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Na so toll ist das Paradies nun auch nicht. Da hilft auch nicht die Nebelmaschine (Thomas Braus als Ariel und Stefan Walz als Prospero)
Foto: Uwe Schinkel

Ein Spießer will wieder an die Macht

26. Oktober 2017

Marcus Lobbes inszeniert in der Oper „Der Sturm“ von Shakespeare – Auftritt 11/17

Was wird aus Bücherwürmern, die ihre schulischen Pflichten vernachlässigen, oder was passiert, wenn Philosophie die Regierenden durchdringt? Genau, beide werden gestürzt, die einen ins Jungen-Klo, die anderen vom Thron, dem ehemaligen Herzog Prospero von Mailand passierte beides, nur dass sein Klo eine einsame Insel ist, auf der einst die Hexe Sycorax ihr Unwesen trieb und die er mit Tochter nur knapp erreichte. Zwölf Jahre später hat Prospero das paradiesische Eiland unter Kontrolle. „Oh, island in the sun, willed to me by my father's hand.“ Die Harry Belafonte-Melodie im Ohr, schaut man in der Wuppertaler Oper auf die Bühne und – die haben das Bühnenbild vergessen. Dunkel, leergefegt wie nach einem Hurrikan. So sehen amerikanische Landschaften in Florida aus, aber doch nicht Prosperos Eiland. Aber für Regisseur Marcus Lobbes scheint Shakespeares finales Stück auch eine Möglichkeit zu sein das Theater selbst und die Magie dahinter zu inszenieren.

Marcus Lobbes
Foto: Wuppertaler Bühnen
Zur Person

Marcus Lobbes arbeitet seit 1995 als Regisseur und Ausstatter im Musik- und Sprechtheater. Mit der Wuppertaler Produktion von William Gaddis' „JR“ erhielt er 2014 den Hauptpreis für die beste Regie beim Theatertreffen NRW. In Wuppertal inszenierte er auch „König Lear“, „Baumeister Solness“, „Leonce und Lena“ sowie „Der Blitz“.


Und auch das Stück selbst ist kräftig durchgepustet worden, das Rhizom der handelnden Personen wurde entflochten, die Kerne sind modernisiert, die Rollen neu strukturiert. Herausgekommen ist ein wilder Ritt durch Herrschaftssysteme, der chaotische visuelle Spiele produziert, und – eigentlich nur eine Probensituation spiegelt. Nichts soll hier endgültig sein, wohl nicht einmal die letzte Text- oder Spiel-Fassung. Dafür stehen, außer der Souffleuse darunter, nur Männer auf der Bühne, und die spielen bis auf Stefan Walz als Zauberer Prospero alle mehr als eine Rolle.

Zu Beginn aber steht Stefan Walz noch einsam und allein auf leerer Bühne, weniger ein Herzog, noch weniger ein Zauberer, mehr so der Typ von nebenan oder gleich darüber. Er erklärt seine Situation in einfachen Worten, schafft Klarheit über die Historie, noch bevor die Handlung wie sonst immer auf der Insel startet. Der neue Intendant von Wuppertal schleppt derweil die Requisiten heran. Mal ne Palme, eine Stellwand. Eine Nebelmaschine spuckt die ersten Wölkchen Trockeneis (oder Nebelfluid), denn Thomas Braus ist Ariel, ein Luftgeist, der einst in einem Baum steckte und jetzt dem Prospero für seine Rettung dient, gern immer wieder mit Nebelmaschine. Und weil Thomas Braus mehr so ein Vollblutmime denn Theaterverwaltungschef ist, kann er auch Caliban, den missgestalteten Sohn der Hexe Sycorax spielen, Himmel und Hölle gern gleichzeitig, kein Problem, weißes Federkränzchen wie Lorbeer hin oder her. Der Rest der grandiosen „Duke´s Men“ sitzen noch im Orchestergraben an Tischen, mit Kostümteilen, Perücken und Schminkutensilien, und warten auf den Auftritt, bei dem Bühnen- und Kostümbildnerin Pia Maria Mackert vieles bewusst provisorisch scheinen lässt, selbst Prospero-Tochter Miranda sitzt erst einmal als Muppet-Puppe irgendwo herum, während der Vater noch dauerdeklamiert und Ariel im Hintergrund schuftet.

Die Bösewichter, oder besser die Machtbesessenen werden jetzt in einen Sturm gezaubert und an die Insel gespült, die für sie zu einem immerwährenden Tagtraum werden soll. Rache treibt Prospero nicht mehr an, er will bekehren, seine Tochter aus dem Püppchen-Dasein befreien und endlich wieder zurück an die Schaltknöpfe in Mailand. Dafür beugt er Zeit und Raum – und letztlich auch die Magie, denn sein Paradies lebt nur in der leuchtenden Reklametafel, sein Schloss ist plüschig, die Pflanzen künstlich. Und sind wir mal ehrlich, wir haben alle schon schönere Luftgeister auf deutschen Bühnen gesehen. So spiegelt Lobbes auch den Theaterbetrieb, der selbst oft nicht aus seinen konzentrischen Bahnen herauskommt. Es gibt die klassische Tradition nicht wirklich und zum Glück immer neue Ansätze, die auch die mächtige Gravitation der Bühne aushebelt.

In Wuppertal darf man dies ruhig auch als erstes Statement einer neuen Zeit verstehen, die noch den einen oder anderen Weg finden muss, und wenn es auch den infernalischen in die eigenen Innereien dazu bedarf. Beim Sturm stellte das Ensemble die Frage: Wird Prospero am Ende der Zauberei und Bücher­wissenschaft entsagen und wieder auf den Thron von Mailand, in die reale Politik zurückkehren? Und man wird sagen müssen: Ja leider. Spießbürger an der Macht, das haben wir schon zu lange, und die braunen Calibans, die braucht auch niemand. In Wuppertal kulminiert alles mit Bratwurst auf der Bühne. Sehr lecker – oder nicht? 

„Der Sturm“ | R: Marcus Lobbes | So 26.11. 16 Uhr, So 10.12. 18 Uhr | Opernhaus Wuppertal | www.schauspiel-wuppertal.de

PETER ORTMANN

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