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Hugh Welchman und Dorota Kobiela, die Regisseure von „Loving Vincent“.
Foto: Presse

„Vincent musste nicht auf Realismus achten“

21. Dezember 2017

Hugh Welchman über „Loving Vincent“ – Gespräch zum Film 01/18

Hugh Welchman studierte in Oxford zunächst Philosophie, Politik und Wirtschaft, bevor er sich entschloss, ins Filmbusiness zu wechseln. Nach einer Ausbildung an der National Film & Television School in Beaconsfield erhielt er bereits für sein Kurzfilmdebüt als Produzent, „Crow Stone“, erste Auszeichnungen u.a. in Cannes. Für Suzie Templetons Kurzanimationsfilm „Peter & the Wolf“ bekam Welchman 2008 einen Oscar. Mit „Das fliegende Klavier“ realisierte er 2011 seinen bislang international erfolgreichsten Langfilm. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Dorota Kobiela hat er nun bei „Loving Vincent“ erstmals auch Regie geführt. Der Animationsfilm um den Tod des Malers Vincent van Gogh startet am 28. Dezember in den Kinos.

engels: Mr. Welchman, Sie und Dorota Kobiela sind Partner im Leben und bei der Arbeit. Wie haben Sie sich die Arbeit als gemeinsame Regisseure an „Loving Vincent“ aufgeteilt?

Hugh Welchman: Zunächst war der Film allein Dorotas Projekt, sie hatte geplant, daraus einen Kurzfilm zu machen. Als wir uns kennenlernten, habe ich sie in mein eigenes Filmprojekt eingespannt und sie hat „Loving Vincent“ erst einmal auf Eis gelegt. Dann haben wir uns ineinander verliebt, haben geheiratet und zunächst das Projekt beendet, an dem ich gearbeitet hatte. In all den Jahren, in denen wir uns dann schon kannten, lernte ich ihr Projekt immer besser kennen und hielt es für ganz außergewöhnlich. Visuell war es für mich überaus faszinierend, obwohl ich schon viele Jahre im Animationsbereich gearbeitet hatte. Deswegen wollte ich daraus unbedingt einen langen Spielfilm machen. Dorota hatte die erste Drehbuchfassung geschrieben, und bei der zweiten arbeiteten wir schon so intensiv gemeinsam an dem Projekt, dass wir uns entschieden, es gemeinsam zu schreiben. Ich war zu diesem Zeitpunkt ganz fasziniert von Vincent van Gogh, dessen Geschichte ich zuvor fast gar nicht gekannt hatte. Sowohl beim Drehbuch als auch bei den Storyboardentwürfen haben wir komplett zusammengearbeitet. Auch bei den Realdrehs mit den Schauspielern und beim Schnitt haben wir uns die Arbeit geteilt. Als es dann darum ging, die Einzelbilder zu malen, übernahm Dorota die Leitung dieses Animationsprozesses, weil sie im Gegensatz zu mir langjährige Erfahrungen als Ölmalerin hat. Sie war verantwortlich für die Abnahme der gemalten Animationen, und dafür, Vincent van Goghs Gemälde für die Kinoleinwand zu adaptieren. Ich habe sie dabei unterstützt und habe mich um die Ton- und Musikaufnahmen gekümmert. Wir hatten einen sehr strammen Zeitplan, weswegen es ganz gut war, dass wir die Arbeit untereinander aufteilen konnten. Und in der Postproduktion haben wir dann wieder zusammengearbeitet.

Worin lag für Sie die größte Herausforderung, einige von van Goghs bekanntesten Gemälden in bewegte Bilder umzusetzen?

