engels: Frau Haas, Sie sind seit sechs Jahren selbständige Unternehmerin. Haben Sie den Schritt schon einmal bereut?
Marlene Haas: Als Selbständige gibt es natürlich immer wieder schwierige Phasen. Wenn ich aber dagegen abwäge, welche Gestaltungsmöglichkeiten und Freiheiten ich in meinem eigenen Unternehmen habe, überwiegen für mich eindeutig die Vorteile.
Welche Eigenschaften muss eine Unternehmerin mitbringen, um sich am Markt zu behaupten?
Ich glaube, man kann das nicht so allgemein formulieren. Es gibt ja ganz unterschiedliche Motivationen, ein Unternehmen zu gründen. Manche wollen damit viel Geld verdienen, anderen geht es darum, den Abhängigkeiten eines Angestelltenverständnisses zu entkommen. Und wieder andere haben ein gesellschaftliches Anliegen, bei dem sie aktiv mitgestalten wollen. Das ist bei mir der Fall. Mein Anliegen ist es, mich mit meinem Unternehmen für eine nachhaltige Gesellschaft zu engagieren. Unabhängig davon sollte man als Unternehmerin aber auf jeden Fall Durchhaltevermögen und Beharrlichkeit mitbringen.
Wie sind Sie dazu gekommen, sich selbständig zu machen?
Ich bin da am Anfang eher so reingeschlittert. Nach meiner Ausbildung als Veranstaltungskauffrau habe ich diverse Bewerbungsgespräche geführt, war aber mit den Gestaltungsmöglichkeiten der möglichen Jobs eher unzufrieden. So habe ich angefangen, selbstständig tätig zu werden und erste Veranstaltungen im Bereich Nachhaltigkeit zu organisieren.
Nachhaltigkeit ist ein weites Feld. Was verstehen Sie darunter?
Kurz gesagt: Es geht darum, eine Gesellschaft zu ermöglichen, in der alle Menschen ein glückliches Leben führen können. Dabei geht es nicht in erster Linie um materielles Glück, etwa die Möglichkeit, sich einen Porsche leisten zu können, sondern um seelisches Glück. Das setzt ökologische und soziale Fairness voraus.
Sie sind Geschäftsführerin der „Lust auf besser leben gGmbH“ in Frankfurt. Was macht ihre Firma?
Im groben haben wir drei Tätigkeitsfelder. Zum einen organisieren wir lokale Projekte und Aktionen, gerade etwa in einem Frankfurter Stadtteil die Aktion Plastikfrei, dann haben wir ein Netzwerk geschaffen, in dem kleine Unternehmen und Vereine als Nachhaltigkeitsbotschafter die Vorteile von verantwortungsvollem Wirtschaften bündeln und kommunizieren können. Außerdem sind wir als Berater in Unternehmen tätig. So zeigen wir Firmen, wie sie faire Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten schaffen können, sich die Stromversorgung auf Ökostrom umstellen lässt oder welche Maßnahmen langfristig zu einem solideren Wirtschaften und weniger Ressourcenverbrauch führen.
Wie ist das Feedback von lokalen Unternehmen auf Ihre Tätigkeit?
Ganz unterschiedlich. Es gibt natürlich Unternehmen, die sich bereits sehr mit dem Thema beschäftigen und uns mit offenen Armen empfangen. Andere sind neugierig, sehen sich selbst aber nicht als nachhaltiges Unternehmen. Diese Unternehmen sind dann häufig erstaunt, dass sie in vielen Kriterien, etwa ihrer Ausbildung oder ihrem sparsamen Umgang mit Ressourcen, mehr Nachhaltigkeitsstandards erfüllen als sie selber dachten. Und dann gibt es die Skeptiker. Die Arbeit mit diesen Unternehmen ist häufig besonders spannend, da wir Firmen am Ende oft tatsächlich davon überzeugen können, dass viele Aspekte der Nachhaltigkeit auch aus unternehmerischer Sicht sinnvoll sind. Dazu braucht es aber konkrete Ansatzpunkte, wie zum Beispiel die Plastiktüte.
Nachhaltigkeit ist also mehr als ein Modewort?
Ja, schon alleine dadurch, dass die EU-Richtlinie zur Corporate Social Responsbility (CSR), also zur unternehmerischen Gesellschaftsverantwortung, in diesem Jahr auch in Deutschland in Kraft getreten ist, stehen viele Unternehmen unter Zugzwang. Natürlich ist der Begriff „Nachhaltigkeit“ für die Unternehmen auch ein großes Marketinginstrument. Ich finde es aber durchaus in Ordnung, wenn Firmen damit Werbung machen, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Das schärft schließlich auch das öffentliche Bewusstsein. Da bin ich bei dem Spruch „Tue Gutes und rede darüber“. Problematisch wird es nur, wenn Firmen reines „Greenwashing“ betreiben, in der Praxis also genau das Gegenteil tun wie in ihren Werbeversprechen. Das begegnet mir aber gerade bei kleinen Unternehmen so gut wie nie.
