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Telefonat mit Doris Dörrie – hier mit Aya Irizuki am Set von „Kirschblüten & Dämonen“
Foto: Presse

„Wir sind viel zu stumm geworden“

27. Februar 2019

Doris Dörrie über „Kirschblüten & Dämonen“ – Gespräch zum Film 03/19

Seit 1976 dreht die in Hannover geborene Doris Dörrie (Jahrgang 1955) Filme fürs Kino und Fernsehen. „Männer“ mit Heiner Lauterbach und Uwe Ochsenknecht lockte 1985 über sechs Millionen Zuschauer ins Kino. Erfolgreich war Dörrie auch mit „Keiner liebt mich“ und „Grüße aus Fukushima“. In den späten 80er Jahren konnte sie sich mit Erzählungen und Romanen („Alles inklusive“) auch als Schriftstellerin einen Namen machen. Mit den Figuren aus „Kirschblüten – Hanami“ hat sie nun einen weiteren Film gedreht: „Kirschblüten & Dämonen“ startet am 7. März in den Kinos.

engels: Frau Dörrie, Wieder einmal ein Film von Ihnen mit Japan-Bezug... Was können wir Deutschen uns denn Ihrer Meinung nach von der japanischen Kultur abschauen?

Doris Dörrie: Ich glaube, erst einmal etwas sehr Einfaches, und gleichzeitig doch etwas Schwieriges: Aufmerksamkeit! Aufmerksamkeit für den anderen; zu erkennen, was der vielleicht braucht, wie man ihm etwas Gutes tun kann. Aber Aufmerksamkeit auch ganz allgemein, für alles, was um einen herum so passiert.

Inklusive vielleicht der Geistererscheinungen oder Hinweise aus der Vergangenheit, die um einen herum auftauchen können – und hier die mystische Dimension für Ihren Film liefern...

In Japan ist es ja so, dass man tatsächlich an Geister glaubt, ich hingegen überhaupt nicht. Wenn ich aber mein eigenes Gehirn so beobachte, dann stelle ich natürlich fest, dass da auch immer wieder Verstorbene auftauchen, Liebste, Freunde und Verwandte, die bereits gestorben sind, immer als kurze Erinnerungen, wie ein Flash. Diese Erinnerungen sind nur eine andere Terminologie für Geister.

„Kirschblüten & Dämonen“ ist Ihre erste Fortsetzung. Spürten Sie schon lange, dass die Geschichte noch nicht auserzählt war?

Nein, überhaupt nicht. Dieser Film ist auch ein eigenständiger Film, man muss den ersten Film nicht kennen und kann diesen durchaus losgelöst davon sehen. Aber durch meine Beschäftigung mit den Geistern beim Film „Grüße aus Fukushima“ bin ich überraschend über Nacht auf die Idee gekommen, dass die toten Eltern aus „Kirschblüten – Hanami“ zurückkommen könnten.

Abgesehen vom Darsteller Karls haben Sie alle Schauspieler des Originals hier wieder vor der Kamera versammeln können. War das eine große Herausforderung?

Es war wirklich wunderbar, dass innerhalb weniger Stunden alle zugesagt haben, mit Ausnahme von Maximilian Brückner, der leider ein halbes Jahr lang in Lappland an einer Serie gearbeitet hat und unabkömmlich war. Das hat ihm und auch mir wahnsinnig leidgetan. Wie das bei Filmen – und im Leben – manchmal so ist, wenn eine Sache nicht möglich ist, funktioniert etwas Anderes. Und so habe ich dann Golo Euler kennengelernt, der ein wunderbarer Karl ist.

Der Film quillt geradezu über vor Themen und Ideen. Wie haben Sie es geschafft, das alles so kunstvoll zu verdichten, dass sich ein so starker Erzählstrang dabei ergibt?

Dankeschön! Das war ein bisschen so, wie in den Brunnen zu fallen, der im Film vor dem Haus steht. Ich habe mich immer tiefer in die Dinge hineingebohrt und mich dabei ein bisschen wie Alice im Wunderland in diese Familiengeschichte hineinfallen lassen. Es ist natürlich in jeder deutschen Familie so, dass man, wenn man ein bisschen tiefer gräbt, auf eine Vergangenheit im Faschismus und in der Nazizeit stößt. Gerade jetzt ist es wieder besonders wichtig, zu fragen, was damals genau los war und welche Schatten aus dieser Zeit noch heute auf uns fallen. Man kann heute wieder beobachten, dass es noch sehr große Schatten sind. Man hatte vielleicht gedacht, dass das alles längst vorbei ist, aber angesichts des Rechtsrucks und einer Partei wie der AfD erkennen wir, dass wir uns nach wie vor damit konfrontieren müssen.

