Sonntagfrüh, 3.20 Uhr. Man liegt mit der Lieblingsdame schlafend im Bett, als unten vor dem Haus ein Höllengetöse losbricht. Zum Fenster getaumelt, das Auto der Liebsten in merkwürdiger Position entdeckt: „Sag‘ mal, parkst Du immer so verwegen?“ Denn der Opel steht mit der Motorhaube im zertrümmerten Schaufenster eines Ladenlokals. Die Polizei fragt: „Wer ist gefahren?“ – Wir zucken die Achseln. Und: „Wo ist der Autoschlüssel?“ – Man holt ihn aus der Wohnung. Der Polizist öffnet die Fahrertür und beugt sich rein. Im selben Moment startet der Motor, der Manta macht einen Satz nach vorn. Erschrocken beteuert der Beamte, „überhaupt nichts angerührt zu haben“. Den Zündschlüssel hält er noch in der Hand. Man einigt sich auf die Diagnose „Selbstzündung“ mit Kriechstrom, nässebegünstigt. Batterie abklemmen hilft. Einen Keramikfrosch in der Auslage hat’s den Kopf gekostet.
Diese Geschichte ist wahr. Aber damals hatte ich noch nicht den Alptraum, sie könnte sich wiederholen. Dass mein Auto – wie in Steven Kings „Christine“ – einen Nachbarn anspringt, mit dem mich innige Abneigung verbindet. Bloß ist dafür kein Kriechstrom verantwortlich, sondern jemand … der mich mindestens so wenig leiden kann wie meinen Nachbarn. Panikmache? Der „Wired“-Journalist Andy Greenberg fuhr Mitte Juli mit 70 Meilen Tempo auf dem Highway am Rande von St. Louis, als sich die Klimaanlage einschaltete, das Radio zur lokalen Hip-Hop-Station wechselte und sich nicht mehr ausschalten ließ – ebenso wie die plötzlich aktiven Scheibenwischer. Es war ein Demo-Übergriff zweier Hacker, aus einer Entfernung von 15 Kilometern. Greenberg erfuhr an harmlosen Features seines Jeep, was es heißt, die Kontrolle über sein Fahrzeug zu verlieren. Etwas später übernahmen sie allerdings auch das Gasgeben.
Seit dem Frühjahr gibt es drei „Big Data“-Themen um die Auto-Zukunft: Versicherungen eröffnen 2016 den Tausch von Fahrerdaten aus einer Blackbox gegen ermäßigten Tarif. Autobauer und Medienunternehmen rüsten das „Connected Car“ mit diversen Informations- und Unterhaltungsupgrades aus. Und Google & Co. annoncieren gleich das „selbstfahrende Auto", in dem man ferngelenkt chauffiert wird. Kriegen wir jetzt Freudentränen oder Gänsehaut?
Beginnen wir mit dem scheinbar Nebensächlichsten: Wem schadet die Technik des Start-up „Carbeat“, die Musik im Auto passend zu Tempo, Ort, Wetter und Fahrer-Vorlieben auswählt und spielt? Abgesehen davon, dass ich mir im Stau mal nicht Chris Reas einlullendes „On the Beach“ wünschte – mir missfällt, dass mich da wer zu kennen glaubt: Fahrer, die nicht „On the Beach“ hören, stehen dafür auf Jeanette Biedermann? Graus. Im Display blinkt dann auch die Werbung für Pilsbier im Supermarkt 400 Meter weiter rechts. Denn: Fahrer, die Biedermann statt Rea hören, trinken auch … weiß der Algorithmus. Die Unternehmensberatung McKinsey prognostiziert übrigens, dass der Markt für solche Komponenten und Services von 30 auf 170 Milliarden Euro explodieren wird. Bis 2020. Irgendwer wird das bezahlen müssen.
Was man dito vom „Telematik-Tarif“ der HUK Coburg behaupten darf. Die Möhre vor dem Eselsmaul ist ein vielleicht fünfprozentiger Rabatt, wenn man nicht nur unfallfrei, sondern auch „sicher“ fährt. Dazu werden alle Daten zu Tempo und Gasgeben, Bremsen, Fahrstrecken und -Zeiten gespeichert und ausgelesen. Kontrolle trifft Disziplinierung. Aber was ist „sicher“? Tempo 100 auf der Autobahn – auf welcher Spur? Und wer gelangt mit „berechtigtem Interesse“ noch an die Daten: Unternehmen für ihren Fuhrpark, Polizei, Eltern, Lebenspartner? Weil es schon Rabatte für Unfallfreiheit gibt, muss sich diese zusätzliche Prämie auch rechnen. Vermutlich so, dass der „Telematik-Tarif“ zum Standard wird – und die „Blackbox-Verweigerer“ draufzahlen.