Seit 2014 sind Sie Vizepräsidentin der IHK Frankfurt am Main. Wie ist es als junge Frau in einer Institution, die man als Außenstehender eher mit älteren Herren assoziiert?
Das war tatsächlich zunächst ein ungewohntes Umfeld. Außer als Auszubildende hatte ich mit der IHK ja noch nie etwas zu tun. Da war ich am Anfang schon etwas zurückhaltender, als das eigentlich meine Art ist. Mir kam aber entgegen, dass schon damals das Thema CSR diskutiert wurde und die Unternehmer in der IHK froh waren, dass sich nun jemand des Themas „Nachhaltigkeit“ annahm. Ich habe also schnell sogenannte Multi-Stakeholder-Arbeitskreise zu nachhaltigen Entwicklungen im urbanen Raum ins Leben rufen können. Man könne auch einfach sagen: Arbeitskreise, bei denen Unternehmer, NGOs und Stadt an einem Tisch sitzen. Bei anderen Themen muss ich dagegen dickere Bretter bohren: Etwa beim Thema Partizipation oder transparente Kommunikation. Das betrifft meiner Meinung nach die meisten großen, gewachsenen Organisationsstrukturen.
2017 haben Sie innerhalb der IHK das deutschlandweit erste Kompetenzzentrum Nachhaltigkeit gegründet.
Mit diesem Superlativ wäre ich vorsichtig. Es gibt in Deutschland noch andere vorbildliche Pilotprojekte. Worauf ich aber besonders stolz bin: Dieses Kompetenzzentrum ist aus einer ehrenamtlichen Initiative hervorgegangen. Inzwischen konnten wir aber eine Vollzeitkraft und eine weitere Teilzeitstelle einrichten. Wobei 1,3 Mitarbeiter gemessen an den 113.000 Mitgliedern der IHK Frankfurt natürlich immer noch sehr wenig ist.
Wofür setzen Sie sich ein?
Wir wollen das Thema „Nachhaltigkeit“ sowohl innerhalb wie auch außerhalb der IHK vorantreiben. Innerhalb bedeutet, eine Nachhaltigkeitsstrategie für die Kammer als Organisation mit Beschaffung, usw. zu etablieren. Außerhalb spielt das Thema Aus- und Weiterbildung eine wichtige Rolle. So könnten die Lehrpläne in den Berufsschulen angepasst werden. Wichtig ist auch, politisches Gehör mit unseren wirtschaftspolitischen Forderungen zu finden und eine gute Öffentlichkeitsarbeit zu leisten.
Wie soll das funktionieren?
Bei der Nachhaltigkeit geht es um eine Systemtransformation, bei der die Wirtschaft über einen wichtigen Hebel verfügt. Letzen Endes geht es um einen Kulturwandel. Nachhaltiges Handeln setzt einen Bewusstseinswandel voraus, der von unten und von oben erfolgen muss. Also zum einem, indem das Wirtschaftssystem mehr soziale und ökologische Verantwortung übernimmt. Zum anderen aber auch, indem lokale Initiativen und Betriebe gestärkt werden und sich das Bewusstsein der Verbraucher ändert.
Woran hapert es noch?
Die Finanzierungsstruktur öffentlicher Gelder ist noch zu wenig auf das Thema Nachhaltigkeit ausgelegt. So gibt es für soziale Projekte ausgiebige Fördergelder und Strukturfonds. Ein ähnliches System sollte es auch für nachhaltige Projekte geben.
Haben Sie einen Tipp für junge Menschen, die sich ebenfalls engagieren wollen?
Ich glaube es gibt da keinen eindeutigen Tipp. Man sollte einfach Chancen nutzen, die sich einem bieten und vielleicht auch nicht zu dogmatisch sein. Es gibt Menschen, welche die Wirtschaft über Jahrzehnte als Feindbild betrachten. Dabei übersehen sie leicht die Transformationsmöglichkeiten, die sich auch innerhalb der Wirtschaft ergeben. Auch sollte man sich auf Leute zubewegen können, mit denen man zunächst vielleicht erst einmal wenig anfangen kann.
Mussten Sie lange überlegen, als Sie von der Wahl zur (ehrenamtlichen) Position der IHK-Vizepräsidentin erfuhren?
Ich glaube es war gut, dass ich gar nicht so genau wusste, was da auf mich zukommt. Vielleicht ist das der eigentliche Tipp: Nicht so viel überlegen, sondern einfach machen.
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