Ein Finanzierungskonzept verändert die Welt. Das ist platt gesagt, trifft aber auf Crowdfunding durchaus zu. Vor gut zehn Jahren hat sich der Begriff zum ersten Mal in der Weltöffentlichkeit eingeprägt. Heute greifen immer mehr Menschen darauf zurück, wenn sie Geld für ihre Ideen brauchen, und immer mehr Menschen unterstützen Projekte über Crowdfunding. Wie das Statistikportal Statista herausgefunden haben will, sind die Zahlen auch in Deutschland zuletzt exorbitant in die Höhe geschnellt. Während laut Statista Anfang 2011 erst noch ein Kapital von 80.000 Euro eingesammelt wurde, stieg die Summe bis Frühjahr 2014 auf 2,84 Millionen Euro, dem bisherigen Höchststand in unserem Land. Bis Anfang 2015 pendelten sich die Zahlen auf 2,2 bis 2,4 Millionen Euro ein. Forscher der Uni Cambridge wollen sogar herausgefunden haben, dass 2014 in Deutschland 140 Millionen Euro in „alternative Finanzierungstransaktionen“ geflossen seien sollen.
Ob 2,8 oder 140 Millionen Euro – erstaunlich ist beides allemal. Was macht Crowdfunding so aussichtsreich? Vermutlich ist es das einfache System. Jemand stellt eine Idee auf einer Internetseite vor, und Menschen, denen diese Idee gefällt, geben dafür per Mausklick Geld. Wird die vorgegebene Marke erreicht, geht das Geld in den Besitz der Macher über. Schwarmfinanzierung wird das auf Deutsch genannt. Möglicherweise liegt der Erfolg aber auch darin, dass die Finanzierer so direkten Draht zu etwas bekommen, das anschließend auch nach ihrem Geschmack entwickelt oder hergestellt wird. Ein einfaches Beispiel ist das neue Album eines Musikers oder einer Band, hinter der noch kein finanzkräftiges Musiklabel steht. Die Musiker bieten Specials an, vom Poster über eine signierte CD bis zu persönlichen Songaufnahmen oder Live-Konzerten, die die Fans nach ihrem Geldeinsatz bekommen. Je höher der Einsatz, desto besser wird die Belohnung für den Stifter. Und am Ende kann der Künstler sein Album veröffentlichen, weil die Fans dafür quasi in Vorleistung gegangen sind.
Crowdfunding verändert aber nicht nur die Welt. In manchen Bereichen verbessert es sie sogar. Nämlich dann, wenn soziale Projekte für Unterstützung werben. Neben den Crowdfunding-Portalen der ersten Stunde wie Crowdfunding.de, Startnext.com oder Seedmatch.de sprossen Internetseiten aus dem digitalen Boden, die sich ausschließlich auf die Finanzierung von sozialen oder ökologischen Projekten stützen.
Für die Verbesserung der Umwelt stehen die Projekte der Seite Bettervest.com. „Die erste Crowdinvesting-Plattform, auf der du in Energieeffenzprojekte von Unternehmen, Sozialträgern, Vereinen und Kommunen investieren kannst und dafür an den erzielten Einsparungen beteiligt wirst“, schreiben die Macher auf der Internetseite. Dort kann man sein Geld zum Beispiel in Solar-Home-Systems für kenianische Familien stecken. Versprochen wird eine Rendite von 6 Prozent bei vier Jahren Laufzeit. Die CO²-Ersparnis wird ebenfalls angezeigt: der Ausstoß von rund 140 Tonnen des klimaschädlichen Kohlendioxids soll dadurch verhindert werden. 226 Investoren stifteten bislang 157.100 Euro, Stand Mitte Januar. Finanziert wurden bereits Blockheizkraftwerke, LED-Beleuchtungen oder mobile Solarkraftwerke. Die Spenden und die Rendite sollen sicher über neutrale Treuhänder fließen.
„Gemeinsam Wunder bewirken“ ist das Motto der Erfinder von Betterplace.org, die sich seit 2006 ausschließlich auf die Finanzierung von sozialen Projekten fokussieren. Topthemen, in denen Projekte unterstützt werden können, sind aktuell die Flüchtlingshilfe, die Kältehilfe für Obdachlose, Kinderhilfe, Nothilfe in Syrien, Tierschutz, Afrikahilfe oder Konzepte rund ums Thema Trinkwasser. Wer hier Geld springen lässt, tut das allerdings ohne Aussicht auf Rendite, sondern weil er einfach helfen will. Laut eigenen Angaben ist Betterplace.org die „größte deutsche Spendenplattform“. Sie versprechen, dass „Spender miterleben, was ihr Geld bewirkt“.
Denn das Crowdfunding hat – wenn alles mit rechten Dingen läuft – einen gewaltigen Vorteil. Das Geld fließt sofort lokal in eine bestimmte Maßnahme. Wer also möchte, dass eine Kindergartengruppe im Stadtteil neues Spielzeug bekommt, kann direkt dafür Spenden. Wer möchte, dass Flüchtlinge in der Stadt in Deutschkursen die neue Sprache lernen, kann das unterstützen.
Das führt dazu, dass sich Menschen vermehrt das ganze Jahr über für soziale Projekte einsetzen – und nicht nur einmal im Jahr, zur Weihnachtszeit, wenn man beseelt vom ganzen persönlichen Glück das Portemonnaie bei der ARD-Spendengala aufmacht oder an den S.O.S.-Kinderdorf-Ständen in bundesdeutschen Innenstädten, weil man „jetzt auch mal was zurückgeben möchte“, um sein Gewissen zu beruhigen.
Aktiv im Thema
www.mein-grundeinkommen.de
www.gut-fuer-wuppertal.de
www.betterplace.org
www.bettervest.com
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