Früher war alles gut in unserer repräsentativen Demokratie: Die schwelende Klimakatastrophe ließ sich in der Wohlstandsblase noch prima verdrängen, Kriege fanden weit entfernt statt, und im eigenen Land gab es noch Volksparteien, denen man sich über Kirchen- bzw. Gewerkschaftsbindung pauschal zugehörig fühlen durfte. Linke und rechte Radikale erschütterten die Republik, die Demokratie aber schien gefestigt genug, so dass derlei Strömungen keine ernstzunehmende politische Macht zukam. Unter den Regent:innen fand sich hier und dort gar noch ein Ehrenmensch. Nach dem Mauerfall dann hagelte es falsche Versprechungen. Nach dem Millennium verriet die eine Volkspartei ihre Wählerschaft, die andere positionierte das Land global rückständig. Auf allen Seiten: Werte- und Vertrauensverlust. Heute gibt es keine Volksparteien mehr, die einstigen Riesen sind in ihrer Rhetorik von den kleinen Radikalen immer weniger zu unterscheiden, wodurch aus kleinen Radikalen immer größere Radikale werden. Stand: Eine aufgeriebene Regierungskoalition im Haushalts-GAU ohne Plan B und ein Misstrauen der Wählerschaft gegenüber etablierter Politik.
Fragwürdig informiert abstimmen
Was muss sich also ändern in Zeiten, in denen Diktaturen am Stammtisch ein besseres Krisenmanagement nachgesagt wird als (föderalistischen) Demokratien – weil quälend lange Entscheidungsfindung, zu viel Kompromiss? Tatsächlich kommen autoritäre Länder nicht besser durch die Krisen. Unterm Strich kommt es eben immer darauf an, welche Leuchten uns regieren. Trotzdem: Viele Demokratien der Welt wanken, werden von populistischen Strömungen auf demokratischem Wege unterwandert. Dabei fundiert der Parlamentarismus noch immer auf ehernen, oftmals bewährten Ansätzen – und ist zugleich ein bürokratisch ausgebremster, entscheidungs- und tatengehemmter Apparat, in dem immer mehr Politiker:innen immer lauter posaunen und immer weniger Verantwortung übernehmen. Systemfehler? Auch. Die Bürokratie lähmt, die Digitalisierung lahmt, die Bundesregierung ist in möglichen Reformbestrebungen dem Willen des Bundesrats unterworfen, den das oft gar nichts angeht, weil er eigentlich nur für die Interessen der Bundesländer zuständig ist.
Ohne Weitsicht
Um Vertrauen zu gewinnen, könnte der Wähler unmittelbarer eingebunden werden. Das darf sich aber nicht darauf beschränken, dass ich, fragwürdig informiert, einmal im Quartal zur Volksabstimmung über ein Kopftuchverbot oder Migrationsdeckelungen abstimme, sondern dass ich mich als Bürger wach und aktiv einbringe. Ein Recht, für das ich mich in die Pflicht nehme. Ein Recht, für das ich mich entsprechend bilde – und wofür der Staat endlich jeder und jedem gerechte Bildungschancen einzuräumen hat.
Unsere Demokratie krankt nicht nur an etwaigen konzeptionellen Problemen. Sie krankt an zu vielen Volksvertreter:innen, die Schaden nicht vom Volk fernhalten und Weitsicht missen lassen – die einzige Partei, die derzeit nachhaltige Politik macht, ist die AfD, zumindest im Hinblick auf ihre Wahlerfolge. Wir werden regiert von zu vielen Egos, die sich unverblümt in hässlichen Affären verstricken, die sich im Untersuchungsausschuss in Vergesslichkeit hüllen und die sich bloß im Konjunktiv – also gar nicht – entschuldigen. Das gute Fundament steht, manche Stellschraube gehört gedreht. Was aber wirklich zählt ist ein demokratisches Selbstverständnis: Eine Regierung, die selbstlos, kompromissbereit und weitsichtig Führung zeigt. Eine konstruktive Opposition. Eine wache, solidarische Bevölkerung. Man wird ja wohl noch träumen dürfen.
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Politik mit Vorsatz
Intro – Nach der Demokratie
Wem glauben wir?
Teil 1: Leitartikel – Von der Freiheit der Medien und ihres Publikums
„Viele Menschen haben das Gefühl, sie werden nicht gehört“
Teil 1: Interview – Medienforscherin Dorothée Hefner über Vertrauen in politische Berichterstattung
Für eine neue Öffentlichkeit
Teil 1: Lokale Initiativen – Die Mobile Oase in Wuppertal-Oberbarmen
Demokratische Demut, bitte!
Teil 2: Leitartikel – In Berlin versucht der Senat, einen eindeutigen Volksentscheid zu sabotieren
„In ihrer jetzigen Form hat Demokratie keine Zukunft“
Teil 2: Interview – Soziologe Robert Jende über eine Politik jenseits von Parteizugehörigkeit
Ein Kiez gegen Rechts
Teil 2: Lokale Initiativen – Die Quartiersdemokraten in Dortmund-Dorstfeld
„Problematisch, wenn sich Kritik auf Demokratie an sich richtet“
Teil 3: Interview – Politikwissenschaftler Sven T. Siefken über den Zustand der Demokratie
Meine Stimme zählt
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Outline e.V. in Köln-Chorweiler
Wir müssen reden!
Bürgerräte als demokratische Innovation – Europa-Vorbild: Belgien
Staatsmacht Schicht im Schacht
Mögen Körperflüssigkeiten den Parlamentarismus retten – Glosse
Das Spiel mit der Metapher
Teil 1: Leitartikel – Was uns Brettspiele übers Leben verraten
Es sind bloß Spiele
Teil 2: Leitartikel – Videospiele können überwältigen. Wir sind ihnen aber nicht ausgeliefert.
Werben fürs Sterben
Teil 3: Leitartikel – Zum Deal zwischen Borussia Dortmund und Rheinmetall
Paradigmenwechsel oder Papiertiger?
Teil 1: Leitartikel – Das EU-Lieferkettengesetz macht vieles gut. Zweifel bleiben.
Demokratischer Bettvorleger
Teil 2: Leitartikel – Warum das EU-Parlament kaum etwas zu sagen hat
Europäische Verheißung
Teil 3: Leitartikel – Auf der Suche nach Europa in Georgien
Stimmen des Untergangs
Teil 1: Leitartikel – Allen internationalen Vereinbarungen zum Trotz: Unsere Lebensweise vernichtet Lebensgrundlagen
Friede den Ozeanen
Teil 2: Leitartikel – Meeresschutz vor dem Durchbruch?
Vom Mythos zur Mülldeponie
Teil 3: Leitartikel – Wie der Mensch das Meer unterwarf
Maßgeschneiderte Hilfe
Teil 1: Leitartikel – Gegen häusliche Gewalt braucht es mehr als politische Programme
Zu Staatsfeinden erklärt
Teil 2: Leitartikel – Der Streit über Jugendgewalt ist rassistisch aufgeladen
Der andere Grusel
Teil 3: Leitartikel – Von der rätselhaften Faszination an True Crime
Sehr alte Freunde
Teil 1: Leitartikel – Warum der Hund zum Menschen gehört
Die Masse macht’s nicht mehr
Teil 2: Leitartikel – Tierhaltung zwischen Interessen und Idealen