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Nächtlicher Streifzug durch Berlin: Frederick Lau und Laia Costa in „Victoria“

„Wir Berliner sind keine solchen Frohnaturen wie die Kölner“

28. Mai 2015

Frederick Lau über „Victoria“, Improvisieren auf Englisch und befreundete Musiker – Roter Teppich 06/15

Schon als Teenager stand Frederick Lau in Kinderfilmen wie „Das fliegende Klassenzimmer“ und „Bibi Blocksberg und das Geheimnis der blauen Eulen“ vor der Kamera. Mittlerweile ist der gebürtige Berliner aus dem deutschen Film nicht mehr wegzudenken, hat mit „Die Welle“, „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ und „Sein letztes Rennen“ im Kino Erfolge gefeiert. Ab dem 11. Juni ist er mit „Victoria“ auf der großen Leinwand zu sehen. Der spektakuläre Zweieinhalb-Stunden-Film von Sebastian Schipper wurde in einem einzigen Take gedreht und sorgte in diesem Jahr auf der Berlinale für Furore.

engels: Einen kompletten Film in einem einzigen Take zu drehen, erfordert eine sehr präzise Vorbereitung. Inwiefern hat Sie das als einer der Schauspieler betroffen?

Frederick Lau: Wir haben schon vier Wochen im Vorfeld geprobt, sind die ganzen Motive abgegangen, aber eigentlich war alles ein langer Prozess, bis zum Ende des Drehens. Wir haben den ganzen Film dreimal in einem Take gedreht, der letzte davon wurde dann ausgewählt, und bis dahin war sehr Vieles noch unklar. Wir waren ständig im Dialog miteinander. Wenn meiner Meinung nach etwas nicht funktionierte oder nicht zu meinem Charakter passte, habe ich das zur Sprache gebracht. Für mich musste alles nachvollziehbar bleiben. Aber die Texte sind alle komplett improvisiert. Wir wussten lediglich, wohin die Geschichte sich entwickeln sollte, das war vorgegeben, aber wenn einer der Schauspieler anders agierte, musste man auch anders darauf reagieren.

Bedeutet diese Improvisation, dass in der Rolle des „Sonne“ nun auch mehr von Frederick Lau steckt?

Nein, aber Gedanken von mir stecken in der Figur. Wir haben die Rolle auch zusammen erarbeitet, was das für ein Typ ist, was für eine Art Mensch, und was die Jungs für eine Gruppe sind. Trotzdem durfte man sich persönlich darin nicht ausleben.

Eine Menge Ihres Dialogs ist auf Englisch, weil Sie sich mit der Spanierin Laia Costa unterhalten. Fiel Ihnen das leichter oder schwerer als auf Deutsch zu improvisieren?

Na ja, es ist ja nur ein Straßenenglisch, was das Ganze auch so charmant macht. Wir haben im Vorfeld darüber nachgedacht, wie die Figuren Englisch reden würden, dass wir auch nach Worten suchen, und uns war auch klar, dass wir dabei kein Oxford-Englisch an den Tag legen dürfen, weil es dann ein bisschen unrealistisch wäre (lacht). Aber dadurch hat es mir sehr viel Spaß gemacht, ich finde es auch sehrschön, so wie es geworden ist. Das Zweisprachige macht den Film auch ein Stückweit mit aus.

Und entspricht sicherlich einem aktuellen Trend, denn die Zahl der Spanier in Berlin ist in den letzten Jahren wohl stark angestiegen...

Ja! Ich bin als Berliner sehr stolz auf meine Stadt, was man in Köln mit dem dortigen Lokalpatriotismus sicherlich gut nachvollziehen kann. Ich glaube, dass wir hier in Berlin eine Freiheit haben, und jeder denken und machen kann, was er will. Man könnte hier auf der Straße tanzen, und keiner würde einen schief angucken. Und dabei sind wir Berliner gar keine solchen Frohnaturen wie die Kölner (lacht). Durch das Multikulturelle kommt das irgendwie wieder zurück, jeder ist draußen auf der Straße und redet mit jedem. Das ist sehr angenehm. Trotzdem glaube ich, dass die Spanier aus einem Grund nach Berlin kommen, der nicht so positiv ist. Natürlich hat die Stadt einen Ruf, und sie wollen sich hier selbst verwirklichen, aber der Grund liegt in der Pleite Spaniens und dem Mangel an Arbeitsplätzen dort. Die Leute wissen nicht wohin, und Berlin ist ja vergleichsweise billig.

Im Film fällt der Satz „Das echte Berlin ist auf der Straße, nicht in einem Club“...

Ja, das kann ich unterschreiben. Bei schönem Wetter sitzen die Leute draußen auf den Straßen und unterhalten sich miteinander. Viele der Zugezogenen sagen oft, dass sie gar keine richtigen Berliner mehr kennen. Aber ich als richtiger Berliner kenne eigentlich fast nur Berliner! Ich kenne die meisten Clubs schon sehr lange, weil man dort mal hingegangen ist, als man sechzehn war. Das ist alles etwas langweilig geworden. Wenn man heutzutage in eine Kneipe geht, muss man sein Bier mitunter schon auf Englisch bestellen. Da wundert man sich dann, was mit unseren Berliner Kneipen passiert ist. Das ist auch ein bisschen traurig. Aber ich glaube, dass sich die weniger gut betuchten, echten Berliner Jungs draußen die Zeit vertreiben und Spaß haben.

