Zur Person
Der studierte Geologe und Soziologe Helwig Fenner (38) ist Projektmanager beim Berliner Verein Mein Grundeinkommen e.V., der seit September 2014 bedingungslose Grundeinkommen verlost.engels: Herr Fenner, warum wird die Welt durch bedingungslose Grundeinkommen verbessert?
Helwig Fenner: Zuletzt hat sich Telekom-Chef Timotheus Höttges öffentlich für ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen. Angesichts der Digitalisierung und Automatisierung unserer Arbeitswelt werden viele Jobs überflüssig. Arbeitskräfte werden freigesetzt. De facto kann heute nicht mehr jeder Mensch arbeiten. Daraus stellt sich die Frage, was in unserer Arbeitswelt passiert. Sollen alle Arbeitslosengeld kassieren? Oder ändern wir unsere Gesellschaft, die sowieso auf Kosten der globalen Gemeinschaft und der Welt lebt, durch unsere Konsumwirtschaft? Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine mögliche Antwort auf diese veränderten Verhältnisse. Denn es stellt die Existenz sicher. Auf dieser Grundlage kann ich mir als Mensch die Frage stellen, was ich überhaupt machen möchte.
Das Grundeinkommen führt zu einer gewissen Freiheit. Wofür sorgt das bei den Menschen?
Zur Person
Der studierte Geologe und Soziologe Helwig Fenner (38) ist Projektmanager beim Berliner Verein Mein Grundeinkommen e.V., der seit September 2014 bedingungslose Grundeinkommen verlost.
Es schafft vor allem die Freiheit, Nein zu sagen. Wenn du existentiell abgesichert bist, kannst du auch mal ein Jobangebot ablehnen, das dir nicht passt. Dann kannst du auch mal veränderte Arbeitsbedingungen ablehnen, wenn du weißt, dass du abgesichert bist. Du kannst Dinge tun, von denen du überzeugt bist, und nicht, Dinge tun zu müssen, die man von dir verlangt. Du bist also weniger von außen bestimmt.
Diese Selbstbestimmung hat also weniger mit Faulheit zu tun, als Kritiker des Grundeinkommens behaupten.
Klar gibt es diese Befürchtung, dass Menschen, die ein Grundeinkommen erhalten, sich einfach in die Hängematte legen. Unsere Erfahrungen widerlegen das. Fast alle arbeiten das weiter, was sie vorher gemacht haben. Sie arbeiten auch nicht weniger. Es gibt einen, der seinen Job im Callcenter gekündigt hat, der ihn krank gemacht hat. Jetzt hat er angefangen, Pädagogik zu studieren und somit das zu tun, was ihn wirklich interessiert.
Bei Ihrem Verein Mein Grundeinkommen e.V. kann man ein Grundeinkommen gewinnen. Wie funktioniert das System?
Mein Grundeinkommen ist eine Crowdfunding-Kampagne. Wir sammeln Geld von Spendern ein und immer wenn 12.000 Euro voll sind, wird ein Jahr des Grundeinkommens verlost – unter allen, die sich auf unserer Webseite angemeldet haben. Der Gewinner bekommt entsprechend 1000 Euro monatlich für ein Jahr. Man muss keinen Einsatz leisten oder selber spenden, um zu gewinnen.
Wie viele Menschen wurden bislang ausgelost?
Bislang haben wir 25 Grundeinkommen verlost, das 26. ist bereits finanziert und wird noch vergeben. Wir haben also schon mehr als 300.000 Euro bei der Kampagne eingesammelt.
Kann wirklich jeder mitmachen?
Jeder Mensch. Wir sagen, Grundeinkommen ist ein Menschenrecht. Das bedeutet, ob Kind, ob Rentner, ob arm, ob reich, egal woher du kommst – du kannst teilnehmen. Einzige Voraussetzung ist die Anmeldung per Internet. Unser Grundeinkommen ist bedingungslos, das heißt, wir verlangen keine Gegenleistung. Es wird einfach ausgezahlt.
Der Gewinner bekommt also jeden Monat 1000 Euro einfach aufs Konto.
Genau, es ist als Gewinnspiel sogar steuerfrei. Klar, wer Hartz IV bezieht, muss das Geld anrechnen lassen. Aber das wäre vielleicht auch ein Vorteil, wenn man nicht mehr zum Jobcenter rennen muss und irgendwelche Dinge tun muss, die das Jobcenter verlangt. Stattdessen kann ich diese Freiheit genießen.
Haben Sie Kontakt zu den bisherigen Gewinnern?
