Sandra Schöttner (37) ist Meeresbiologin, arbeitet bei Greenpeace und beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Thema Plastikmüll im Meer.
engels: Frau Schöttner, was denken Sie eigentlich, wenn Sie Strandurlaub machen und das Meer sehen?
Sandra Schöttner: Im schönsten aller Fälle nehme ich die frische, salzige Luft wahr, das Rauschen der Wellen und glitzerndes, türkisblaues Wasser – und bin mir auch bewusst, dass es unter der Oberfläche ein pralles, buntes Leben gibt. Als Meeresbiologin mache ich mir aber auch Sorgen um das Meer. Das muss ich ganz klar sagen.
Das wäre dann der schlechte Fall. Woran denken Sie dann?
Sandra Schöttner (37) ist Meeresbiologin, arbeitet bei Greenpeace und beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Thema Plastikmüll im Meer.
Ich weiß, dass wir Menschen seit Jahrzehnten unsere Meere plündern, vermüllen, vergiften und zerstören, und dass das so schnell kein Ende finden wird. Das macht mir sehr große Sorge. Eines der Hauptthemen derzeit ist die Verschmutzung mit Plastikmüll.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation von Meeren und Gewässern? Gibt es dazu eigentlich Zahlen?
Grundsätzlich ist es schwierig, auf verlässliche Zahlen zu kommen, weil es sich immer nur um Schätzungen oder Hochrechnungen handeln kann. Es gibt Hinweise, zum Beispiel wissenschaftliche Proben oder Müllsichtungen, die von Schiffen aus durchgeführt werden. Fakt ist aber: Unsere Meere verkommen zum Endlager für Plastikmüll. Jedes Jahr gelangen von Land aus 13 Millionen Tonnen Plastikabfälle ins Meer. Diese Zahl bezieht sich auf Schätzungen aus 92 Küstenstaaten. Wir gehen davon aus, dass die eigentliche Menge noch höher ist. Ungefähr 80 Prozent davon kommen von Land, 20 Prozent gelangen durch Schifffahrt oder Tourismus ins Meer. Bei einer Zahl, die von der UN herausgegeben wird, geht man von über 150 Millionen Tonnen Plastikmüll im Meer aus. Auch hier schätzen wir die Zahl noch als zu gering ein.
Bei diesen Zahlen ist davon auszugehen, dass die Situation aktuell nicht besser wird.
Zumindest die Aufmerksamkeit für das Thema nimmt stetig zu. Ebenso wächst das Problembewusstsein in der Bevölkerung. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch für andere Kontinente. Wir wissen aber, dass es ein weiter Weg vom Bewusstsein bis zum aktiven Handeln im Alltag ist. Plastik spielt in unserem täglichen Leben eine Hauptrolle. Derzeit produzieren wir weltweit ungefähr 311 Millionen Tonnen Plastik im Jahr. Die Tendenz ist stark steigend, eine Verdoppelung in den nächsten 20 Jahren wird erwartet. Besser wird es mit der Verschmutzung sicher nicht, wenn wir weiterhin so viel Plastik produzieren, verbrauchen und nicht fachgerecht versorgen.
Für Sie ist es also ein Lösungsansatz, weniger zu produzieren?
Definitiv. Prävention muss an oberster Stelle stehen. Das betrifft nicht nur Politik und Industrie, sondern Menschen wie Sie und mich. Man sollte sich an die fünf R’s halten – auf Englisch: refuse, reduce, reuse, repurpose, recycle. Refuse, also verweigern, steht an erster Stelle. Im Alltag geht es zum Beispiel um Mikroplastik in Kosmetika, aber auch um unnötiges Wegwerfplastik wie Plastikflaschen, To-go-Kaffeebecher oder Einwegtüten. Da ist viel zu viel im Umlauf. Die Industrie hält gerne Schritt, weil das Marketing oft mit der Verpackung verbunden ist.
Fordern Sie, dass die Produktion gesetzlich eingeschränkt wird?
Tatsächlich ist das der wichtigste Schritt. Neben der Reduktion im Alltag muss es seitens des Gesetzgebers Entscheidungen geben, zum Beispiel gegen Einwegplastiktüten. Freiwillige Selbstverpflichtungen seitens des Handels und der Industrie reichen auf lange Sicht nicht aus.
Warum ist es für den Menschen eigentlich wichtig, die Verschmutzung zu beseitigen?
