engels: Frau Egger, was ist Kultur?
Simone Egger: Kultur ist alles, was Menschen hervorbringen. Das kann Theater oder Kunst sein, aber auch die Art und Weise, wie man zusammensitzt und feiert. Also die ganze Bandbreite dessen, was Menschen in einer Gesellschaft hervorbringen.
Welche Rolle spielt dabei die Stadt bzw. der öffentliche Raum?
Eine zentrale. Das sind Orte, an denen Menschen zusammenkommen, die sich vorher vielleicht nie begegnet wären. In der Stadt können Menschen eine Freiheit entwickeln. Das soziale Sicherungsnetz ist woanders dichter, aber damit ist auch die Kontrolle höher.
„Wichtig ist, dass es auch kleine Bühnen gibt“
Was folgt, wenn es dennoch an Möglichkeiten mangelt, einander zu begegnen?
Es braucht Orte, an denen sich Menschen begegnen, an denen sie miteinander kommunizieren und sich ausprobieren können. Ein Ort der Begegnung kann etwas Banales sein, ein Postamt oder der Schalter einer Bank. Solche Orte gibt es aber immer weniger, weil sich Vieles in den digitalen Raum verlagert. Dadurch gibt es weniger echten Kontakt, man trifft nur noch ausgewählte Personen und ist in einer Blase. Dann fällt das Widersprüchliche weg, was einem in der Stadt so begegnen kann.
Welche Rolle spielen hier die Orte von Kunst und Kultur, etwa Theaterbühnen?
Wichtig ist, dass das nicht nur Opernhäuser oder große Stadttheater sind, sondern auch kleine Bühnen und Nischen. Das kann ein Keller sein, in dem man Musik machen kann. Alle Formen, sich in einer anderen Art und Weise auszuprobieren, würde ich da einschließen. Kunst und Kultur eröffnen besonders in der Stadt Räume des Denkens und Erfahrens. Sie geben die Möglichkeit auszuloten, wer man selbst und was Gesellschaft ist. Damit ist es eine politische Frage: Schaffe ich Möglichkeiten und Räume für Kunst und Kultur?
„Wer ist unser Publikum?“
Wird die Bedeutung von Institutionen wie dem Theater nicht überbewertet?
Die sogenannte bürgerliche Mitte der Gesellschaft – und damit ihre Kunstformen – befindet sich im Umbruch. Damit kämpfen viele Häuser. Das Publikum, das die großen Theater besucht, ist noch stark im bürgerlichen Milieu verhaftet, mit entsprechenden finanziellen Mitteln. Warum es ein Opernhaus oder ein Stadttheater gibt, das mit Millionen gefördert wird, geht auf historische Privilegien zurück. Gleichzeitig können und müssen nicht alle Angebote sofort etwas zum Diskurs beitragen. Aber diese Fragen muss man sich an solchen Orten schon stellen: Welche Position haben wir in einer Stadtgesellschaft? Und wer ist unser Publikum?
„Klassenfrage der Zugänglichkeit“
Was bedeutet in diesem Zusammenhang kulturelle Teilhabe?
Man kann es in zwei Richtungen denken. Einerseits kann das, was man als Hochkultur bezeichnet, nicht ausschließlich für ein bürgerliches Klientel gedacht sein. Man geht immer von einem bestimmten Vorwissen aus – das wäre dann die Klassenfrage der Zugänglichkeit. Nur weil ein Kunstmuseum am Sonntag nur einen Euro Eintritt kostet, heißt das nicht, dass es sich öffnet. Ich muss auch gezielt Menschen ansprechen in einem Außenbezirk, in dem sie nicht über das Kapital verfügen – auch über das soziale und kulturelle – und sie mitnehmen.
Kann die digitale Welt helfen, indem sie Institutionen umgeht?
Ja, aber sie ersetzt nicht den sozialen und kulturellen Teil. Man muss es erlernen. Ich klicke nicht im Internet das Schauspiel Köln an, wenn ich dazu sonst keinen Bezug habe.
„Bühnen sind nach wie vor bürgerlich dominiert“
Wie wichtig ist es, dass die Bühnen selbst zugänglich sind?
Das spielt eine große Rolle. Die sind nach wie vor bürgerlich dominiert. Die Schauspielschule beispielsweise funktioniert auf eine bestimmte Art und Weise. Damit schränkt man ein, wer überhaupt die Möglichkeit hat, sich zu bewerben. Die Fragen, was ist die Stadtgesellschaft, wer sind wir und was haben wir miteinander zu tun, müssten sich alle stellen, auch die Museen. Die sind zum Teil weit davon entfernt.
Ändert sich während einer Krise wie der Pandemie die Rolle von Kultur?
Ich glaube, dass die Pandemie in dem Fall wie ein Brennglas funktioniert hat. Vielleicht waren manche Angebote auch vorher schon am Ende. Wir leben heute in der flüchtigen Moderne, in der alles gleichzeitig ist, wie der Soziologe Zygmunt Bauman sagt. Man soll sich selbst optimieren, seine Arbeit optimieren. Die Welt dreht sich noch rasanter. Eine Gesellschaft muss auch über Dinge nachdenken. Momentan tut sie sich schwer, passende Plattformen zu finden. Ein Theater, das von sich behauptet, es sei per se diese Plattform, funktioniert nicht. Und ein Theater, das sagt, damit habe es nichts zu tun, funktioniert auch nicht.
MUNDWERK - Aktiv im Thema
ccc.de | Der zu Beginn der 80er Jahre gegeründete Chaos Computer Club ist als „größte europäische Hackervereinigung“ etabliert als Kritiker von Computersicherheit und Datenschutz.
upload-magazin.de/43774-smart-cities | Der Upload-Beitrag wägt anhand konkreter „Smart City“-Projekte ab, wie die Digitalisierung Datenschutz und Privatsphäre gefährdet und soziale Ungerechtigkeiten verstärken kann.
zeitschrift-suburban.de/sys/index.php/suburban/article/view/455/718 | Suburban-Rezension zum von Sybille Bauriedl und Anke Strüver herausgegebenen Sammelband „Smart City. Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten“.
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