Für Drehbuchautorin Heike Fink ist diese Filmvorführung auch ein wenig, wie nach Hause zu kommen. Zu dem Film „Nice Places To Die“, einer beeindruckenden Reise in den Totenkult unterschiedlicher Kulturen, hat sie nicht nur Buch und Idee beigesteuert, sondern auch zahlreiche Interviews auf der ganzen Welt geführt. Jetzt steht sie zwischen den roten Kinositzen des Cinema ihrer Heimatstadt Wuppertal und nimmt den Applaus der sichtlich bewegten Zuschauer entgegen.
„Nices Places To Die“ ist ein Film mit Wirkung. Und das liegt nicht so sehr daran, dass sich der Film mit einem per se tiefsinnigen Thema, der Endlichkeit des irdischen Daseins, auseinandersetzt. Es ist noch nicht einmal die Tatsache, dass Regisseur Bernd Schaarmann, der sich gleich zu Beginn der Dokumentation als „Bestatterkind“ vorstellt, hier die Geschichte seines Lebens erzählt (das tragischerweise kurz nach Ende der Dreharbeiten ein völlig überraschendes Ende nahm), die im Film den tiefsten Eindruck hinterlassen wird. „Nice Places To Die“ ist vor allem deshalb ein wirklich sehenswerter Film, weil er ein intensives Portrait des Lebens darstellt. Dabei schafft das Thema Tod als allumfassender gemeinsamer Nenner der Dokumentation vor allem eins: Es erzeugt eine bemerkenswerte Nähe zu seinen Protagonisten und deren Lebensläufen.
„Ohne den Tod könnten wir nicht leben“, sagt gleich zu Beginn die junge Mutter auf dem Nordfriedhof der philippinischen Metropole Manila. Das ist nicht als metaphysisches Bekenntnis gedacht, sondern beschreibt schlicht und einfach ihre Lebensrealität. Der Friedhof mit seinen imposanten Familiengruften gibt nämlich Menschen Arbeit und ein Dach über dem Kopf, für die es sonst nur einen Ort gäbe: die gefährlichen und verschmutzten Slums am Stadtrand. Und so ist der Manila Northern Cemetery ein Ort voller Geschäftigkeit. Kinder spielen mit Totenschädeln, nachts wird getanzt und über den Gruften haben sich die Menschen Schlafräume, Küchen und sogar Toiletten gebaut. Man verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Pflegen von Gräbern, dem Einbalsamieren von Leichen und dem Verkauf von Süßigkeiten zum großen Volksfest: Allerheiligen.
Niemand wohnt hier gerne. Alle träumen von einem besseren Leben. Doch gerade aufgrund ihres pragmatischen Umgangs mit dem Tod spiegelt sich in den Geschichten der Friedhofsbewohner auch eine große Lebensweisheit wieder. Es ist eine Gelassenheit, die dem Filmzuschauer immer wieder in den Gesichtern der Protagonisten begegnet. Seien es die Totenstadt-Einwohner von Kairo, die hier mitten in der muslimischen Welt genauso in Gräbern wohnen wie im erzkatholischen Manila. Seien es die Toraja auf der indonesischen Insel Sulawesi, die ihre Toten wie kranke Familienmitglieder noch über Jahre in ihrer Wohnung liegen lassen. Oder der argentinische Leichenwagen-Fahrer Ricardo, für den der Job zunächst nur ein Weg aus der Arbeitslosigkeit war und der nun während seiner Fahrten durch die epischen Landschaften Südamerikas eine ganz neue Perspektive auf das Leben bekommen hat.
Am Ende der Filmvorführung stellt das Wuppertaler Publikum viele Fragen. Heike Fink erzählt also von den Gerüchen und Geräuschen auf dem Friedhof. Von dem umfangreichen Filmmaterial, das man gesammelt hat. 120 Stunden insgesamt. Von Bernd Schaarmanns Ehefrau Esther Hilsberg, die sich um die Musik gekümmert hat und deren Gesangsstimme sogar im Film zu hören ist. Und von der manchmal langwierigen Zusammenarbeit mit dem Fernsehen (WDR/arte), wo der Film wohl 2016 zu sehen sein wird. Den Sehgewohnheiten des Fernsehens sind wohl auch der Filmtitel sowie die teilweise etwas zu gewollt wirkenden Off-Kommentare geschuldet, die dem grandiosen Szenario des Films aber insgesamt keinen Abbruch tun.
„Eigentlich müsste der Film ‚Nice Places To Live‘ heißen“, sagt jemand im Publikum. Das klingt in diesem Moment ebenfalls etwas platt. Doch die Zuschauer pflichten ihm bei: „Nice Places To Die“ ist tatsächlich ein Lebensfilm, der im Idealfall noch längere Zeit nachwirkt. Als Gefühl der Dankbarkeit auf das eigene Leben.
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