Der Mensch ist fasziniert von Angst, Abgrund und Schauermär – solange er sich ihnen aus der sicheren Distanz heraus aussetzt. Der Autor selbst erinnert sich bis heute an den von Furcht und Schrecken genährten kalten Schweiß nach dem Kinobesuch von „Alien“ – Schrecken, der zugleich einherging mit totaler Euphorie: der Kick des Horrors aus der Komfortzone heraus. Nun nehmen seit einigen Jahren True Crime-Formate überhand, und der Autor ist verwirrt: Warum feiern deutlich mehr Männer den fiktionalen Horror ab, während sich deutlich mehr Frauen dem True Crime zuwenden? Der Autor selbst hat in seinem Leben noch keine Folge „Aktenzeichen XY… ungelöst“ gelöst. Aktenzeichen sind grundsätzlich nicht sein Ding. Kopfschuss und Knochenbruch schon eher – im fiktionalen Kontext, versteht sich. Tatsachenbasierter Horror indes entreißt ihn nachhaltig der Komfortzone, von Euphorie dort keine Spur. Gehören in einer idealen Welt Waffen, Mord und Totschlag nicht sowieso ausschließlich in die Fiktion verdammt? Nur war das erste True Crime schon lang vor der ersten düsteren Mär, und so bleibt der Wunsch nach dem Monopol der narrativen Künste auf Gewalt bis heute illusorisch.
Wohin mit der Empathie?
So oder so: Gewalt als fester Bestandteil von Fiktion und True Crime übt eine große Anziehungskraft aus. Wie aber ist die vordergründig weibliche Hingabe zu Formaten zu erklären, die sich, von Printmagazin über TV-Serie bis zum Podcast bevorzugt auf wahre Taten mit besonderer Schwere einschießen? Viele Deutungsansätze sind bekannt und redundant, ohne die Motivation abschließend darzulegen: Dass sich Frauen als dominante Opfergruppe von Gewaltverbrechen zur audiovisuellen Aufbereitung realer Verbrechen hingezogen fühlen, erscheint noch nachvollziehbar – nicht zuletzt, um daraus etwaige Lehren zur präventiven Vorsorge zu ziehen. Weiterhin heißt es, Frauen seien grundsätzlich neugieriger und empathischer – was allerdings nicht beantwortet, warum sie einen Großteil ihre Neugier und Empathie blutrünstigsten Verbrechen widmen. Dass der Anziehungskraft derartiger Formate auch ein gewisser Voyeurismus zugrunde liegen mag, wird ungern diskutiert. Unleugbar ist, dass unser Körper bei der Rezeption solcher Formate – seien sie fiktional oder true – Adrenalin, Endorphine und Glückshormone ausschüttet. Das Ergebnis: schreckerfüllte Euphorie, siehe „Alien“. Derlei Spaß an Gewaltdarstellung kann der Horror-Fan mühelos rechtfertigen: Es ist ja bloß ein Film. Darauf zu verweisen, es sei ja bloß True Crime, erscheint dagegen weniger überzeugend. Wie also umgehen mit dem Kick, den auch nachgewiesenermaßen True Crime beschert?
Ist ja bloß … wahr!
Der Autor Johann Scheerer spricht von „Schaulustigen-Mentalität“. „Ist True Crime am Ende nichts anderes als ein Klatschmagazin, in dem statt Promi-Schwangerschaften Mordfälle ausgeweidet werden?“, fragt die Redakteurin Helene Flachsenberg auf bento. Regisseurin Christiane Fernbacher inszenierte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen True Crime-Dokumentationen und stellt rückblickend die Sinnhaftigkeit in Frage (Weisser Ring: „Forum Opferhilfe“). Der Fernsehkritiker Torsten Körner spricht ebendort davon, dass wir hier „die Kammern des Schreckens in Tiny-Entertainment-Houses“ verwandeln. Das Leben aber „ist immer true“. Entspannung in der Spannung findet indes auch Körner – nur „ohne True und Täterkult“. Was hat es also wirklich auf sich mit dieser geheimnisvollen, weiblich dominierten Faszination an realen Schwerverbrechen? Sollten wir vielleicht mehr Angst haben vor der Frau?
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Teil 1: Leitartikel – Was uns Brettspiele übers Leben verraten
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Teil 2: Leitartikel – Warum das EU-Parlament kaum etwas zu sagen hat
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Teil 3: Leitartikel – Auf der Suche nach Europa in Georgien
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