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Maria Schrader am Set
Foto: Tanja Arlt

„Der Vordenker eines geeinten und freien Europas“

27. Mai 2016

Regisseurin Maria Schrader über ihr Stefan-Zweig-Biopic „Vor der Morgenröte“ – Gespräch zum Film 06/16

Die Theater- und Filmschauspielerin Maria Schrader, 1965 in Hannover geboren, war bereits bei ihren ersten Filmrollen Ko-Autorin der Drehbücher; als Ko-Regisseurin zeichnete sie bei Dani Levys „Meschugge“ (1998) verantwortlich. Ihre erste eigene Regiearbeit legte sie 2007 mit dem in Israel gedrehten Drama „Liebesleben“ (nach dem gleichnamigen Roman von Zeruya Shalev) nach. Wir sprechen mit ihr über ihren aktuellen Film „Vor der Morgenröte“.

engels: Frau Schrader, was ist für Sie das Besondere an Stefan Zweig?
Maria Schrader: Dass sein Leben mindestens so interessant ist wie sein Werk. In seinen letzten Jahren wurde er geradezu eine literarische Figur, über die er selbst hätte schreiben können. 

Wie meinen Sie das?
Der letzte Abschnitt seines Lebens liest sich wie eine allegorische Erzählung über das Exil. Stefan Zweig war dem Krieg entkommen und wurde trotzdem von ihm heimgesucht. Er war in Sicherheit, lebte in einem Paradies, von Papageien und Bananenbäumen umgeben, aber er hielt den Gedanken an die Schrecken in Europa nicht aus, dass zur gleichen Zeit Freunde, Kollegen, Millionen von Menschen ermordet wurden. Sein Suizid erschütterte die Welt. Thomas Mann verurteilte ihn, den Nazis einen solchen Triumph zu gönnen.

Deswegen wollten Sie über ihn erzählen?
Stefan Zweig war der Meister darin, am Beispiel des Einzelnen auf etwas Allgemeineres hinzudeuten. „Vor der Morgenröte“ erzählt über das Exil, am Beispiel Stefan Zweigs. Er war der Vordenker eines geeinten und freien Europas und musste zusehen, wie es sich jetzt selbst zerstörte. Er war ein radikaler Pazifist. Er weigerte sich, Hitlerdeutschland anzugreifen, und sei es nur mit Worten. Gleichzeitig nutzte er seinen Einfluss, um wie kein Zweiter Menschen zur Flucht zu verhelfen. Er selbst strandete am anderen Ende der Welt. Das Schicksal deutschsprachiger Exilanten schien uns in seinem Leben in scharfen, extremen Strichen gezeichnet zu sein. Und wir haben uns gefragt: Wie macht man daraus einen Film? Die Idee, Momentaufnahmen, Miniaturen zu erzählen, mehrmals 20 bis 25 Minuten Echtzeit eines Lebens beizuwohnen, gefiel mir. Die Form reizte mich ebenso wie der Inhalt.

War Ihnen schnell klar, dass Sie das Drehbuch nicht alleine schreiben wollten?
Ja. Erstens hatte ich große Lust, nach „Vergiss mein Ich“ wieder mit Jan Schomburg zu arbeiten. Und es war klar, dass es in diesem Fall wirklich meterweise zu lesen gibt, bevor man einen ersten Satz des Drehbuchs schreibt. Die Menge von Biografien, Werken, Briefen, Tagebüchern bis hin zu gezielten Recherchen – diese akademische, oft auch detektivische Arbeit und der Austausch zu zweit haben großen Spaß gemacht. Wir sind in hinterste Winkel des Internets sowie in geheime Räume von Bibliotheken vorgedrungen. Es war ein Abenteuer.

Obwohl wir hier eine historische Person haben, ist eine Aktualität spürbar … 
Allerdings. Und heute viel, viel stärker und akuter als zu dem Zeitpunkt, an dem wir mit dem Drehbuch begonnen haben, das ist ja schon vier Jahre her. Das Thema Exil ist so historisch wie zeitgenössisch, es zieht sich durch alle Epochen, an allen Kriegen entlang, und in was für ein Spannungsfeld von Angst und Schuldgefühl, Verantwortung und Hoffnung die Menschen geraten, ist uns erst in der Beschäftigung mit Zweig klar geworden. Es war mir wichtig, dass der Film versucht, sich diesem Gefühl anzunähern, wie es ist, fremd zu sein, in einem ganz anderen Klima anzukommen oder auch plötzlich umgeben zu sein von Menschen, denen man erklären muss, was in der eigenen Heimat vor sich geht. So einen Dialog führen wir heute umgekehrt, aber es ist auch erst 70 Jahre her, dass man aus Europa geflohen ist. 

