Zur
Person:
Bernhard Rüb
(59) ist Pressesprecher der Landwirtschaftskammer
Nordrhein-Westfalen.
engels: Herr Rüb, gibt es eine Landflucht bei den Landwirten in NRW?
Bernhard Rüb: Landflucht gibt es vielleicht auf Sizilien oder in anderen südeuropäischen Regionen. Wenn Landwirte dort einen Hof aufgeben, verlassen sie mitunter die Gegend. In Deutschland ist das überhaupt nicht so. Landwirte, die bei uns den Betrieb aufgeben – und das kommt täglich vor – bleiben in ihrem Eigentum wohnen und verpachten ihre Flächen an den Nachbarn. Dadurch sichern sie ihre Altersvorsorge. Das geht oft relativ geräuschlos und ohne finanzielle Verluste vonstatten, wenn die Landwirte den Betrieb rechtzeitig aufgeben. Es gibt also nicht haufenweise leerstehende Immobilien – ganz im Gegenteil, im ländlichen Raum sind sie sogar sehr gefragt.
Die Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft sinkt – laut einem Bericht des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft in 20 Jahren von 1,2 Millionen auf 500.000. Wie kommt das?
Zur
Person:
Bernhard Rüb
(59) ist Pressesprecher der Landwirtschaftskammer
Nordrhein-Westfalen.
Aktuell nimmt die Zahl der Arbeitnehmer zu, aber die Zahl der Betriebe und der mitarbeitenden Familienangehörigen sinkt. Die Bauern, die übrig bleiben, sind schließlich auf fremde Arbeitskräfte angewiesen.
Das ist dann aber eine neuere Entwicklung?
Natürlich hat sich die Zahl insgesamt verringert. Das liegt am technischen Fortschritt und der veränderten Struktur. Bis in die 50er Jahre wurde Getreide mit dem Pferdegespann gemäht. Das machen heute Maschinen. Heute reicht es auch nicht mehr, dass die Familie arbeitet – bei Betrieben von mehreren hundert Hektar oder intensiven Arbeitsphasen. Man braucht qualifizierte Mitarbeiter. Deshalb ist die Zahl aktuell nicht rückläufig.
Kleine Höfe verschwinden immer mehr…
…mittlerweile geht es da schon um die mittleren Höfe. Kleine Höfe gibt es kaum noch. Wir zählen nur noch Betriebe ab fünf Hektar. Seit 1949 verlieren wir im Großen und Ganzen zwei bis vier Prozent der Höfe jährlich.
Ist das ein großes Problem oder ist es egal, welches Unternehmen die Felder bewirtschaftet?
Ungefähr 70 Prozent der Felder in Nordrhein-Westfalen sind verpachtet. Das ist eine logische Folge des Strukturwandels. Es geht auch nicht darum, ob das schade ist. Es ist einfach eine Entwicklung als Ergebnis der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Das ist nicht nur typisch für die Landwirtschaft, sondern das gibt es in vielen Branchen – bei Bäckern, Tankstellen oder Metzgern ist das genauso.
Liegt das daran, dass Erben fehlen?
Bauern haben mehr Kinder als der Durchschnitt der Bevölkerung. Aber der Hof muss auch eine Perspektive für die nächste Generation bieten. Bis zum letzten Jahr hatten wir eine leicht steigende Zahl in der Ausbildung, rund 1300-1400 NRW-weit. Aber der Anteil derer, die nicht von einem Hof kommen, hat stark zugenommen. In manchen Regionen liegt er bei 50 Prozent. Das ist natürlich gut, denn dadurch decken wir den Bedarf an Fachkräften.
Wenn Sohn oder Tochter nicht den Hof übernehmen möchten, ist das also nur aus romantischer Sicht schade?
Das ist für viele Landwirte schon ein emotionales Problem, weil viele Höfe seit Generationen im Familienbesitz sind. Man muss sich als Landwirt aber mit den wirtschaftlichen Verhältnissen auseinandersetzen. Man kann das bedauern oder nicht, aber eben nicht ändern. Es liegt am technischen Fortschritt und hat nichts mit Politik oder dem Verkauf in Supermärkten zu tun. Landwirte sind aber in der Regel sehr realistisch und erkennen, ob ihr Hof eine Überlebenschance hat. Das hängt von vielen Faktoren ab. Aber dass die Kinder das machen müssen, was die Eltern wollen, ist ja zum Glück schon lange vorbei. Allerdings verändert sich dadurch das soziale Leben auf dem Land. Für manche Probleme gibt es keine direkten Ansprechpartner mehr.
Geht das nicht zu Lasten der Qualität?
Im Gegenteil ist es sogar häufig so, dass größere Betriebe Auflagen leichter stemmen können als kleine Betriebe. Kleinere Betriebe arbeiten keineswegs automatisch umweltfreundlicher. Jede Umweltauflage beschleunigt den Strukturwandel, weil sich kleinere Höfe das nicht mehr leisten können.
Sind die Überlebenschancen von den kleinen und mittelgroßen Höfen denn dann relativ gering?
Nein, das hat auch weniger mit der Betriebsgröße als mit der unternehmerischen Fähigkeit zu tun. Wenn man sagt, „ich kann nur Rüben, Weizen und Kartoffeln“, dann ist das schlecht. Wenn man sich am Markt orientiert, stadtnah wohnt und Dienstleistungen anbieten oder sich spezialisieren kann, kann man erfolgreicher sein. Ein Stichwort ist der Landservice, der Dienstleistungen vom Bauernhof anbietet.
Da ist dann Kreativität gefragt und die Kenntnis von Nischen?
Ja, wir beraten auch speziell in diesem Bereich. Was stark zugenommen hat, ist der Anbau von Spargel, Erdbeeren oder sonstigen arbeitsintensiven Gemüsen, die man direkt verkaufen kann. Beim Spargel liegt der Vermarktungsanteil in NRW bei 70 Prozent, ohne Handel direkt vom Feld. Die Wertschöpfung beim Direktverkauf ist deutlich höher als beim Verkauf an den Großhandel.
Was ist denn das Kreativste, was ein Landwirt aus seinem Hof gemacht hat, das Ihnen zu Ohren gekommen ist?
Malkurse (lacht). Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Höfe mit einem großen Bauernladen. Es gibt Höfe, die bieten Urlaube an, manchmal speziell für behinderte oder ältere Menschen. Es gibt Höfe mit Kreativkursen oder Incentive-Veranstaltungen für Firmen. Und selbst solche Ideen sind in ihrer Intensität abgestuft: Zum Beispiel vom klassischen Ponyhof bis zu hochprofessionellen Reitsportbetrieben.
Aktiv im Thema
www.landwirtschaftskammer.de
www.landservice.de
www.solidarische-landwirtschaft.org
www.weltagrarbericht.de
www.arc2020.eu | Zivilgesellschaftliche Gruppe die neue Konzepte für EU-Agrarpolitik entwickelt
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GEMEINWOHL – Der Neoliberalismus frisst seine Kinder?
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