War Ihre Berliner Freundesclique mit der Gang im Film vergleichbar, die als eine Art Familienersatz dient?

Nein, überhaupt nicht. Aber für mich ist es wahnsinnig wichtig, Zeit mit meinen Freunden zu verbringen. Und in solch einer Gang sind die Freunde auch unglaublich wichtig. Für die ist diese Gemeinschaft elementar, ein wirklicher Familienersatz. Der, der am Morgen als erster aufwacht, geht in den Hinterhof und pfeift, dann kommen die anderen raus und man sieht, wie man den Tag miteinander verbringt.

Mit Burak Yigit sind Sie privat befreundet, dann war es sicherlich nicht schwer, vor der Kamera in dieses Zusammengehörigkeitsgefühl hineinzufinden, oder?

Nein, gar nicht. Max Mauff kannte ich auch schon ganz gut, wir haben schon einen Film zusammen gedreht, und auch Franz Rogowski, wir mögen uns alle total... Wir sind zu einer echten Gemeinschaft geworden. Zwischen den One-Takes hatten wir immer drei Tage frei, und nachdem man aufgewacht war, hat man sich auch an den Tagen immer angerufen und gefragt, wie’s so geht, als ob man sich auch sonst jeden Tag sehen würde. Es war gut und richtig so, dass man ohneeinander nicht mehr so richtig konnte.

Mussten Sie sich bei den Dreharbeiten der Kamera bewusster sein als sonst, um ihr nicht im Weg zu stehen oder gar den Take zu ruinieren?

Es gab sehr viele Aufnahmeleiter, die durchsagten, dass wir gleich an dieser oder jener Stelle auftauchen, davon haben wir als Schauspieler überhaupt nichts mitbekommen. Dazu waren wir in unseren Rollen viel zu verloren. Kameramann Sturla Brandth Grøvlen war fast schon eine Art Kriegsberichterstatter, so haben wir ihn zumindest gesehen. Es gab Momente, in denen man wusste, man darf die Autotür nicht schließen, sonst kommt der Kameramann nicht rein. Außer in solchen Momenten habe ich überhaupt nicht an ihn gedacht. Er war immer dabei, aber ich habe ihn gar nicht mehr bemerkt. Mir war in dem Moment des Drehs dann auch egal, ob ich im Bild bin, oder nicht. Das hat unser Kameramann entschieden. Es lag an ihm, die Situation einzufangen.

An zwei Stellen wird der Dialog ausgeblendet und mit Musik unterlegt. War das von Anfang an geplant oder ist das erst in der Nachbearbeitung entstanden?

Für uns Darsteller war es nicht klar, ich wusste nichts davon. Mit der Musik wird an diesen Stellen ja auch Zeit erzählt, man verliert sich dann ein wenig und kann nicht mehr genau sagen, wie viel Zeit da vergeht. Aber ich wusste davon nichts, ich kenne die Dialoge, die an diesen Stellen gesprochen wurden und die teilweise richtig gut sind! (lacht) Aber ich glaube, dass das einfach ein sehr schönes stilistisches Mittel ist, durch das man mehr in das Geschehen hineingezogen wird.

Wie war die Zusammenarbeit mit Sebastian Schipper, mit dem Sie zum ersten Mal zusammengearbeitet haben?

Ja, zum ersten Mal, hoffentlich zum letzten Mal, aber ich glaube, das wird nicht passieren, wir drehen bestimmt noch mal zusammen (lacht). Der Regisseur ist so etwas wie ein Trainer für mich. Er hat uns heiß gemacht auf den Kampf, den wir gewinnen sollten. Er hat uns gesagt, dass wir keine Angst vor Fehlern haben sollten, dass uns Perfektion egal sei. „Ihr erlebt jetzt diesen Abend, diese 140 Minuten, die erlebt ihr nur einmal in eurem Leben, und das kann euch niemand mehr nehmen.“ Und so sind wir an die Sache herangegangen.

Vermutlich war dabei hilfreich, dass Schipper auch selbst Schauspieler ist, und dadurch nachfühlen konnte, wie es ist, wenn man derart vor die Kamera geworfen wird...

Ich glaube schon, er hat auch einen hervorragenden Blick. Immer, wenn ich etwas zu bemängeln hatte an den Takes davor oder auch schon während der Proben, konnte ich feststellen, dass ihm die gleichen Dinge missfallen waren, auch wenn ich meine Sicht noch nicht geäußert hatte. Wir lagen da einfach auf derselben Wellenlänge. Wenn jemand alles genauso sieht wie ich, dann muss derjenige ja was können (lacht).

Mir ist aufgefallen, dass Sie in jüngster Zeit häufig für Musikvideos vor der Kamera stehen. Wie ist es dazu gekommen?

Zum einen kam das aufgrund persönlicher Verbindungen mit den Künstlern, zum anderen unterstütze ich gerne Dinge, die mir wichtig sind. Musik ist mir in meinem Leben sehr wichtig. Maxim, ein Kölner, ist einfach ein großartiger Kerl, so etwas unterstütze ich gerne. Er macht großartige Musik und kann Geschichten erzählen und Gefühle zu Papier bringen.

Interview: Frank Brenner

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