Was auffällt, ist die außergewöhnliche Ästhetik. Da sind Bilder, die man nicht vergisst, etwa die Eingangs- und Schlusssequenz.
Ja, das waren auch für mich die aufregendsten Drehtage. Acht Minuten, sehr viele Menschen vor der Kamera und kein Schnitt. Ich hatte es schon im Drehbuch so geplant, aber natürlich nicht gewusst, ob es klappt. Wolfgang Thaler (der Kameramann) war skeptisch. Aber ich sagte zu ihm: Lass es uns einen Tag lang proben und dann sehen, ob es interessant sein kann, wenn fast 60 Personen nacheinander einen Raum betreten. Ich arbeite ja viel am Theater und ich wollte die beiden Medien verbinden. In der Eröffnungsszene besucht Stefan Zweig das erste Mal Brasilien. Und in unserem Film liegt die ganze Schönheit dieses Landes auf dem 20 Meter langen Tisch vor seinen Augen. Ein Meer von exotischen Blumen und schön gekleideten Menschen. Das ist ein gewaltiges Bild, das man lange betrachten kann. Wolfgang ist phänomenal. Er setzt sich die Kamera auf die Schulter und findet Kinobilder, von denen man denkt, sie sind lange und ausgeklügelt komponiert. In Wahrheit macht er das fast dokumentarisch und improvisiert. Das gibt auch den Schauspielern viel Freiheit.

Und die Wirkung von großer Intensität … 
Wir hatten nur 26 Tage Drehzeit. Kaum mehr als ein „Tatort“. Obwohl wir diese historischen Anforderungen zu bewältigen hatten. Ohne Wolfgang wäre das unmöglich gewesen. Ich wünschte mir, dass es ein sinnlicher, farbenfroher, lebendiger Film wird, mit Szenen, an denen man am liebsten teilnehmen möchte. Zum Beispiel der Schriftstellerkongress in Buenos Aires. Ich wollte, dass man am liebsten selbst dort im Publikum sitzen möchte, dass die Menschen modern, exzentrisch, interessant aussehen. Ich hatte fantastische Kostüm- und Szenenbildner, aber natürlich auch großartige Schauspieler. Viele kommen vom Theater, denen kann man mehr zumuten. Sie können lange Sequenzen spielen, und die Kamera ist einfach immer dabei. Einen „eleganten, historischen Dokumentarfilm“, in dem sich alles, was wir sehen, auch ohne Kamera vollziehen würde - diesen Eindruck wollte ich gern erreichen.

Was vorab sehr überraschend scheint, ist die Besetzung der Hauptrolle mit Josef Hader. Dann entpuppt es sich als Coup.
Als das erste Mal sein Name in dem Zusammenhang genannt wurde, habe ich kurz gestutzt. Und dann gedacht: Natürlich! Kein anderer! Josef ist selbst Autor. Er positioniert sich gesellschaftlich und ist eine öffentliche Figur mit Haltung und Verletzbarkeit. Er ist ein originärer Künstler, der Stefan Zweig auf Augenhöhe begegnet. Diese Angst, missverstanden, von einem falschen Lager vereinnahmt oder instrumentalisiert zu werden, der Aufruf, zu allem und jedem Stellung zu beziehen – all das ist ihm nicht fremd. Josef sagte beim ersten Treffen: „Mir werden viele Drehbücher angeboten, und ich denke meistens, dass sie doch einen ‚richtigen’ Schauspieler nehmen sollen. Aber hier verstehe ich, warum Du mir das anbietest.“ Ich wusste, es ist die richtige Idee, meine einzige Angst war, dass er absagen könnte. Beim Drehen war ich immer wieder überwältigt. Josef ist ein fantastischer Schauspieler, mit untrüglichen Instinkten und dem überraschendem Mut, auch die Ironie, die wir sonst von ihm kennen, einfach wegzulassen.

Interview: Jessica Düster

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