Der Name Gina Schwarz & Multiphonics 8 bedarf wohl einer Erklärung, da er bei erstem Lesen zu Missverständnissen führen könnte. Denn der Begriff Multiphonics bedeutet im eigentlichen Sinn nichts anderes als die Erzeugung von mehr als einem Ton gleichzeitig auf einem Blasinstrument. Etwa war der ehemalige Posaunist Albert Mangelsdorff und ist der Klarinettist Theo Jörgensmann Meister auf diesem Gebiet. In Köln gibt es dagegen einen eingetragenen Verein mit dem gleichen Namen, der jährlich in der Domstadt und anderen Orten wie Wuppertal ein Festival mit dem Schwerpunkt Blasinstrumente veranstaltet. Dazu gehört das Projekt „Multiphonics 8“, das jährlich eine Komposition in Auftrag gibt und einen Komponisten in den Mittelpunkt stellt. Anno 2020 und 2021 war die österreichische Kontrabassistin und Komponistin Gina Schwarz Composer in Residence, Professorin für Bass am Institut für Popularmusik der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw). Sie ließ sich von dem 1974 verstorbenen britischen Gitarristen, Folk-Sänger und Komponisten Nick Drake inspirieren und schuf etliche Stücke, die schließlich auf CD unter dem Titel „Way To Blue“ veröffentlicht wurden.
Durch den Kakao gezogen
Dieses Projekt kommt nun in Wuppertal in Kooperation mit dem Verein Open Sky auf der Insel über dem Café Ada auf die Bühne und sorgt für große Begeisterung. Neben Drake als Inspirationsquelle flossen auch Erlebnisse aus der Kindheit von Schwarz in den 1970er Jahren mit ein. Etwa ist in „Blue Sunbeam“ das Auto ihres Vaters verarbeitet, in dessen Tank er statt Benzin Diesel füllte. Daran unbeteiligte Personen hätten sich sicher beim Beobachten des Resultats ein Lachen nicht verkneifen können. So kommt auch ihre Musik mit einer Portion Humor daher, die streckenweise an die Stilistik der heute wohl nur noch Insidern bekannten Kölner Band NoNett um den Jazz-Trompeter Reiner Winterschladen erinnert. Sie stand Anfang der 1980er für ein paar Jahre als die deutsche Jazzrockformation hoch im Kurs. Ihre drei Alben „… Und Köln pennt?“, „Zur Lage der Nation“ und „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ werden gehegt und gepflegt. Denn es gibt wohl kaum andere Alben, auf denen Themen wie „Der Brüter“ „Die Angst des Bürgers beim Fernsehen“ oder „Blockhead Dixie“ Programm sind und so richtig liebenswert ironisch durch den Kakao gezogen werden. Ein ähnlicher abgedrehter Humor ist auch bei Gina Schwarz‘ Stücken heraushörbar. Hinzu gesellen sich neben durchkomponierten Abschnitten ordentlicher Groove, tradierte wie freie Soli, harmonische bis hin zu freitonalen Passagen, ein wenig Melancholie und lyrisch-musikalische Linien.
Schlafloses Wiegenlied
So kommen Nummern wie „Caveman“, „Sandy Tracks“, „Black Days“ oder „Rabbit Trap“ außerordentlich abwechslungsreich daher. Für deren erstklassige Darbietung sind neun bestens disponierte Musiker zuständig. In der Besetzung mit zwei B-Klarinettisten, zwei Bassklarinettisten und einem Flötisten dominieren die Holzbläser. Die Rhythmussektion ist üblich: in diesem Fall eine Doppelhals-E-Gitarre, Klavier, Schlagzeug und Gina Schwarz am Kontrabass, spielt die Band unter der selbst bei vertrackten Rhythmuswechseln präzise Einsätze gebenden Klarinettistin Annette Maye, die Musik klar durchstrukturiert und mit festem Zugriff. Dabei stellt sich Schwarz neben ihren Kompositionen als eine hochvirtuose Kontrabassistin vor, die spielerisch leicht und absolut präzise mit wieselflinken, knackigen Soli begeistert. Auch die anderen Instrumentalisten glänzen mit packenden Improvisationen, die Bläser zusätzlich mit sehr variablen Tongebungen.
Diese rund zweistündige Kurzweil kommt richtig gut an. Frenetischer Beifall ist das Resultat, dass als eine Zugabe in einen „Chroal“ mündet. Er mutet wie ein kurzes Wiegenlied an, dessen einschläfernder Charakter qua der darin verpackten leichten Ironie aber ein kleines Kind nicht unbedingt zum Einschlafen bringt.
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