Da gab es eine ganze Reihe Herausforderungen. Vincent hat die unterschiedlichsten Formate für seine Gemälde verwendet, wohingegen wir beim Film nur ein Seitenverhältnis benutzen konnten. Wir mussten uns verschiedene Methoden ausdenken, seine Bilderformate für unsere Leinwand zu adaptieren, ohne dabei den Geist und den Bildaufbau von van Goghs Werken zu verlieren, wir wollten ihm dabei so gerecht wie möglich werden. Van Gogh hat das ganze Jahr über gemalt, aber unser Film spielt während einer Woche im Sommer. Deswegen mussten wir einige seiner Gemälde unserer Jahreszeit anpassen. So wurden einige seiner Herbst- und Winterbilder bei uns zu Sommergemälden (lacht). Ein weiteres technisches Problem bestand darin, dass Vincent seine Farben häufig direkt auf der Leinwand gemischt hat. Das ist unmöglich, wenn man mit 125 Malern zusammenarbeitet, weil man sicherstellen muss, dass die Farben von Bild zu Bild nicht zu stark voneinander abweichen. Auch die Perspektive stellte eine Herausforderung dar, denn Vincent musste bei seinen Perspektiven nicht auf Realismus achten. Wenn man Figuren aber in Bewegung versetzt, muss man auf deren Rückgrat und deren Knochenstrukturen Rücksicht nehmen, weil das Ergebnis sonst sehr unecht aussieht. Van Gogh hat darüber hinaus bewusst einige Perspektivregeln missachtet, wenn er sowohl den Vordergrund als auch ein Element aus dem Hintergrund eines Landschaftsgemäldes gleichzeitig fokussierte. In einem Film kann man das nicht machen. Die allergrößte Herausforderung bestand aber vielleicht darin, unser Malerteam zu schulen. Als wir mit dem Projekt begannen, gab es eigentlich auf der ganzen Welt keine Animatoren, die sich mit Ölmalerei auskannten. An drei Tagen haben wir deswegen Vorsprechtermine mit 500 Ölmalern abgehalten, von denen wir schließlich 125 auswählten, mit denen wir danach sehr intensive Trainingskurse absolvierten.

Etwas in dieser Art wurde noch nie zuvor gemacht, immerhin haben Sie für diesen Film rund 65.000 Ölgemälde anfertigen lassen. Würden Sie das noch einmal für ein anderes Projekt tun?

Auf jeden Fall! Wir mussten für dieses Projekt eine eigene Studioinfrastruktur entwickeln, und wir haben dafür ein großartiges Team an Malern zusammengestellt und nach unseren Vorgaben ausgebildet. Ich glaube, es gibt noch eine Menge weiterer interessanter Anwendungsgebiete für gemalte Animationen. Wahrscheinlich werden wir nicht noch einmal eine derart geradlinige Biografie verfilmen. Hier ging es immer darum, Vincents Geschichte über seine Gemälde zum Leben zu erwecken. Als Maler war Vincent höchst ungewöhnlich, denn er malte so ziemlich alles, was in seinem Leben eine Rolle spielte. Die meisten anderen Maler erhielten Aufträge für Landschaftsgemälde, Stillleben oder religiöse Motive, weswegen man über ihre Werke eigentlich keinen Eindruck in ihren Lebensalltag erhält. Vincent hingegen malte sein Schlafzimmer, den Blick von dort nach draußen, seine Schuhe, sein Essen, den Kellner, der es servierte, die Bars, in die er immer ging – man kann durch seine Gemälde ein ganz gutes Bild von seinem Leben erhalten. Es gibt eine sehr starke Verbindung zwischen seinem Leben und seinen Arbeiten, die deswegen sehr persönlich sind. Das kann man in dieser Form mit keinem anderen Künstler sonst nachempfinden. Aber wir schauen uns einige andere Maler an, und haben von der Stuttgarter Landesregierung Geld bekommen, um einen gemalten Horrorfilm nach Motiven von Goya zu realisieren. Wir waren gerade in Madrid im Prado-Museum und haben dort seine Arbeiten studiert. Das ist eines der anstehenden Projekte, die wir gerne mit unserem Team realisieren würden.

Sie haben offensichtlich viel über van Goghs Leben recherchiert. Wie nah an den tatsächlichen Ereignissen um seinen Tod ist die Geschichte Ihres Films?

