Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
11 12 13 14 15 16 17
18 19 20 21 22 23 24

12.575 Beiträge zu
3.805 Filmen im Forum

Giuseppe Verdi, ca. 1870
Foto: Ferdinand Mulnier

Oper als Befreiungskampf

22. Dezember 2016

„Attila“ von Giuseppe Verdi – Opernzeit 01/17

Verdis Librettist Solera rückt in seinen Stücken die politische Konfrontation in den Mittelpunkt: Völker und Religionsgemeinschaften ziehen gegeneinander in den Krieg, Herrscher und Heerführer sind durchdrungen vom Willen zur Macht, das notleidende Volk sehnt sich nach Frieden und Freiheit.

Historische Ereignisse bestimmen den Handlungsverlauf: Der Hunnenkönig Attila, als „Geißel Gottes“ in der Völkerwanderungszeit gefürchtet, fällt 452 mit seinem Heer in Italien ein und zerstört Aquileia, die Hauptstadt Venetiens. Der ehrgeizige römische Feldherr Ezio will mit dem Eroberer einen Pakt schließen: Attila möge ihm Italien überlassen, dann werde er ihn bei der Eroberung der Welt unterstützen – ein Handel, auf den sich der seiner kämpferischen Ehre bewusste Hunnenkönig nicht einlässt. Odabella, die Tochter des ermordeten Herzog von Aquileia, stellt sich mit gleichgesinnten kämpferischen Frauen Attila entgegen. Er ist von ihrem Mut beeindruckt und verliebt sich in sie. Zum Schein geht Odabella auf sein Werben ein, um den Tod ihres Vaters zu rächen und ihre Heimat von der hunnischen Fremdherrschaft zu befreien. Foresto, ihr Geliebter, beschuldigt sie des Verrats, doch überzeugt sie ihn von der machtpolitischen Notwendigkeit ihres Handelns und der Treue zu ihm und ihrem Volk. Sie hält Wort, und kurz vor der Heirat mit Attila ermordet sie ihn mit seinem eigenen Schwert, das er ihr als Zeichen seines Vertrauens übergab. Der Hunnenkönig fällt, hingerichtet von der geliebten Frau. Der Zweck heiligt die Mittel, der Tyrannenmord ist vollzogen, das Volk befreit.

„Attila“ ist wie „Nabucco“ und „Macbeth“ ein „Machtdrama“, bei dem die Liebeshandlung in den Hintergrund tritt. Das hat zur Folge, dass die Rolle des Tenors verblasst und der Liebhaber Obadellas, Foresto, neben der heroisch angelegten Sopranpartie schwach wirkt, die von der Sängerin ein Höchstmaß an Kraft und Agilität der Stimme verlangt. Die tiefen Männerstimmen als Gegenspieler rücken bei diesem Operntyp ins Zentrum und verkörpern hybride, machtbesessene und skrupellose Charaktere.

Attila, der sich als Werkzeug himmlischer Beschlüsse versteht, macht als einziger in diesem Werk eine Entwicklung durch, von der Hybris am Anfang bis hin zum desillusionierenden Ende. „Auch du Odabella?“, fragt der Sterbende. Der Chor hat das Schlusswort: „Gott, Völker und Könige sind vollständig gerächt.“ Dem politischen Sujet entsprechend ist der Tonfall der Oper eher rau und rhythmisch energiegeladen. Spektakuläre, großangelegte Chortableaus kontrastieren mit den Arien und Duetten der Protagonisten.

Das dem Libretto zugrundeliegende Drama „Attila, König der Hunnen“ (1807) von Werner Zacharias war politischer Zündstoff. Bereits Beethoven dachte daran, es als Grundlage für eine Oper zu verwenden, die auf den Allmachtsanspruch Napoleons anspielt. Solera und Verdi arbeiteten das Drama zum patriotischen Pamphlet des italienischen Einigungs- und Befreiungskampfes gegen die habsburgische und französische Fremdherrschaft um. Die hinzuerfundene Anfangsszene greift den Gründungsmythos Venedigs in der Lagune Rivo Alto auf. Der Vorschlag des römischen Feldherrn an den Hunnenkönig: „Du sollst das Universum haben, doch Italien überlasse mir!“, wurde zur Parole des Risorgimento und machte Attila nach der Uraufführung in Venedig 1846 zu einer der populärsten Werke Verdis.

„Attila“ | R: Dietrich W. Hilsdorf | So 29.1.(P), So 5.2. 18 Uhr | Oper Bonn | 0228 77 80 08

Kerstin Maria Pöhler

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Gladiator II

Lesen Sie dazu auch:

„Kritische Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit“
Kapellmeister Hermes Helfricht über Werner Egks „Columbus“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 06/24

Absurde Südfrucht-Fabel
„Die Liebe zu den drei Orangen“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 04/24

Verpasstes Glück
„Eugen Onegin“ in Bonn und Düsseldorf – Oper in NRW 02/24

Kampf durch Klang
„Der singende Teufel“ ungekürzt an der Oper Bonn – Oper in NRW 05/23

Liebe unter Engeln
„Asrael“ in der Oper Bonn – Oper in NRW 10/22

Unendliches Schwarz
Salvatore Sciarrinos „Infinito nero“ – Opernzeit 09/19

24 Stunden im Leben eines Revolutionärs
Uraufführung der Oper „Marx in London“ – Opernzeit 12/18

Tödliches Verlangen nach Liebe
Richard Strauss‘ Oper Salome – Opernzeit 11/18

Die Gesellschaft braucht Erlösung
Über Wagners „Götterdämmerung“ – Opernzeit 10/18

Draußen vor der Türe
Hermann von Waltershausens Oper „Oberst Chabert“ – Opernzeit 06/18

Es werde Licht!
Philip Glass‘ Pharao-Oper „Echnaton“ – Opernzeit 03/18

Kein richtiges Leben im falschen
Richard Wagners Oper „Der fliegende Holländer“ – Opernzeit 12/15

Oper.

Hier erscheint die Aufforderung!