Kann es sein, dass diese herzliche, fürsorgliche Person in Wahrheit eine Schraube locker hat? Oder ist sie vielmehr die Einzige, die die gefährliche Wahrheit erkennt? – Am Ende spricht vieles für erstere Möglichkeit. Doch sicher sein kann man sich nie in Henry James’ knapp 120 Jahre alter Geistergeschichte „The Turn of the Screw“. Nur etwa halb so alt ist die Vertonung der Erzählung zu einer Kammeroper durch Benjamin Britten. Das Gelsenkirchener Musiktheater eröffnet damit die neue Saison.
Es ist die unklare Erzählperspektive, die den Reiz der Story ausmacht: Verhalten sich diese eigenartigen Kinder nicht tatsächlich verdächtig? Und hat die Haushälterin nicht selber erzählt, dass sie die bösen Geister kennt, die da doch so offensichtlich durchs Landhaus Bly geistern? Oder lässt uns der Autor einfach nur an der gestörten Wahrnehmung einer geisteskranken Gouvernante teilhaben? Die junge Regisseurin Rahel Thiel weiß, dass es die kleinen Dinge sind, die Atmosphäre schaffen: die unterschwellige und doch unübersehbare Feindseligkeit der jungen Flora, die dunklen, unübersichtlichen Ecken im Treppenhaus, in denen sich die unheimlichen Schatten tummeln.
Entsprechend reduziert und zurückgenommen fällt ihre Inszenierung im Kleinen Haus aus. Es ist das rechte Maß an Zurückhaltung. Ein Bett auf der einen Bühnenseite sowie ein enges Treppenhaus mit Kronleuchter im Zentrum reichen als Kulisse völlig aus. Den Rest – und das ist nicht wenig – besorgen Licht und Schatten (Licht: Patrick Fuchs).
Petra Schmidt und Cornel Frey spielen ihre Rollen als Untote bravourös, und sie wurden von den jungen Ausstatterinnen Lisa Schoppmann und Frederike Malke auch wahrlich schaurig ausstaffiert. Dass so viele Nachwuchskräfte bei dieser Produktion beteiligt sind, liegt an einer Kooperation mit der Musikhochschule Weimar, die im Ergebnis als durchweg erfolgreich angesehen werden kann. Die herausragenden Besetzungen der Kinderrollen hingegen sind Früchte einer gelungenen Nachwuchsförderung im Ruhrgebiet. So ist die 22-jährige Sopranistin Judith Caspari, die die Flora singt, Folkwang-Studentin und Mitglied des „Jungen Ensembles“ in Gelsenkirchen. Die drei noch viel jüngeren Knaben, die abwechselnd den Miles singen (Julius Röttger bei der Premiere), sind Zöglinge der Chorakademie Dortmund. An der Seite von Alfia Kamalova, die eine glänzende Gouvernante gibt, konnten sich die jungen Sänger bei der Premiere auf einem erstaunlichen Niveau behaupten. Ebenfalls gut besetzt ist die Rolle der Haushälterin mit Noriko Ogawa-Yatake. Unter Leitung von Valtteri Rauhalammi spielt die Neue Philharmonie Westfalen in nur 13-köpfiger Besetzung im hinteren Teil der Bühne auf. Musik und Bühnengeschehen fügen sich zu einem atmosphärisch dichten, fesselnden Ganzen, das am Ende zu Recht ausgiebig bejubelt wird.
„The Turn of the Screw“ | R: Rahel Thiel | 2., 9., 30.10. je 18 Uhr, 7., 22.10. je19.30 Uhr | Musiktheater im Revier | 0209 409 72 00
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