Vier Millionen Fahrgäste lassen sich jährlich vom „Skytrain“ am Düsseldorfer Flughafen maximal 2,5 Kilometer weit befördern. Es gibt keinen Fahrer, aber auch nur eine klar definierte Hängeschienen-Strecke ohne Quer- und Gegenverkehr. Ganz anders als beim „pilotierten Fahren“, das Audi und Google, jeder auf seine Weise, ab 2017 einführen wollen. Der „Pilot“ wird dann ein sensorgefütterter Computer sein, während der „Fahrzeugführer“ als weiterhin Verantwortlicher eingreifbereit hinter dem Lenkrad sitzen müsste. Suggeriert wird aber, man könne die Mails auf dem Tablet checken oder ein Nickerchen machen. Wie bescheuert ist das? Nicht nur, dass für diese Fernsteuerungs-Revolution Datenmassen generiert werden müssen, gegen die die „Matrix“ ein Kramladen gewesen sein wird – wer herrscht über die Daten? „Die Hoheit im Auto hat allein der Hersteller“, reklamiert Audi-Chef Rupert Stadler, und Google kriege die Fahrdaten doch nur, „wenn der Kunde ausdrücklich zustimme“. Der Satz fiel allerdings im Dezember, als von gehackten Cars und Bundestagsbüros, von Windows 10 und seinen unabstellbaren Spionfeatures noch nicht die Rede war. Auf der Strecke bleibt unsere selbstbestimmte individuelle Mobilität. Heißt die Alternative zum planlosen „Cruisen“ künftig „Menü Stadtrundfahrt“? Promotet BMW demnächst die „Freude am Gefahren-werden“? Ehrlich: Dafür gibt es seit einem Jahrhundert schon das Taxi …
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Giga-Liner“: In NRW nach wie vor unerwünscht
Spediteure und Hersteller wollen Diesel und Personal durch längere Lkw-Züge sparen – Innovation 10/15
Gar nicht anrüchig: Wärme aus dem „Schietwater“
Ständig herrschen 14 Grad in der Kanalisation – die kann man zum Heizen anzapfen – Innovation 08/15
Sommerhitze in Ballungsräumen
Projektbetreuer Dr. Paul Dostal (DLR) über innerstädtische Hitzebelastung, Wassermangel und mögliche Gegenmaßnahmen – Innovation 07/15
Elektro-Autos: Das Bohren dicker Bleche
Der „Flaschenhals“ besteht noch bei den regionalen Händlern – Innovation 06/15
Mit dem Elektro-Auto pendeln? Ja – aber …
E-Mobile taugen auch für längere Wege. Doch bei Kaufpreis und Ladenetz muss allmählich was passieren – Innovation 05/15
„Ich warte beim E-Auto noch auf Flatrate-Modelle“
Kommunikations-Profi Stefan Prott über Möglichkeiten, E-Mobilität populär zu machen – Innovation 12/14
Bier-Reste im Dienst der Energiewende
Projekte der Klimametropole Ruhr 2022 (Bochum): Biogas und Wasserkraft in Bochums Süden – Innovation 10/14
Guck ’mal, was da brennt
Projekte der Klimametropole Ruhr 2022 (IV): Strom und Fernwärme aus Biomasse – Innovation 10/14
Energie-Sanierung: Keine schiefe Kalkulation
Projekte der Klimametropole Ruhr 2022 (III): Zehnfamilienhaus fast wie neu – Innovation 10/14
Brennstoffzellen: „Wir haben einen Plan“
Projekte der Klimametropole Ruhr 2022 (II): Zukunftshoffnung Wasserstoff – Innovation 10/14
Unter dem Pflaster die Supra-Zukunft
Projekte der Klimametropole Ruhr 2022 (I): Energieleitung auf Weltniveau – Innovation 10/14
„Die Hersteller haben das noch nicht begriffen“
Elektrisch fahren ist bei etlichen Car-Sharern angekommen. Das Angebot passt – so lange Anschubförderungen fließen – Innovation 05/14
Dear Fred,
engelszungen 11/24
Ermunterung zur Solidarität
Stadtrundgang im Rahmen der Armin-T.-Wegner-Tage – Spezial 10/24
Lieber Freund Engels!
engelszungen 10/24
Wurzeln des Rechtsextremismus
Online-Vortrag „Ist die extreme Rechte noch zu stoppen?“ – Spezial 09/24
Lieber Engels
engelszungen 08/24
Lieber Friedrich
engelszungen 07/24
Dear Fred,
engelszungen 06/24
Lieber General!
engelszungen 05/24
Notnummer? Lachnummer? Pflichtblatt!
40 Jahre Wuppertaler Satiremagazin Italien – Spezial 04/24
Lieber Engels!
engelszungen 04/24
Lieber General!
engelszungen 03/24
Große Palette an Kulturformaten
Das sozio-kulturelle Zentrum Loch in Wuppertal – Spezial 02/24
Lieber Engels!
engelszungen 02/24