Wir wollten immer die verschiedenen Theorien vorstellen, die sich um seinen Tod ranken. Anfang des 20. Jahrhunderts erhärtete sich beispielsweise eine Theorie, dass er sich nicht selbst umgebracht hat, sondern von einigen Teenagerjungen erschossen wurde, mit denen er in den letzten Wochen seines Lebens abgehangen hatte. Im Film wollten wir einige der Haupttheorien präsentieren, wie es um seinen Geisteszustand damals bestellt war und was ihm passiert ist. Ich glaube, dass wir der Wahrheit mit unserem Film sehr nahegekommen sind. Eigentlich wollten wir sein Leben durch seine Gemälde nachstellen, aber bei unseren Recherchen stießen wir u.a. auf die Aussagen von Adeline Ravoux, die sich 50 Jahre danach an die letzten Wochen aus dem Leben van Goghs erinnerte, oder auch die Aussagen von Dr. Gachet – viele dieser Angaben widersprechen sich. Wir mussten herausfinden, wer die Wahrheit sagte, wer log oder etwas zu verheimlichen suchte, oder wer sich nicht richtig erinnern konnte oder die Fakten verklärte, um sich selbst dabei wichtiger zu machen. Zum Zeitpunkt seines Todes war van Gogh bereits ein bekannter Mann, deswegen färbte auch etwas von seinem Ruhm auf die Leute ab, die mit ihm zu tun gehabt hatten. Es erschien uns als ein großes Rätsel, warum er Selbstmord begangen haben sollte, zumal an diesem Punkt in seinem Leben. Es lief nämlich damals eigentlich sehr gut für ihn, er hatte seine ersten Gemälde verkauft und zwei erfolgreiche Ausstellungen seiner Werke gehabt, bei denen er als hoffnungsvollster neuer Künstler der Phase, die wir nun Post-Impressionismus nennen, bezeichnet wurde. Monet titulierte ihn als den neuen Star-Maler, seinen Neffen hatte man gerade nach ihm benannt, was ihn sehr stolz machte, weil er seinem Bruder sehr nahestand. Er war auch körperlich gesünder als in den letzten zehn Jahren zuvor, er hatte aufgehört, so viel zu trinken, vielleicht war er zu diesem Zeitpunkt sogar komplett abstinent. Es ist also alles recht mysteriös, was sich damals zugetragen hat. Wir haben über 30 Bücher zum Thema gelesen, u.a. Julius Meier-Graefes Biografie, die 1921 in Deutschland erstmals erschien, bis hin zum letzten Bestseller, dem Buch von Steven Naifeh und Gregory White Smith, das 2010 veröffentlicht wurde. Letzteres reaktivierte die Theorie, dass van Gogh sich nicht selbst tötete, sondern erschossen wurde. Seit dem Jahr 2013 arbeiteten wir mit den Experten des Vincent-van-Gogh-Museums zusammen, die uns mit weiteren Details über seine Arbeiten und sein Leben versorgten.

Die Rückblenden im Film sind in Schwarz-Weiß gehalten und haben deswegen mit dem van-Gogh-Stil nicht allzu viel zu tun. Warum haben Sie sich für dieses Stilmittel entschieden?

Nun, die Gegenwart ist die Welt von Vincents Geschichte, deswegen wollten wir sie im Stil seiner Gemälde halten. Die Rückblenden visualisieren die Erinnerungen der Menschen, die Armand Roulin zum Fall interviewte, weswegen es sich hierbei nicht um van Goghs Blickwinkel handelt. Außerdem hatten wir dazu keine Gemälde, an denen wir den Stil hätten orientieren können. Denn es gibt natürlich keine Gemälde von ihm, wie er sterbend im Bett liegt oder Gemälde von seiner Beerdigung. Wir wollten keine van-Gogh-Gemälde erfinden, die es nicht gab, und wir wollten einen anderen Stil für die Rückblendeszenen der interviewten Zeitzeugen benutzen. Außerdem hatten wir die Sorge, dass die Zuschauer 95 Minuten wirbelnder, kräftig-leuchtender Farben im van-Gogh-Stil schwer ertragen könnten. In den schwarz-weißen Rückblenden kann sich das Auge von diesem visuellen Überfluss ein wenig erholen, wodurch man dann den van-Gogh-Stil nur noch mehr zu schätzen lernt.

Interview: Frank Brenner

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