Nach dem internationalen Erfolg „Victoria“ folgt Regisseur Sebastian Schipper (51) in seinem fünften Film „Roads“ (Start: 30.5.) dem Engländer Gyllen, der kurz vor seinem 18. Geburtstag mit dem Wohnmobil seines Stiefvaters ausbüxt und den gleichaltrigen Kongolesen William aufgabelt. Beide wollen erstmal irgendwie – ohne Pass – raus aus Marokko, nach Spanien übersetzen, beide mit persönlichen Zielen in Frankreich. Zusammen erleben sie Freiheit und gehen durch dick und dünn, jeder auf seiner eigenen inneren und äußeren Suche.
engels: Sebastian, wie bist du überhaupt zum Film gekommen?
Sebastian Schipper: Ich kam zum Film, weil ich es tatsächlich geschafft habe, an der Otto Falckenberg Schule in München genommen zu werden – als Schauspielschüler. Ich habe an einem Kleinstadtgymnasium Abitur gemacht, und wenn man solche Sachen machen wollte wie ich, dann war man in der Theatergruppe, und in der wollten alle an die Schauspielschule. Ich glaube, keiner wäre darauf gekommen als Abiturient zu sagen: Ich gehe an eine Filmhochschule und werde Filmemacher. Aber kaum dass ich in München war, war einer der Mitbewohner eines Mitschülers Filmhochschüler. Und dann habe ich sofort mit Filmhochschülern zu tun gehabt und – spätestens als ich aufs Filmfest der Filmhochschulen in München gegangen bin, wo aus aller Welt junge Filmemacher hinkommen und ihre Kurzfilme zeigen – da war’s mir irgendwie klar. Da war ich so neidisch – grün vor Neid – und gleichzeitig so glücklich, ab da wollte ich gerne Filme machen.
Ich habe dann die Schauspielschule sogar irgendwann abgebrochen, um mich an der Filmhochschule zu bewerben, bin nicht genommen worden – was man jetzt natürlich immer so schön erzählen kann (lacht) – dann habe ich das noch fertig gemacht, bin Schauspieler geworden, war an den Kammerspielen – aber in einer ganz kleinen Mini-Position –, habe dann meinen ersten Kurzfilm gedreht, dann meinen zweiten Kurzfilm, dann habe ich bei Tom Tykwers „Winterschläfer“ mitgespielt, dann habe ich ihn kennengelernt – wieder mit mehr Glück als Verstand - und habe ihm von einer Kurzfilmidee erzählt. Wir sind dann irgendwann mal zusammen essen gegangen, als er in München war, und da hat er so gut zugehört, dass ich gesagt habe: Ich habe noch eine Idee für einen langen Film! Dann war er aber müde und meinte: Schreib auf, schick vorbei. Ich habe das ganz schnell aufgeschrieben – das war dann die erste Fassung von „Absolute Giganten“ – und ihm zugeschickt, und dann war kurz danach Silvester und ich bin mit meiner damaligen Freundin nach Zürich gefahren. Wir haben uns unglaublich in die Haare gekriegt und ich bin alleine wieder nach hause gefahren und in meiner WG angekommen, wo es natürlich total kalt war, und da blinkte so der Anrufbeantworter. Eine der Nachrichten war von Tom, der gesagt hat: „Ich habe gerade dein Drehbuch gelesen und find’s total toll.” Zwei Jahre später habe ich „Absolute Giganten“ gedreht.
Was bedeutet dir Kino – ist dir dieser Enthusiasmus erhalten geblieben?
Ja. Ich glaube, ich bin immer noch grün vor Neid und vollkommen glücklich auf meinen eigenen Beruf. Neulich hat mich jemand gefragt: Was ist der Unterschied zwischen Fernsehen und Kino? Ich habe gesagt, na ja, Zweitliga oder Champions League! Was natürlich total gemein ist, aber was ich damit meine oder neulich auch gesagt habe, war: Es gibt total gute Zweitligaspiele und es gibt total langweilige Champions-League-Spiele. Aber eins ist mal klar: Die Spiele, an die wir uns erinnern, das sind WM-Spiele und Champions-League-Spiele. Die Filme, die wirklich etwas für uns bedeuten, das sind Kinofilme. Okay, Serien und Zweitliga, das ist vielleicht auch ein bisschen gemein, also sagen wir mal Bundesliga oder „Pokal“. Aber ich glaube wirklich, Filme, die für dich vielleicht sogar lebensentscheidend sind, das sind Kinofilme.
Du hast jetzt mit „Roads“ so eine Art Roadmovie gedreht, mit zwei jungen Menschen auf der Suche. Wieso immer wieder die Entscheidung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu erzählen?