Der Fokus liegt einmal auf der Umwelt, und einmal auf dem Menschen. In der Umwelt werden Plastikteile zur tödlichen Falle für viele Lebewesen wie Seevögel, Schildkröten oder Delfine, aber auch für Fische und kleinere Organismen. Diese Tiere verheddern sich und verletzen sich, oder sie verwechseln Plastikteile mit Nahrung. Sie verstopfen ihr Verdauungssystem und die Tiere verhungern letztendlich. Auch der Mensch muss sich in Acht nehmen. Durch Wellengang und UV-Strahlen wird das Plastik zu Mikroplastik zersetzt. Diese Teile landen in der Nahrungskette und werden nach der Aufnahme zu Fremdkörpern. Das kann zu Entzündungen im Gewebe führen. Sie binden auch Schadstoffe wie Weichmacher, Pflanzenschutzmittel oder Farben. Wenn sie mit der Nahrung aufgenommen werden, ist das unter Umständen nicht ohne Konsequenzen.
Welche Lösungsansätze für das Plastikproblem finden Sie sinnvoll?
Ich muss ehrlich sagen: Das Plastik aus dem Meer zu beseitigen ist nur in geringem Maße wirklich sinnvoll. Wenn es um große Teile geht, wie Fischernetze, die geborgen werden können, ja. Oder um Müll, der gesammelt werden kann, wie zum Beispiel bei einer Strandreinigung. Man muss sich allerdings befreien von dem Wunschdenken, dass man die Meere mal eben komplett von Plastik reinigen könnte – gerade was das Mikroplastik angeht. Unserer Ansicht nach ist das eine Utopie, die von der Verantwortung ablenkt, Plastik gar nicht erst ins Meer kommen zu lassen. „The Ocean Cleanup“ zum Beispiel ist ein einerseits hochgelobtes, andererseits kritisch beäugtes Projekt. Da müssen wir erst einmal abwarten. Als Marinebiologin sehe ich das eher skeptisch, da viele kleine Organismen bei der Filterung leiden könnten. Projekte wie die von Adidas oder G-Star, bei denen Produkte aus Meeresplastik hergestellt werden, sind aus unserer Sicht eher Marketing-Strategien. Sie helfen, das Problem ins Bewusstsein zu bringen, die Ressourcen sollten aber besser in Innovation gesteckt werden, zum Beispiel für ein zukunftsträchtiges Re-Design von Produkten.
Bedeutet das, dass es schwierig ist, Unternehmen einen Profit durch Recycling von Abfällen aus dem Meer schmackhaft zu machen? Fehlen dafür die Technologien?
Der Gewinn muss vom generellen Nutzen für die Menschheit getrennt werden. Es gibt einige Initiativen, die in diesem Bereich unterwegs sind. Viele Innovationen, die aktuell angestoßen werden, können durchaus als Sprungbrett für zukunftsträchtige Technologien dienen. Es wäre aber kurzsichtig, nur bis zum Produkt zu denken. Es muss weit über den Produktionszyklus hinaus gedacht werden. Beim Recycling sind noch einige Fragen offen. Momentan ist nichts auf den Markt, das erfolgversprechend sein könnte. Allerdings bin ich Ihrer Meinung, dass es über den Profit laufen muss, denn wir befinden uns in einem System des Wirtschaftswachstums und es geht immer um Profit. Firmen müssen ihren eigenen Ansatz finden, sonst gibt es keinen Anreiz. Da sehen wir die Verantwortung aber eben auch in der Politik.
Ist die Plastiktüte im Meer ein Symbol für das Versagen der Menschheit im Umgang mit der Umwelt?
Absolut. Die Plastiktüte ist zum traurigen Symbol geworden. Und sie ist gleich noch in guter Gesellschaft mit der Einweg-Plastikflasche. Beide stehen nicht nur als Ikonen für Helfer im Alltag, sondern eben auch für die Verschmutzung.
Wie halten Sie es denn persönlich, wenn Sie einkaufen gehen?
Auch wenn es schwerfällt, versuche ich tatsächlich im Alltag so viel wie möglich auf Plastik zu verzichten. In vielen Fällen scheint das nur mit größter Anstrengung durchsetzbar. Ich setze auf Mehrweg, nehme seit Jahren nur noch Rucksack, Korb oder Tragetaschen mit und verzichte grundsätzlich auf Plastiktüten. Zuhause kommt das Wasser aus dem Hahn. Wenn ich Getränke kaufe, sind die Flaschen aus Glas. Verpackungen, die mir extrem ein Dorn im Auge sind, versuche ich dadurch zu vermeiden, dass ich regional kaufe. Obst oder Gemüse packe ich in eigene Beutel.
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