner Egks „Columbus“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 06/24

Absurde Südfrucht-Fabel
„Die Liebe zu den drei Orangen“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 04/24

Verpasstes Glück
„Eugen Onegin“ in Bonn und Düsseldorf – Oper in NRW 02/24

Kampf durch Klang
„Der singende Teufel“ ungekürzt an der Oper Bonn – Oper in NRW 05/23

Liebe unter Engeln
„Asrael“ in der Oper Bonn – Oper in NRW 10/22

24 Stunden im Leben eines Revolutionärs
Uraufführung der Oper „Marx in London“ – Opernzeit 12/18

Draußen vor der Türe
Hermann von Waltershausens Oper „Oberst Chabert“ – Opernzeit 06/18

Es werde Licht!
Philip Glass‘ Pharao-Oper „Echnaton“ – Opernzeit 03/18

Oper als Befreiungskampf
„Attila“ von Giuseppe Verdi – Opernzeit 01/17

Kein richtiges Leben im falschen
Richard Wagners Oper „Der fliegende Holländer“ – Opernzeit 12/15

Oper.

Hier erscheint die Aufforderung!