Ich glaube, dass die jungen Leute, die tatsächlich oft bei mir in Filmen auftauchen, für was stehen – für einen bestimmten Blick auf die Welt, der einfach und vielleicht auch naiv ist, aber den wir alle noch auf eine bestimmte Art und Weise in uns tragen. Wenn wir uns die Welt heute angucken, dann gibt es ganz viele Realisten und ganz viele Profis und wie man sie alle nennen will, aber ich glaube – ob es jetzt Fridays for Future ist oder Parkland Students oder welche Bewegung auch immer – diese jungen Leute benennen etwas, was wir alle verstehen – und was, glaube ich, uns auch entspricht. Dass wir die Welt angucken und den Kopf schütteln und sagen: Das kann doch nicht wahr sein! Deswegen mag ich diese jungen Protagonisten, die offen sind, die vielleicht auch Traumtänzer sind, die was wollen. Ich benutze manchmal den Begriff: die als Mensch noch so eine Werkseinstellung haben, in der Solidarität noch etwas bedeutet, in der Offenheit was bedeutet, in der die Sehnsucht danach, etwas zusammen zu tun, was bedeutet. Und ich habe oft das Gefühl, je älter wir werden, je mehr geht es darum, vernünftig zu sein. Ich wurde neulich tatsächlich auch zu „Roads“ in einem Publikumsgespräch gefragt, warum diese Hauptfigur so „dumm” ist. Und da habe ich gesagt: Na ja, vielleicht ist er nicht der Hellste, aber dass er nun nun unbedingt dumm ist? Und dann wurde gesagt: Na ja, er nimmt ja diese Migranten im Prinzip auch mit über die Grenze. Und da war ich dann auf dem Weg nach Hause auch schon geschockt, dass diese Art von Für-andere-etwas-Tun als dumm markiert wurde. Ich glaube, das hat viel mit einem falschen Begriff von Erwachsensein zu tun – dass man nur seinen eigenen Interessen hinterherjagt und verteidigt. Und ich glaube, dass das – wenn ich mich jetzt mal aus dem Fenster lehnen müsste – nicht glücklich macht.
Fionn Whitehead („Dunkirk“) und Stéphane Bak („Die Schüler der Madame Anne“) spielen die beiden Jungs – wie habt ihr am Set zusammengearbeitet?
Mit den Jungs habe ich es eigentlich immer spielerisch gehalten: Nicht im Sinn von: Jetzt improvisieren wir mal die Dialoge, aber wir haben das meist so gemacht, dass wir uns am Abend getroffen haben – oder mittags, wenn wir einen Nachtdreh hatten – und haben die Szene durchgelesen. Ich habe dann zum Beispiel Fionn gefragt, wie würdest du das sagen, wie fühlst du dich wohl? Ich glaube, er war damals 19 und ist ja wie die Figur aus London. Dann haben wir das durchgesprochen und die beiden waren wirklich Profis genug, um kurz darauf mit dem auswendig gelernten Text am Set zu sein. Ich bin jemand, der ganz schnell anfängt zu drehen, gar nicht groß alles ewig durchprobt, sondern schnell anfängt, spielerisch zu arbeiten. Da waren die beiden wirklich großartig drin und dafür.
„Roads“ ist ja eine echte europäische Co-Produktion, vollständig im Ausland gedreht, welcher Drehtag ist dir da besonders in Erinnerung geblieben?
Was wirklich der krasseste Drehtag war, war der erste Drehtag – in Marokko, da haben wir angefangen. Es war ein Nachdreh und nichts funktioniert, aber wirklich nichts! Die Walkie-Talkies funktionieren nicht, dann ist es ein deutsch-französisches Team, was sich auch noch kennenlernt, das Kernteam, und dann noch 40 oder 50 marokkanische Zusatzcrew. Wir drehen auf einer Straße, ein bisschen Straßenchaos, und Fionn Whitehead, dessen letzter Film mehr oder weniger „Dunkirk“ von Christopher Nolan war, ist also auf einmal in Marokko in dieser Karre drin, wir versuchen da Verkehrschaos zu inszenieren, er hatte da seit einer Woche seinen Führerschein, und das Auto ist immer ausgegangen. (lacht) Die Beleuchter hatten so ein paar Lampen um ihn herumgebaut, aber dadurch ging das anscheinend auch immer aus, und er hat dann irgendwann ganz zaghaft gesagt: „Sebastian, ich seh die Straße gar nicht.“ Denn die Scheinwerfer hatten wir auf Standlicht heruntergeschaltet, damit die Elektrik des Autos funktioniert, und dann haben wir tatsächlich mit Klebeband eine Taschenlampe vorne ans Auto geklebt, um fünf Meter weiter die Straße anzuleuchten, und ich habe wirklich gedacht: Oh Gott, ist das peinlich. (lacht) Dann hat sich aber auch sofort gezeigt, dass er auch ein echter Abenteurer ist und ihm das überhaupt nichts ausgemacht hat. – Danach sind wir so langsam in Gang gekommen, dann wurden wir langsam besser und immer besser. Dann haben wir in Südspanien gedreht, in Nordspanien, in Frankreich… Als wir in Frankreich angekommen sind, hatte ich das Gefühl, da waren wir schon so langsam mal richtig gut in dem, was wir so gemacht haben, und man konnte uns ernstnehmen.
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