Eine Szene im Film beschäftigt sich konkret mit der NS-Zeit der Eltern. Schwingt da bei Ihnen auch eine Resignation mit, zu wenig mit den Eltern über diese Zeit gesprochen zu haben?

Das ist kompliziert. Meine Mutter war zu jung, mein Vater war junger Soldat. Er hat dann dankenswerterweise für seine Kinder seine gesamten Erlebnisse aus dieser Zeit aufgeschrieben. Was ich sehr erstaunlich und toll finde, und was ich mir von jedem wünschen würde, dass er es aufschreibt für seine Kinder. Ich habe das aber auch oft anders erlebt im Freundes- und Bekanntenkreis, und ich habe immer wieder diesen großen Schatten gespürt, der uns auch in der zweiten und dritten Generation noch daran hindert, frei zu erzählen. Das ist eine Art gesellschaftliches Verstummen, das jetzt auch dazu geführt hat, dass die Rechte wieder so viel Aufwind und Kraft bekommt, weil wir auf der anderen Seite viel zu stumm geworden sind. Das wollte ich hier noch einmal aufgreifen und darüber erzählen: Man muss sich damit auseinandersetzen und gemeinsam darüber sprechen. Die Urheber und Täter des Nazireiches sind mittlerweile zum Glück fast alle tot, aber die Schatten der Schuld sind etwas Unterschwelliges, nicht wirklich greifbar, aber da sind unsere Geschichten, die wir weiter beackern müssen.

Mit Kameramann Hanno Lentz arbeiten Sie schon seit vielen Jahren zusammen. Hatten Sie nun mit ihm gemeinsam die Idee für die Verfremdungseffekte in den Geisterszenen?

Die Technik haben wir gemeinsam schon bei „Grüße aus Fukushima“ angewandt, aber dort kamen die Geister nur sehr kurz vor, und der Film war ja in Schwarz-Weiß gedreht, deswegen wirkte das dort etwas anders. Die Idee haben wir nun hier weitergetrieben und auch auf den Dämon und die toten Eltern angewandt. Das ist sehr effektvoll und hat nicht viel gekostet. Ich liebe Handmade. CGI bietet natürlich großartige Möglichkeiten, aber wenn es auch handgemacht geht, bin ich immer besonders begeistert.

War Ihrer Meinung nach in Deutschland der Bezug zu Geistern früher ähnlich wichtig wie noch heute in Japan – ist uns da etwas verlorengegangen?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Es ist eine Errungenschaft der Aufklärung, dass wir uns nicht mehr so von unseren Vorfahren erpresst fühlen. Dass wir nicht ständig von den Geistern regiert, drangsaliert und kontrolliert werden. Luther war in der Hinsicht wichtig, weil er sagte, dass wir die Toten ruhen lassen sollen. Vorher lag darin für viele doch auch eine große Bedrohung, Kontakt zu halten zu den Geistern der Vorfahren. Auf der anderen Seite haben wir auf diese Weise natürlich auch den Kontakt und die Verbindung verloren, was uns sehr isoliert und vereinsamen lässt. Das ist eine sehr zweischneidige Angelegenheit.

Die Vereinsamung wird auch in der Figur Roberts deutlich, der ein Hikikomori ist, sich in seinen vier Wänden einschließt und den Kontakt zu allen abbricht.

Ja, und die Yu war ja wohl auch ein Hikikomori, denn die sitzt ja genauso in ihrem zugemüllten Zimmer und singt einsam vor sich hin. Bei meinen Japan-Aufenthalten habe ich einige Hikikomoris kennengelernt, das ist ein relativ weit verbreitetes Phänomen und hat im japanischen Kontext, aber auch bei uns, sehr viel damit zu tun, dass die Anforderungen der Gesellschaft so immens zu werden scheinen, dass die Jugendlichen immer mehr davor zurückschrecken und sich ihr komplett verweigern.

Wie und wann entscheiden Sie eigentlich, wenn Ihnen eine Idee für eine Geschichte kommt, ob sich diese für einen Roman oder eher für ein Filmdrehbuch eignet?

Eher spät, oder doch jedes Mal anders. Das kann ich gar nicht so einfach beantworten. Manchmal folge ich eher einem Bild, manchmal eher einem Plot oder einer Geschichte. Oft versuche ich auch, diese Entscheidung erst einmal aufzuschieben und versuche nur, den Figuren nachzulaufen, sie zu verstehen und zu beschreiben. Irgendwann wird es dann meistens klar, ob die Figuren zum Film wollen oder eher nicht.

Interview: Frank Brenner

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