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„Unsere Vorstellungen von Attraktivität sind sehr ähnlich“

29. Juni 2017

Persönlichkeitspsychologe Lars Penke über die biologischen Grundlagen sexueller Anziehung – Thema 07/17 Neue Zärtlichkeit

engels: Herr Penke, wenn Sie eine Zahl nennen müssten: Welchen Anteil hat die Biologie daran, was wir attraktiv finden, welchen unsere Sozialisation?
Lars Penke: Eine solche Unterscheidung macht für mich keinen Sinn. Es geht bei sexueller Anziehung um ein Zusammenspiel unterschiedlicher Kräfte, also: unserer genetischen Anlagen, kulturellen Herkunft und persönlichen Entwicklung im Lauf eines Lebens.

Ohne Biologie gibt es keine sexuelle Anziehung?
Auch das ist für mich etwas zu allgemein formuliert. Es ist klar: Die Biologie bildet die Grundlage unseres Daseins und gibt unsere grundsätzliche Art zu Denken vor. Dazu gehört unser Fortpflanzungstrieb. Es gibt deshalb ziemlich allgemeingültige Merkmale dafür, was wir als Menschen attraktiv finden. So gelten bei Frauen feminine Gesichtszüge und Jugendlichkeit als besonders anziehend für Männer. Bei Männern ist die Anziehung eher kontextgebunden. Grundsätzlich sind hier ebenfalls eher weiche Gesichtszüge, ein starker Körperbau und Körpergröße Attraktivitätsmerkmale.

Gibt es hierbei Unterschiede zwischen Hetero- und Homosexuellen?
Das ist ein sehr komplexes Thema. Untersuchungen zeigen, dass die grundsätzlichen Schemen hier ganz ähnlich sind wie bei heterosexuellen Paaren. Auch hier spielen Merkmale eine Rolle, die als besonders fortpflanzungsversprechend empfunden werden. Nur eben beim eigenen Geschlecht.

Hat nicht jeder sein persönliches Beuteschema?
Wir haben herausgefunden, dass sich die Menschen recht einig darüber sind, welche Gesichter als attraktiv empfunden werden. Diese Kriterien lassen sich ziemlich objektiv bestimmen: So gelten symmetrische Gesichter als attraktiver als schiefe Gesichtsformen. Bestimmt man den Mittelwert aus einer Anzahl an Gesichtern, erreichen die Gesichter den größten Attraktivitätswert, die diesem Mittelwert am nächsten kommen. Abweichungen, etwa große Ohren, werden dagegen als weniger attraktiv empfunden. Es mag persönliche Präferenzen geben, etwa blondes oder brünettes Haar. Diese haben aber nach unseren Erkenntnissen vergleichsweise eine eher schwache Bedeutung.

Widerspricht die biologische Herangehensweise nicht klassischen Positionen, etwa Freuds Ödipus-Komplex-Theorie?
Zunächst einmal: Freud war ja selber Nervenarzt und hatte einen biologischen Zugang zu seinen Patienten. Viele der Theorien, die Freud damals ohne empirische Beweise in den Raum gestellt hat, gelten aber heute als überholt und statistisch widerlegt.Freuds Fokus auf die frühkindliche Prägung ist empirisch nicht zu belegen: Etwa seine Theorie, dass die eigenen Eltern Vorbild bei der späteren Partnerwahl sind. Die frühkindliche Prägung ist vielmehr nur der erste Stupser dafür, wie wir uns als spätere Partner entwickeln. Es zählt dafür vielmehr unser ganzer Werdegang. Beispielsweise unsere Sozialisation. Wenn wir im Lauf unseres Erwachsenwerdens positive Erfahrungen mit anderen Menschen, etwa Freunden, gemacht haben, werden wir vermutlich auch in einer Partnerschaft weniger Bindungsängste haben.

Welche Attraktivitätsmerkmale gibt es neben den körperlichen?
Das hängt davon ab, in welchen Zusammenhang die Partnersuche erfolgt. Geht es nur um Sex? Oder wird eine langfristige Partnerschaft angestrebt? Dann spielen auch sozio-ökonomische Aspekte eine Rolle. Für Frauen sind der Status und das berufliche Potential ihres Partners häufig wichtige Aspekte. Es gibt die beiden Sprichworte: „Gegensätze ziehen sich an“ und „Gleich und Gleich gesellt sich gern“. Wenn überhaupt, gilt nur der zweite Spruch: Menschen mit ähnlichen Intelligenzwerten oder Mitglieder ähnlicher sozialer Milieus kommen als Partner besonders häufig zusammen.

