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Investition in sinnvolles Wachstum
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Radikale Veränderung des Finanzsystems

29. Oktober 2015

Christof Lützel, Bankbetriebswirt und Pressesprecher der GLS Bank, über Gemeinwohl als Gesellschaftskonzept – Thema 11/15 Gemeinwohl

engels: Die GLS Bank wirbt damit, dass sie menschliche Grundbedürfnisse auf soziale und nachhaltige Weise finanzieren will. Was heißt das konkret?
Christof Lützel: Das Geld, das wir von unseren Kunden erhalten, legen wir ausschließlich in Projekte an, die weder der Gesellschaft noch der Umwelt schaden, sondern nützen. Zwischen 55 und 65 Prozent der Einlagen werden zurzeit als Kredite herausgegeben. Damit wird dann beispielsweise ein größerer Stall für einen ökologischen Landwirtschaftsbetrieb oder der Neubau eines heilpädagogischen Hauses finanziert. Der Rest wird bei der Westdeutschen Genossenschafts-Zentralbank nach strengen sozial-ökologischen Kriterien angelegt. Die Finanzierung von Kinderarbeit, Waffenhandel, Atomkraft und weiteren Negativkriterien ist tabu.

Das klingt erst einmal nachhaltig. Aber nützt das Konzept auch dem Gemeinwohl?

Christof Lützel
Foto: Marina Engler

ZUR PERSON

Christof Lützel (51) ist gelernter Politikwissenschaftler, Bankbetriebswirt und Prokurist. Er arbeitet seit 16 Jahren für die GLS Bank, wo er seit mehr als zehn Jahren Mitarbeitervertreter im Aufsichtsrat ist.


Die GLS Bank wurde 1974 mit dem Ziel gegründet, die Umwelt zu schützen und das Leben jedes Einzelnen in der Gesellschaft zu verbessern. Dafür wurden nicht nur entsprechende Projekte gefördert, sondern Anleger hatten außerdem die Möglichkeit, auf einen Teil ihrer Zinserträge zu verzichten, um damit anderen zu helfen.Heute sind die Bankabläufe deutlich komplexer. Die Ziele haben sich jedoch nicht geändert.Wir wollen keine Gewinne um der Gewinne willen. Geld ist bei uns vor allem Mittel zum Zweck. Und im Gegensatz zu vielen anderen Banken vergeben wir auch Kleinkredite von 20.000 Euro oder weniger. Damit machen wir keine großen Gewinne. Aber durch andere, größere Projekte lässt sich das ausgleichen. Auf diese Weise lassen sich viele kleine soziale Ideen fördern, die ansonsten vermutlich keine Chance hätten. Insofern würde ich schon sagen, dass wir dem Gemeinwohl nützen.

Momentan hat die GLS Bank rund 200.000 Kunden. Könnten Sie ihr Konzept auch als große Bank aufrecht erhalten?
Für die nächsten zehn Jahre mache ich mir keine Sorgen. Es gibt so viele gute Projekte, dass wir auch 500.000 oder eine Million Kunden sehr gut versorgen könnten. Unser Wachstumproblem liegt zurzeit eher auf Mitarbeiterseite.Wir haben seit der Finanzkrise bis zu 50 neue Mitarbeiter pro Jahr eingestellt, weil wir erfreulicherweise einen hohen Kundenzuwachs haben. Aber die neuen Mitarbeiter müssen erst einmal unser Konzept durchdringen, das sich durchaus von der klassischen Ausbildung unterscheidet. Insofern sind hier dem Wachstum Grenzen gesetzt. Aber das ist auch ganz gut so. Denn so können wir dynamisch wachsen, ohne an unseren Prinzipien zu rütteln oder in eine Richtung zu wuchern, die wir gar nicht einschlagen wollten.

Insofern sind Ihnen als Bank natürliche Wachstumsgrenzen gesetzt. Könnten Sie sich denn vorstellen, dass das Gemeinwohlkonzept für eine ganze Gesellschaft funktioniert?
Ich kann mir das nicht nur vorstellen, sondern halte es für die einzig sinnvolle Variante. Und in der Theorie ist das auch gar kein Problem. In Umfragen geben bis zu 16 Millionen Menschen in Deutschland an, dass sie ihr Geld grundsätzlich gerne nachhaltig anlegen wollen. Außerdem fordern diverse Vereine mit Millionen von Unterstützern, dass wir unseren Lebensstil dringend ändern müssen, weil er sozial und ökologisch nicht mehr aufrecht zu erhalten ist. Dennoch haben alle ökologisch-sozialen Banken in Deutschland gemeinsam nicht einmal eine Million Kunden. Und an der Schere zwischen Arm und Reich oder dem ökologischen Fußabdruck der Deutschen hat sich in den letzten Jahren auch nichts verändert.

Woran scheitert es? Der Politik? Der Wirtschaft? Den einzelnen Menschen?
Ich wünschte, ich könnte darauf eine eindeutige Antwort geben. Grundsätzlich kann ich sagen, dass die Politik einen großen Einfluss hat. Mit der Einführung des EEG istzum Beispiel der Bereich der Regenerativen Energien deutlichangestiegen. Das war positiv. Aber mit den regulatorischen Maßnahmen nach der Finanzkrise wurden besonders die kleinen Banken hart getroffen. Denn selbst für einen Kleinkredit müssen so viele bürokratische Punkte beachtet werden, dass es sich finanziell kaum noch lohnt. Auch die aktuelle Niedrigzinsphase ist für Anleger und kleine Banken eine Katastrophe.Den Staatenhingegen spielt sie in die Hände, weil sie sich billig Geld leihenkönnen.Das wiederum scheint das aktuelle System zu begünstigen. Denn nach wie vor wird das Hauptaugenmerk darauf gelegt, Gewinne einzufahren. Und zwar um jeden Preis. Die sozialen und ökologischen Folgen werden viel zu wenig berücksichtigt.

Was müsste sich ändern?
Im Prinzip muss das gesamte Finanzsystem radikal verändert werden. Das passiert aber nicht, obwohl viele Menschen und auch politische Entscheider mittlerweile wissen, dass es so nicht weitergehen kann. Vielleicht liegt das in der Natur des Menschen. Es gibt einen Spruch, der lautet: „Große Veränderungen kommen nur durch Einsicht oder Not.“ Die Einsicht hat bisher nicht geholfen. Und selbst die Not durch die Finanzkrise in Europa und die Not der vielen Flüchtlinge scheint nicht zu reichen. Offensichtlich braucht es noch mehr, um das aktuelle System so radikal zu verändern, wie es nötig ist. Ich weiß nicht, was das sein soll. Ein zweites oder drittes Fukushima? Weitere Millionen Flüchtlinge? Oder eine starke Grundwasserverschmutzung im reichen Europa? Eigentlich möchte ich das der Welt nicht wünschen und hoffe, dass die Einsicht und viele kleine Taten vieler einzelner Menschen eine Veränderung hin zu mehr Gemeinwohl bewirken können. Ohne weitere Katastrophen.Drücken wir uns alle die Daumen!


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Interview: Marina Engler

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