Es erfordert eine ungewöhnliche Produktion und Bühnenarbeit, beschreibt Tilman Hecker die Vorgehensweise an der Mozart-Oper „Die Gärtnerin aus Liebe“. „Zunächst kommt das Ganze, und anschließend geht es deduktiv in die Details.“ Wolfgang Amadeus Mozarts 1775 erstmals aufgeführtes Stück, so der junge Regisseur, thematisiert etwas sehr Spezielles, nämlich das Bewusstsein. Und innerhalb dieses weiten Feldes ist es ausgerechnet der Wahnsinn, der dargestellt wird. „Letztlich basiert die ganze Geschichte auf einem Trauma, das Gärtnerin und Graf miteinander verbindet.“
Die Geschichte ist nicht unkompliziert. Gräfin Violante Onesti (Banu Böke) war einst die Geliebte des Grafen Belfiore (Christian Sturm), der sie aus Eifersucht ermordete. Doch anstelle der Annahme, sie sei tot, stimmt vielmehr die Tatsache, dass sie als Dienstmädchen unter dem Namen Sandrina und in der Kluft der Gärtnerin ihr Leben fortführt. Sie sucht denjenigen, der sie fast getötet hätte.
Nun könnte ein typischer Buffa-Wirbel mit lustigen Verkleidungen, harmlosen Verwechslungen und den üblichen Verwirrungen beginnen. Tut es aber nicht. Denn Tilman Hecker betreibt so etwas wie Tiefenbohrungen. Die Paranoia, die allüberall bestens kaschiert lauert, macht er sichtbar. Es gibt einen Beamer und eine Kamera. Mit diesen technischen Geräten werden Videos produziert, was also im ersten Akt auf der Bühne in Echtzeit passierte, wird im zweiten Akt als Erinnerung abgespielt. Gleichzeitig wird auch dieser zweite Akt gefilmt, um im dritten als weitere Ebene gezeigt zu werden, und so weiter. „So entsteht ein dichtes Kunstwerk von Aktionen. Labyrinthartig werden die sich ineinander verschlingenden Wahrheiten der einzelnen Protagonisten abgebildet. Ein Wahnsinn, der auch aus einem Überfluss an Impulsen und Informationen besteht.“ Durch diese Pointierung und das Erleben fremder Ideen dringt der Zuschauer sozusagen in die innere Topografie der Figuren vor und erfährt so über Zustände, die außerhalb einer Handlungschronologie liegen.
Großes Kino mit bildgewaltigen Szenen
Direkt nach der Premiere am 13. Januar 1775 vermeldete Mozart Erfolg: „Nach einer jeden Aria war alzeit ein erschröckliches getös mit glatschen, und viva Maestro schreyen.“ Offensichtlich war er rauschhaft geblendet. Denn „Die Gärtnerin aus Liebe“ verschwand rasch vom Spielplan und kehrte erst verspätet zurück. Wie sehr sich die Arbeit am Stück lohnt, wird bereits nach wenigen Takten klar. Zwar ist beispielsweise die Ouvertüre kein revolutionärer Wurf und dieses Jugendwerk nach Kennermeinung kein Geniestreich. Aber wie nahe der damals noch blutjunge Komponist bereits bei seinen Figuren war und emphatisch die Musik tönt, ist großartig. Dazu kommt mit Heckers Arbeit ein Blick für die Abgründe der sieben Protagonisten. So gewährt er den Zuschauern Einblicke in ihre Seelen und auf das, was ihre Wahrheiten sind.
Der Faktor Zeit und seine Messbarkeit
„,Zeit’ ist ein wichtiges Thema“, führt Tilman Hecker, der bereits in Berlin, am Salzburger Landestheater und in Madrid inszeniert hat, erstmalig am Wuppertaler Opernhaus arbeitet, aus. „Wann passiert was? Der Ort im Kalender ist nicht unbedingt der Ort unseres Bewusstseins.“ Und was in einer Arie besungen wird, kann der Moment eines Wimpernschlages oder die Dauer von Jahren sein. „Es ist eine phantastische, geheimnisvolle und fast surreale Geschichte, die Spaß macht, verfolgt zu werden“, beschreibt er das zur Zeit der Aufklärung entstandene Stück („und diese Epoche hat mehr mit uns zu tun, als uns bewusst ist.“). Letztlich, so sagt er, sei das auch „richtig gute Unterhaltung. Der Bildungsanspruch, Unterhaltung sei generell weniger wert, ist Quatsch.“ Auch bei der „Gärtnerin“ müssen nicht alle Fragen abschließend beantwortet werden. „Es dürfen auch Fragen mit nach Hause genommen werden.“ Ebenso die Erinnerung an einen fulminanten Abend.
„Gärtnerin aus Liebe“ I 14.(P)/18./22.1. I 0202 569 44 44 I www.wuppertaler-buehnen.de
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