Klingt, als ginge es zu wie auf dem Marktplatz.
Die Vorstellung eines Marktes aus Angebot und Nachfrage ist eine treffende Beschreibung, mit der auch in der Wissenschaft gearbeitet wird. Grundsätzlich streben Menschen danach, einen möglichst attraktiven Partner zu finden. Im Laufe ihres Lebens müssen sie aber ihren eigenen Marktwert erkennen und ihre Ansprüche entsprechend herunterschrauben.

Was sagen Sie dazu, dass der neue französische Staatspräsident mit einer Frau verheiratet ist, die fast 25 Jahre älter ist als er?
Diese Frage wurde mir neulich schon gestellt. Ich kann nur sagen, dass es in einer Partnerschaft auch andere Grundlagen geben kann, als die biologisch bedingte Attraktivität. Auch kann ich als Wissenschaftler nur den Durchschnitt bestimmen und keinen Erklärungsversuch für jede einzelne Beziehung liefern.

Sie arbeiten in Ihrer Forschung unter anderem mit Online-Tagebüchern. Wie funktioniert das?
Das sind Fragebögen, die Studienteilnehmer täglich ausfüllen, zum Beispiel auf einem Tablet-PC. Dabei interessiert uns insbesondere der Zusammenhang von Menstruationszyklus und sexueller Lust bei Frauen: Wann sind zum Beispiel Seitensprungfantasien besonders groß.

Sie fragen die Frauen, ob sie fremdgehen?
Diese Frage taucht im Fragebogen tatsächlich auf. Sie spielt aber eine eher untergeordnete Rolle. Uns interessiert eher, was sich im Kopf der Frauen abspielt. Also welche Fantasien sie entwickeln und welche sexuellen Sehnsüchte sie dabei auf ihren Partner oder andere Männer projizieren. Damit konnten wir nachweisen, was schon lange vermutet wurde: Nämlich, dass es einen Zusammenhang zwischen der Ausschüttung von Östrogen, Progesteron und sexueller Lust gibt, Frauen also nach dem Eisprung deutlich stärkere sexuelle Fantasien entwickeln. Das heißt aber lange nicht, dass die Frauen dann tatsächlich fremdgehen. Fremdgegangen wird in der Realität sowieso viel seltener, als das in den Medien suggeriert wird.

Eine andere Methode sind Speed-Datings. Sitzen Sie da als Forscher mit am Tisch?
Nein, wir haben dazu Separees aufgebaut und die Dates per Kamera gefilmt. Diese Studien sind übrigens teilweise schon eine ganze Weile her. Neulich bekamen wir einen Anruf von einer Frau, die eines der Videos für ihre Hochzeit haben wollte. Sie hat den Mann nun geheiratet, den sie damals kennengelernt hatte − zehn Jahre nach der Studie.

Können Sie bei Speed-Datings mit geschulten Blick erkennen, wer beim Gegenüber besonders gut ankommen wird?
Dafür braucht es sicherlich nicht meine Expertise als Psychologie-Professor. Wer besonders gut ankommen wird, kann eigentlich jeder prognostizieren. Unsere Vorstellungen von Attraktivität sind sehr ähnlich.

Gibt es den einen Moment, in dem es funkt?
Auf jeden Fall kann man sagen, dass viel nach den ersten 500 Millisekunden, auf jeden Fall aber nach den ersten 30 Sekunden passiert. Es ist erstaunlich: Die Teilnehmer wollten nach dem Dating nicht die Leute wiedersehen, mit denen sie ein besonders gutes Gespräch hatten oder die eine besonders clevere Flirttaktik an den Tag legten. Nein, sie wählten diejenigen, die ihnen instinktiv am attraktivsten erschienen.

Dann müssten die neuen Online-Portale die perfekte Plattform sein, um den perfekten Partner in der eigenen Attraktivitäts-Preisklasse zu finden.
Online-Portale eröffnen tatsächlich einen riesigen Markt potentieller Partner. Bei den sogenannten Matching-Algorithmen, mit denen die perfekten Kandidaten zusammengebracht werden sollen, bin ich aber etwas skeptisch. Das ist mir doch etwas zu pseudo-wissenschaftlich.

Was bleibt da übrig von Liebe und Romantik?
Der Spielraum, um die eigene Attraktivität zu erhöhen, ist so oder so begrenzt. Man sollte sich darauf konzentrieren, einen Partner innerhalb der großen Bandbreite an Möglichkeiten zu finden, in der eine langfristige Beziehung realistisch erscheint. Dann wird mit Sicherheit auch Liebe und Romantik nicht zu kurz kommen. Wenig Sinn macht es dagegen, seinen Marktwert künstlich erhöhen zu wollen. Das hat auf Dauer noch nie funktioniert.


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