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Markus Wild
Foto: Thomas Müller

„Jeder Schritt, der die Tierhölle kleiner macht, geht in die richtige Richtung“

26. Mai 2017

Markus Wild über den menschlichen Umgang mit Tieren – THEMA 06/17 Tierisch gut

engels: Herr Wild, sind Menschen im Prinzip auch Tiere?
Markus Wild: Biologisch betrachtet sind sie das. Die Menschen haben in ihrer Geschichte aber natürlich viel unternommen, um sich klar von den Tieren abzugrenzen – besonders durch Sprache und kulturelle Normen.

Philosophie hat viel mit diesen kulturellen Normen zu tun. Was hat es in diesem Zusammenhang mit der Tierphilosophie auf sich?
Es gibt drei große Felder, mit denen ich mich als Tierphilosoph beschäftige. Erstens: die Einordnung in die Geschichte der Philosophie. Tatsächlich ist diese nämlich im Kern häufig ein Erklärungsversuch, inwiefern der Mensch dem Tier überlegen ist. Zweitens setze ich mich mit aktuellen wissenschaftlichen Forschungen auseinander, welche die Annahme, dass Mensch und Tier grundsätzlich verschieden sind, zunehmend widerlegen. Und drittens beziehe ich mich darauf, dass gesellschaftliche Debatten zum Thema Tierethik, beispielsweise das Thema artgerechte Haltung, in den letzten Jahrzehnten immer mehr an Relevanz gewonnen haben.


Sie sind auf einem Bauernhof groß geworden und haben auch das Schlachten von Tieren miterlebt. Hat das Ihren Werdegang beeinflusst?
Für viele Menschen ist das tatsächlich ein emotionales Thema. Für mich auch. Wenn ich mich zum Beispiel mit älteren Menschen auf dem Dorf unterhalte, dann beklagen sie sich häufig darüber, dass die heutige Generation viel zu weich geworden ist, wenn es ums Schlachten geht – nur um etwas später zu berichten, wie schlimm dieses Erlebnis für sie selbst als Kind war. Ich habe aber einen anderen Zugang: Ich bin Philosoph. Und als Philosoph fühle ich mich der Suche nach dem moralisch richtigen Verhalten verpflichtet. Nachdem ich mich intensiv mit der Literatur zur Tierethik beschäftigt habe, steht für mich fest: Es kann nicht richtig sein, einem Lebewesen, das auch empfindet wie wir, bewusst Leid zuzufügen und es für meinen Spaß zu benutzen. Deshalb setze ich mich für Tierrechte ein.

Tierrechte, was kann man darunter verstehen?
Im Gegensatz zum Tierwohl, das sich damit auseinandersetzt, Tieren brutale Behandlungen zu ersparen, geht das Tierrecht davon aus, dass bestimmte Tiere so etwas wie Grundrechte besitzen sollten: Zum Beispiel das Recht, von uns nicht verletzt oder nicht getötet zu werden.

Sie sagen: Bestimmte Tiere. Gibt es Ausnahmen?
Der Begriff „Tier“ ist sehr weit gespannt. Er reicht von der Amöbe bis zum Orang-Utan. Das entscheidende Kriterium für Tierrechtler ist es, dass Tiere ein Empfinden haben. Konkret äußert sich das im Schmerzempfinden. Nach heutigem Wissensstand können alle Wirbeltiere Schmerzen empfinden: also nicht nur Säugetiere, sondern auch Fische und Reptilien. Bei Insekten sieht das etwas anders aus.

Das heißt also: Wenn ich ein Wirbeltier esse, das zu diesem Zweck getötet worden ist, verstoße ich gegen ein Recht dieses Tiers?
Aus Sicht eines Tierrechtlers: ja. Ein Tier sollte hier auf keiner anderen Stufe stehen als ein Kleinkind.

Dann ist also auch das beste Biofleisch ethisch verwerflich?
So würde ich das nicht sehen. Wir haben einen langen Weg vor uns. Jeder Schritt, welcher die Tierhölle etwas kleiner macht, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Und artgerechte Haltung ist eine Möglichkeit, das Tierleid zu lindern. Aber wir müssen auch aufpassen, dass Biofleisch nicht zum Feigenblatt unserer Gewohnheiten und der Schlachtindustrie wird.

