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Hyperventilierender Pop

29. Oktober 2015

Artifizielle Klangnetze für eine reiche Gefühlspalette – Kompakt Disk 11/15

Das Geschwisterduo CocoRosie hatte seine zerbrechlichen Popfragmente zuletzt mit viel Elektronik auf ein halbwegs stabiles Fundament gestellt. Auf dem sechsten Album „Heartache City“ geht es zurück in die eigene Vergangenheit, als sie noch als Weirdo Folk gelabelt wurden: Nur noch wenig Electronica trifft auf selbstgebastelte und zweckentfremdete Instrumente, die ein vielteiliges Klanggeflecht entstehen lassen. Der Gesang klingt auch wieder betont brüchig und kindlich. Und die Melodien, die sind nach wie vor der Zuckerguss oben drauf (Selbstverlag). Jono el Grande nennt seine wichtigsten Einflüsse Captain Beefheart und Frank Zappa. Nun, um es kurz zu machen: das glaubt man gerne und das ist auch auf „Melody of a Muddled Mason“, dem sechsten Album des Norwegers, nicht anders. Wobei als Vorbild für seine verspielten Arrangements Zappa ganz klar an erster Stelle steht und neuerdings auch dessen 70er-Jahre-Sound in seiner Musik auftaucht. Epigone? Egal, tolle und sehr abwechslungsreiche Platte (Rune Grammofon).

Als schwuler Transvestit mischt Mykki Blanco die Hip-Hop-Gemeinde auf. Sein Debütalbum erschien im Frühling, nun kommt mit „... presents C-ORE“ die erste Compilation seines Labels Dogfood Music. Die Tracks von Yves Tumor, Violence, PsychoEgyptian und Mykki Blanco stehen zwischen Hip Hop, Grime, Trap, Dubstep und Noise und dröhnen mit voller Wucht aus den Lautsprechern. Sie repräsentieren entgegen des Klischees von Soul, Funk, Rap und R 'n' B eine Black Music, die experimentell und krachig ist und in der Tradition von Dälek oder dem Anti Pop Consortium steht. Oneohtrix Point Never klingt auf „Garden of Delete“ wie das Ziehkind von Aphex Twin, Squarepusher und Otto von Schirach, das in der Großraumdisco Rave und Trap inhaliert hat. Es kann daher kaum verwundern, dass er mit seinem letzten Album bei Warp gelandet ist. Nur klingt Daniel Lopatins Musik noch auskragender als die seiner Kollegen. Mal minimalistisch, mal mit 70's- oder 80's-Touch, mal wie hyperventilierender Pop, mal noisig, mal romantisch und melodiös. Lopatins musikalische Welt scheint kaum Grenzen zu kennen. Und trotz aller Fragmentierung wirkt das im Ganzen stringent. Fantastisch (Warp).

Alexander Hacke hat mit „Krach – Verzerrte Erinnerungen“ seine Autobiografie geschrieben. Und die ist es in der Tat wert, aufgeschrieben zu werden: Mit 14 Jahren schmeißt er die Schule und macht in diversen Bands Musik, darunter den Einstürzenden Neubauten. Kurz darauf ist er mit Christiane F.(elscherinow) liiert, reist mit ihr durch die USA und macht zurück in Berlin noch viel mehr Musik – bis heute. Was aus Schulabbrechern so werden kann – spannend und sympathisch erzählt (Metrolit). Dieselbe Szene hat sich die großartige Dokufiction „B-Movie“ vorgenommen. Der Kinofilm durchstreifte die Subkultur des Berlins der 80er Jahre. Nach dem Kinoerfolg im Frühling hat man nun hastig zur DVD auch Buch und Doppel-CD/LP hinterher geschmissen. Mit dem „B-Book“ ist ein schickes Coffee-Table Buch entstanden, das eine extended Version des Filmtextes und viele zeitgenössische Fotos enthält. Die CD/LP „B Music“ enthält die Musik des Films, was auf Tonträger in seiner kunterbunten Form aber nicht so gut funktioniert wie im Film – daran ändern auch Mark Reeders Interludes nichts. Mit Westbam, Abwärts, Malaria, Ideal, Anne Clark, Joy Division etc. (Edel).

Christian Meyer

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