Menschen, die den Auftrag haben, nach dem Rechten zu sehen und Menschen, die nicht bei unrechten Taten gesehen werden wollen – so könnte der Plot von Nikolai Gogols Fünf-Akter aus dem Jahr 1836 „Der Revisor“ lauten. Doch, was ist rechtens? Gibt ein Gesetz alleine den Ausschlag oder steht nicht eher die Moral als letzte Instanz über den Dingen? Wiederum erhebt sich auch hier die Frage nach der Verantwortung über diese Entität. Es bleibt schwierig, damit verworren und unvermeidlich dramatisch. Die Kosmopolitin Maja Delinić inszeniert den Stoff für das Schauspiel Wuppertal. engels befragte die Fränkin mit kroatischen Wurzeln zu Tragik und Komik der Individuen.
engels: Frau Delinić, welche Person des öffentlichen Lebens fällt Ihnen am ehesten ein, wenn Sie an den Protagonisten im „Revisor“, den kleinen Beamten Chlestakow, denken?
Maja Delinić: „Hör auf über den Spiegel zu meckern, wenn deine Fresse schief ist.“ Dieses Sprichwort stellt Gogol vor seinem Stück „Der Revisor“. Chlestakows Erfolg beruht darauf, dass er seine Gegenüber spiegelt und jedem nach dem Mund redet. Er personifiziert die Fake-News. Jeder sieht im Spiegel nur das, was er oder sie sehen möchte. In dem er allen das gibt, was sie wollen, bekommt er, was er will. Ich denke in jedem von uns steckt ein Chlestakow, denn irgendwie schaffen wir uns alle die Welt, wie sie uns gefällt.
Inwiefern ist „Der Revisor“ eine zeitgemäße Geschichte?
Gogol beschreibt Typen, die wir 1836 in der Provinz in Russland antreffen würden aber auch 2023 an jedem anderen Ort auf dieser Welt. Da ist eine korrupte Stadtgesellschaft, die es sich gemütlich gemacht hat, auf den Kosten derjenigen, die unter ihnen stehen.
Eine Adaption des Werks läuft seit September 2020 erfolgreich am Kölner Theater im Bauturm. Hatten Sie die Möglichkeit, die Fassung anzuschauen?
Ich wünschte, dass „Der Revisor“ noch öfters auf den Theaterbühnen zu finden wäre. Nein, ich habe die Inszenierung nicht gesehen, aber vielleicht hole ich das noch nach.
Besteht in solchen Fällen der Drang, die Inszenierung vollkommen anders anzugehen, oder hat dies keinen Einfluss auf ihre Arbeit?
Es hat keinen Einfluss auf meine Arbeit. Mein Team und ich wollen unseren eigenen Zugang finden, ohne dabei zum Kommentar zu werden.
Ist der vermeintliche Nutznießer der Geschehnisse in Gogols Erzählung, Chlestakow, logischerweise ein schlechter, amoralischer Mensch?
Alle in diesem Stück sind verkommen. Aber nur, weil jeder den Traum von einem besseren Leben träumt. Es gibt keine einzige ehrliche Seele, außer vielleicht Ossip, Chlestakows Diener. Er scheint genau der zu sein, der er ist. Chlestakow ist ein Spieler und vielleicht hat er keinen Kern, man kann ihn sich als Zwiebel vorstellen.
Das Stück ist als Komödie deklariert. Wann ist ein Fake lustig und wo ziehen Sie die Grenze zur Tragödie?
Jede starke Komödie ist tragisch. Wenn die Figuren nicht in existentielle Not geraten, kann man nicht über ihr Scheitern lachen. Im „Revisor“ erlebt jede Figur ihre eigene Tragödie, für sie ist es nicht zum Lachen, aber für uns Zuschauer.
Wie streng haben Sie sich an Gogols Ur-Vorlage gehalten? Wo gibt es Abweichungen?
Wir sind nicht streng, aber nah an Gogols Vorlage. Man kann das Stück ins heute ziehen, muss man aber nicht, um die Parallelen und die Relevanz zu sehen.
Auf der Homepage des Schauspiels Wuppertal wird das Werk mit dem Slogan „Toll! Neues Geld, neues Glück, wie man sagt“ angekündigt. Wer ist „man“?
„Man“ könnte jeder sein. „Die Leute sagen ...“. „Irgendjemand sagt ...“. Im Unkonkreten verliert sich auch Gogols Stadtgesellschaft. Was „die“ Leute sagen, muss stimmen. Unkonkret sind auch die Figuren selber, so wie Dobtschinskij und Bobtschinkij, die man kaum auseinanderhalten kann. Deswegen spielt jeder im Ensemble abwechselnd diese Rollen. Jeder könnte es sein.
Wie vertraut ist Ihnen eigentlich Wuppertal? Welche Zustände würde ein „Revisor“ oder eine „Revisorin“ dort im Jahr 2023 vorfinden?
Ich glaube, das kann sich jede Stadt selbst beantworten. Sie müsste dafür nur in den Spiegel schauen.
Der Revisor | 11. (P), 12., 18., 25.3., 15., 16.4., 13., 14.5., 10., 16., 17.6. | Opernhaus Wuppertal | 0202 563 76 66
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