Joseph Kesselrings Komödie über zwei ältere Damen, die einsame, ältere Herren ermorden, indem sie ihnenvergifteten Holunderwein verabreichen, hatte ihre Bühnenpremiere im Jahr 1941 am Broadway und erwies sich binnen kürzester Zeit als riesiger Publikumserfolg. Im Jahr 1944 schloss sich die Hollywood-Verfilmung an, die zum Klassiker avancierte. Im Interview spricht Roland Riebeling über Schauspiel als Verwandlungskunst, eine Welt trügerischer Sicherheiten und schwarzen Humor.
engels: Herr Riebeling, Giftmord als lustiges Kammerspiel. Ist das was für die Adventszeit?
Roland Riebeling: Giftmord als Kammerspiel ist zu jeder Jahreszeit immer willkommen und das ist hoffentlich immer ein Knüller. Im Stück geht es aber auch um den Weihnachtsbasar. Je süßer die Atmosphäre drum herum ist, umso besser ist es für den Plot, umso größer ist die Fallhöhe.
Ist „Arsen und Spitzenhäubchen“ in Wuppertal gendergerecht besetzt?
Das hat mit Gendern gar nichts zu tun, sondern mit einer uralten Tugend des Theaters. Da haben wir uns meines Erachtens in der aktuellen Diskussion, zumindest Teile der Theaterschaffenden, ein bisschen verzettelt. Denn eins ist meiner Meinung nach klar: Jeder darf immer alles spielen. Das wurde in unguter Weise vermischt mit dem richtigen Gedanken, dass alles abgebildet werden soll, jede und jeder mitmachen darf – und bitte alle auch gut dafür bezahlt werden. Das hat aber nichts damit zu tun, dass am Theater alles möglich sein sollte. Deswegen unternehmen wir hier bei „Arsen und Spitzenhäubchen“ ein wildes Gemisch, wer was spielt. Und ich hoffe, ein sehr lustvolles. Damit zeigen wir auch immer: Die Fiktion ist die Königin des Theaters und Fiktion, nämlich eine Fantasie zu entwickeln, ist der Garant für eine freie Gesellschaft. Und deswegen erlauben wir uns das.
„Giftmord als Kammerspiel ist immer willkommen“
Aber bei Blackfacing hört der Spaß auf?
Selbstverständlich. Das ist immer die Frage, was ist blöd und war schon immer blöd. Und das war schon immer übergriffig und verletzend. Diffamierung und Diskriminierung haben nichts in der Kunst verloren. Auf der anderen Seite darf man den Ausdruck von kultureller Aneignung – das ist ja letztlich ein juristischer Begriff – den darf man dann auch nicht zu sehr ausdehnen oder missbrauchen. Ich würde sogar sagen, kulturelle Aneignung ist ein Grundmotiv von Theater. Nur, diese Aneignung muss geschehen aus Verneigung und Bewunderung und dem tiefempfundenen Wunsch, sich authentisch zu verwandeln. Nicht etwas zu verballhornen, zu benutzen oder gar zu missbrauchen.
Teddy und Mortimer als Doppelrolle – ist das auch eine Referenz an Dr. Jekyll und Mr. Hyde?
Womöglich ja. Aber in unserer Setzung kommen wir wieder zur Lust an der Verwandlung. Weil dieser junge Kollege Kevin Wilke das so unterschiedlich spielt, denken hoffentlich viele, dass sie das nicht gedacht hätten, dass das derselbe Schauspieler ist. Wir fangen natürlich gerade erst mit den Proben an, aber wir hoffen, dass wir so rasch im Kostümwechsel und mit ein paar illusionistischen Tricks werden, das eben bei allen Figuren der Eindruck entsteht, dass das nicht immer ein und derselbe Mensch ist.
„Letztlich geht es um trügerische Sicherheit“
Wie schwer lastet denn Hollywood auf dem Stoff?
Das ist eine gute Frage. Und ich gestehe Ihnen was: Ich habe mir diesen Film extra nicht mehr angeschaut. Deswegen habe ich auch keine Fantasie zum Film. Das Theaterstück am Broadway gab es ja zuerst. Wir stürzen uns da sehr rein. Was ich aber mit Hollywood von damals verbinde war die Hochkultur von Slapstick. Stan Laurel, Oliver Hardy, Charlie Chaplin usw. Und das Stück von Joseph Kesselring mutmaßt, dass es auf der Bühne hochdreht. Dem versuchen auch wir gerecht zu werden. Das einzige, was da an Hollywood drin ist und drin sein muss, sind diese unfassbaren Slapstick-Nummern. Türe auf, Fenster zu, Verfolgungsjagd. Wer ist wann auf welcher Treppe, wer trägt wann welche Leiche in den Keller die Treppe runter. Und irgendwann trat Frankensteins Monster auf.
Aber Boris Karloff hab ich auf der Besetzungsliste nicht gesehen.
Weil die Leute eben nicht mehr wissen, wer Boris Karloff war, nennen wir ihn in unserer Fassung Frankenstein. Und so ist es auch tatsächlich geschrieben, dass man diese Assoziation mit der Kinofigur haben muss.
Wie bringt man denn kleinbürgerliche Behaglichkeit und nacktes Entsetzen gleichzeitig auf die Bühne?
Indem man das genau so macht, wie es da auf dem Blatt steht. Ich glaube, dass dieses Stück kaum Modernisierung verträgt. Letztlich geht es um trügerische Sicherheit. Das macht es auf eine ganz merkwürdige Weise gerade heute sehr aktuell. Das ist der Grund warum das absolut nicht verkehrt auf dem Spielplan ist. Weil wir alle so ein Empfinden kennen aus den letzten Jahren, die wir so mitgemacht haben, mit all dem, was uns so begegnet ist in letzter Zeit in der Welt und immer noch begegnet. Das wir plötzlich merken, oh, man kann dem Braten nicht ganz trauen. Gestern war es noch schön, heute sehe ich mich unfassbaren Problemen ausgesetzt. Und dieses Empfinden bereitet dieses Stück als Komödie auf. Diese liebevollen frommen Tanten, die einen Choral singen, Harmonium spielen und wunderbaren Lady Baltimore-Kuchen backen stellen sich als Serienkillerinnen heraus. Der Boden trägt nicht mehr – stellt sich heraus.
„Wir dürfen albern sein, aber nicht blöd“
Schwarzer Humor – kann man den überhaupt in Farbe machen und verstehen die Deutschen das Schwarze überhaupt?
Ich liebe Sie für diese Frage. Die Deutschen haben ja tatsächlich traditionell – und ich schließe mich da durchaus ein – ein bisschen ein Problem mit Komik. Das sieht man schon daran, dass es in der klassischen Theaterliteratur im Gegensatz zur französischen oder britischen Theaterkultur vielleicht drei oder vier Komödien gibt – bis heute. Die Deutschen haben immer ein bisschen Angst, dass wenn sie mal lachen, dass das unter ihrem Niveau geschieht. Ich hoffe, dass wir diese Angst ein bisschen lösen können. Schwarzer Humor ist ja schon fast die Königsklasse des Humors. Es ist schon so bizarr und so schräg, dass man darüber lachen muss. Ins Stück sind ja tatsächliche Kalauer eingeschrieben und die machen wir auch alle. Ich sag immer, wir dürfen albern sein, aber nicht blöd.
Arsen und Spitzenhäubchen | 4.11., 19.30 Uhr (P) | Opernhaus Wuppertal | 0202 56 37 666
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