Zu diesen 25 Menschen haben wir persönlichen Kontakt, ja. Natürlich variierend, mal mehr, mal weniger eng, mal mit langen, mal mit kurzen Geschichten dahinter. Aber die meisten verspüren eine Dankbarkeit gegenüber den Spendern, so dass sie auch mitteilen, wie es ihnen mit dem Geld geht. Das gehört natürlich auch zum Zweck unseres Projekts, dass wir nicht nur reden, sondern auch machen und die Erfahrungen teilen. Damit wir einen Praxistest haben.
Was für Menschen sind das denn?
Das ist querbeet. Es gibt eine Rentnerin, Studierende, Arbeitslose, Männer, Frauen - wir haben sogar drei Kinder, die gewonnen haben. Auch jemanden aus dem besser verdienenden Segment. Einen Millionär haben wir aber noch nicht als Gewinner gehabt. Die Motive an der Teilnahme sind unterschiedlich. Viele unterstützen uns dauerhaft. Viele finden das Thema spannend und melden sich an. Im Kern sind aber alle bereit, etwas in den Topf zu geben, von dem ja höchstwahrscheinlich jemand anderes profitieren wird.
Gibt es Gewinner, die ohne das Grundeinkommen große finanzielle Probleme hätten?
Eine Gewinnerin lag vorher, soweit ich weiß, knapp über dem Hartz-IV-Satz. Das Grundeinkommen hat ihr natürlich erstmal richtig Luft verschafft. Ein Student, der gewonnen hat, hat Hartz IV bewusst gegen unser Grundeinkommen getauscht. Die Bedingungslosigkeit des neuen Geldes auf seinem Konto gegenüber dem Sozialgeld war ihm lieber.
Was fangen die bisherigen Gewinner zum Beispiel mit ihrem Grundeinkommen an?
Ganz unterschiedlich. Wir haben zum Beispiel einen Gewinner, der jahrelang auf Sparflamme gelebt hat und jeden Cent vom Mund absparen musste. Da gibt es natürlich einen gewissen Nachholbedarf an Konsum; mal einen Fernseher kaufen, mal eine Reise machen, mal ausgehen. Es gibt aber auch Menschen, die das Geld sofort wieder in andere gemeinnützige Projekte stecken. Ein Familienvater aus Baden-Württemberg hat für die Kinder der Nachbarschaft einen 3D-Drucker gekauft. Fast alle Spenden regelmäßig wieder zurück in unseren Topf. Das ist herausragend.
Was geben die Teilnehmer denn am meisten vorab als Wünsche an?
Die meisten wollen tatsächlich gesünder leben. Sich weiterbilden. Etwas Neues anfangen. Die Selbstständigkeit wagen. Solche Dinge. Unsere Gewinner bestätigen, dass sie jetzt gesünder essen und entspannter leben. Wir haben einen besonders eindrucksvollen Fall, wie ich finde: Bei einem chronisch Kranken mit zuvor hohen Entzündungswerten sind die Werte innerhalb von sieben Wochen nach der ersten Überweisung auf Normalmaß zurückgegangen. Das ist erstaunlich – nur durch weniger Stress und die finanzielle Sicherheit.
Was meinen Sie, wie viele Menschen durch das BGE einmal unterstützt werden können? Gibt es ein Vereinsziel?
Zunächst einmal wollen wir die Debatte weiter entzünden. Klar träumen wir von einer Grundeinkommens-Gesellschaft. Das ist noch ein langer Weg – aber in der Schweiz steht das in diesem Jahr zur Abstimmung. Warum also nicht mal bei uns? Erstes Ziel ist, dass jeder in Deutschland jemand kennt, der schon einmal ein Grundeinkommen hat oder hatte.
Fühlen Sie sich als Speerspitze?
Ja, aber die ist ziemlich breit. Es gibt viele Aktivisten, die meistens nicht parteigebunden sind. Klar ist unser Netzwerk mit mittlerweile 180.000 registrierten Menschen auf unserer Seite das größte Grundeinkommens-Netzwerk in Deutschland. Es gibt aber noch viele andere große Gruppen und private Initiativen. Wir haben eine breite Befürworterschaft.
Aktiv im Thema
www.mein-grundeinkommen.de
www.gut-fuer-wuppertal.de
www.betterplace.org
www.bettervest.com
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zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und choices.de/thema
Thema im März: FRAUENLEBEN – Wie gleichberechtigt ist unsere Gesellschaft? Gibt es weibliche Beschneidung auch in Deutschland? Gründen grüne Unternehmerinnen anders?
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