Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.581 Beiträge zu
3.810 Filmen im Forum

Zu Besuch im eigenen Parlament
Foto: Mirko / Adobe Stock

Bröckelndes Fundament

22. Dezember 2023

Teil 3: Leitartikel – Was in Demokratien schief läuft

Früher war alles gut in unserer repräsentativen Demokratie: Die schwelende Klimakatastrophe ließ sich in der Wohlstandsblase noch prima verdrängen, Kriege fanden weit entfernt statt, und im eigenen Land gab es noch Volksparteien, denen man sich über Kirchen- bzw. Gewerkschaftsbindung pauschal zugehörig fühlen durfte. Linke und rechte Radikale erschütterten die Republik, die Demokratie aber schien gefestigt genug, so dass derlei Strömungen keine ernstzunehmende politische Macht zukam. Unter den Regent:innen fand sich hier und dort gar noch ein Ehrenmensch. Nach dem Mauerfall dann hagelte es falsche Versprechungen. Nach dem Millennium verriet die eine Volkspartei ihre Wählerschaft, die andere positionierte das Land global rückständig. Auf allen Seiten: Werte- und Vertrauensverlust. Heute gibt es keine Volksparteien mehr, die einstigen Riesen sind in ihrer Rhetorik von den kleinen Radikalen immer weniger zu unterscheiden, wodurch aus kleinen Radikalen immer größere Radikale werden. Stand: Eine aufgeriebene Regierungskoalition im Haushalts-GAU ohne Plan B und ein Misstrauen der Wählerschaft gegenüber etablierter Politik.

Fragwürdig informiert abstimmen

Was muss sich also ändern in Zeiten, in denen Diktaturen am Stammtisch ein besseres Krisenmanagement nachgesagt wird als (föderalistischen) Demokratien – weil quälend lange Entscheidungsfindung, zu viel Kompromiss? Tatsächlich kommen autoritäre Länder nicht besser durch die Krisen. Unterm Strich kommt es eben immer darauf an, welche Leuchten uns regieren. Trotzdem: Viele Demokratien der Welt wanken, werden von populistischen Strömungen auf demokratischem Wege unterwandert. Dabei fundiert der Parlamentarismus noch immer auf ehernen, oftmals bewährten Ansätzen – und ist zugleich ein bürokratisch ausgebremster, entscheidungs- und tatengehemmter Apparat, in dem immer mehr Politiker:innen immer lauter posaunen und immer weniger Verantwortung übernehmen. Systemfehler? Auch. Die Bürokratie lähmt, die Digitalisierung lahmt, die Bundesregierung ist in möglichen Reformbestrebungen dem Willen des Bundesrats unterworfen, den das oft gar nichts angeht, weil er eigentlich nur für die Interessen der Bundesländer zuständig ist.

Ohne Weitsicht

Um Vertrauen zu gewinnen, könnte der Wähler unmittelbarer eingebunden werden. Das darf sich aber nicht darauf beschränken, dass ich, fragwürdig informiert, einmal im Quartal zur Volksabstimmung über ein Kopftuchverbot oder Migrationsdeckelungen abstimme, sondern dass ich mich als Bürger wach und aktiv einbringe. Ein Recht, für das ich mich in die Pflicht nehme. Ein Recht, für das ich mich entsprechend bilde – und wofür der Staat endlich jeder und jedem gerechte Bildungschancen einzuräumen hat.

Unsere Demokratie krankt nicht nur an etwaigen konzeptionellen Problemen. Sie krankt an zu vielen Volksvertreter:innen, die Schaden nicht vom Volk fernhalten und Weitsicht missen lassen – die einzige Partei, die derzeit nachhaltige Politik macht, ist die AfD, zumindest im Hinblick auf ihre Wahlerfolge. Wir werden regiert von zu vielen Egos, die sich unverblümt in hässlichen Affären verstricken, die sich im Untersuchungsausschuss in Vergesslichkeit hüllen und die sich bloß im Konjunktiv – also gar nicht – entschuldigen. Das gute Fundament steht, manche Stellschraube gehört gedreht. Was aber wirklich zählt ist ein demokratisches Selbstverständnis: Eine Regierung, die selbstlos, kompromissbereit und weitsichtig Führung zeigt. Eine konstruktive Opposition. Eine wache, solidarische Bevölkerung. Man wird ja wohl noch träumen dürfen.

 

NACH DER DEMOKRATIE - Aktiv im Thema

uebermedien.de | In der unabhängigen Redaktion von Übermedien hinterfragen professionelle Journalisten die Arbeit der großen journalistischen Medien in Deutschland.
correctiv.org | Das investigative Recherchekollektiv gilt als eine der ersten Adressen, wenn es darum geht, den Wahrheitsgehalt fraglicher Meldungen und Meinungen seriös zu prüfen.
neuemedienmacher.de | Im bundesweiten Netzwerk der Neuen deutschen Medienmacher*innen setzen sich Menschen „mit und ohne Einwanderungsgeschichte“ für inhaltliche und personelle Vielfalt in den Medien ein.

Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@engels-kultur.de

Hartmut Ernst

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Politik mit Vorsatz
Intro – Nach der Demokratie

Wem glauben wir?
Teil 1: Leitartikel – Von der Freiheit der Medien und ihres Publikums

„Viele Menschen haben das Gefühl, sie werden nicht gehört“
Teil 1: Interview – Medienforscherin Dorothée Hefner über Vertrauen in politische Berichterstattung

Für eine neue Öffentlichkeit
Teil 1: Lokale Initiativen – Die Mobile Oase in Wuppertal-Oberbarmen

Demokratische Demut, bitte!
Teil 2: Leitartikel – In Berlin versucht der Senat, einen eindeutigen Volksentscheid zu sabotieren

„In ihrer jetzigen Form hat Demokratie keine Zukunft“
Teil 2: Interview – Soziologe Robert Jende über eine Politik jenseits von Parteizugehörigkeit

Ein Kiez gegen Rechts
Teil 2: Lokale Initiativen – Die Quartiersdemokraten in Dortmund-Dorstfeld

„Problematisch, wenn sich Kritik auf Demokratie an sich richtet“
Teil 3: Interview – Politikwissenschaftler Sven T. Siefken über den Zustand der Demokratie

Meine Stimme zählt
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Outline e.V. in Köln-Chorweiler

Wir müssen reden!
Bürgerräte als demokratische Innovation – Europa-Vorbild: Belgien

Staatsmacht Schicht im Schacht
Mögen Körperflüssigkeiten den Parlamentarismus retten – Glosse

Leitartikel

Hier erscheint die Aufforderung!