Krieg, Terror, Klimawandel: Die Welt steht vor enormen Herausforderungen. Nicht zuletzt die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung ist ein zentrales Thema des 21. Jahrhunderts. Können wir es uns da überhaupt leisten, über den Wegfall von Tierprodukten zu diskutieren? Oder ist das ein Luxusthema unserer Wohlstandsgesellschaft?
Das Gegenteil ist der Fall. Der Umgang mit Tieren ist in vielen Fragen ganz zentral: Durch die Produktion von Tierfutter werden beispielsweise wertvolle Ernährungsressourcen verschwendet. Außerdem sind mit der Herstellung von Tierprodukten enorme Umweltbelastungen verbunden, beispielsweise durch Nitrate. Und drittens gibt es aktuelle Studien, die nahelegen, dass Fleisch das Krebsrisiko steigert. Die Umstellung auf vegane oder nur schon vegetarische Produkte würde also also nicht nur Tierleid lindern, sondern auch eine enorme Verbesserung der globalen Ernährungsgerechtigkeit, Gesundheit und Umwelt mit sich bringen. Das ist ganz gewiss kein Nischenthema.

Obwohl gerade in wohlhabenden Ländern viel über das Tierwohl diskutiert wird: Tier- und Fleischprodukte stehen weiter hoch im Kurs.
Zunächst einmal: Das ist nicht nur ein Wohlstandsthema. Auch in afrikanischen Entwicklungsländern gibt es Tierschutzorganisationen. Aber es stimmt natürlich: Zwischen Denken und Handeln gibt es gerade bei uns einen großen Widerspruch. Wir sprechen hier vom sogenannten Meat-Paradox. Es gibt psychologische Studien darüber: Nirgendwo anders ist der Mensch so schizophren wie bei seinem Essen. Überspitzt gesagt: Wir streicheln unseren Chihuahua während wir eine billige Bratwurst essen. Wollen wir das erklären, kommen wir zurück zu unseren kulturellen Normen. Steakessen wird beispielsweise als Symbol von Männlichkeit beworben, Milchprodukte werden als zivilisatorische Errungenschaft gesehen.

Die Vernunft des Einzelnen ist ein wichtiger Begriff der Philosophie. Ist das der Schlüssel zur Veränderung?
Die Vernunft des Einzelnen ist nur so lange eine Kategorie, bis wir die Rechte Anderer nicht verletzen. Beim Konsum von Tierprodukten verletzen wir aber das Wohl und die Rechte der Tiere. Das kann man vielleicht mit der Sklavenhaltung in den USA im 18. und 19. Jahrhundert vergleichen. Im Prinzip war vielen Menschen das Schicksal der Sklaven damals ziemlich gleichgültig. Sie haben aber von deren Arbeit profitiert und damit ihre Rechte verletzt. Beendet wurde dieses Schicksal am Ende durch allgemeingültige Regeln. Ich kann ja auch nicht mit 250 Sachen durch die Stadt rasen, nur weil mir das persönlich vernünftig vorkommt.

Was können Sie als Wissenschaftler dann tun?
Wir müssen Utopien und Sinnhorizonte entwickeln. In der Schweiz wird zur Zeit zum Beispiel eine Volksinitiative für die Abschaffung der Massentierhaltung auf den Weg gebracht. Vermutlich wird diese Initiative keine Mehrheit finden, aber sie ist ein erster Schritt, um das gesellschaftliche Bewusstsein zu verändern. In Portugal gibt es inzwischen sogar eine Partei für Tierrechte, die es ins Parlament geschafft hat. Wir müssen uns auch darüber bewusst sein, dass Veränderungen in einem demokratischen System oft nur sehr langsam voranschreiten. Nehmen Sie die Schweiz: Seit 1848 haben wir eine demokratische Verfassung. Das Wahlrecht für Frauen haben wir aber erst 1971 eingeführt. Dazwischen liegen also mehr als 120 Jahre. Multiplizieren Sie diesen Zeitraum einmal mit zwei oder drei und stellen Sie sich vor, wie sich die Rechte der Tiere in dieser Zeit verändern könnten. Ich bin überzeugt, dass sie sich verändern müssen.


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zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und choices.de/thema

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