Es ist kurz vor 19.30 Uhr. Matthias Schriefl hantiert selenruhig an seiner Anlage herum, überprüft die Kabelverbindungen, wackelt an den Anschlüssen, drückt Knöpfe. Nach einer gefühlten Ewigkeit – endlich. Jetzt funktioniert das später sehr wichtige Mikrofon. Matthias Schriefl? Ja, richtig. Etlichen Wuppertalern ist er bestens bekannt, gastierte er doch einmal auf dem über die Landesgrenzen hinaus bekannten ehemaligen Open-Air-Festival Klangart im Skulpturenpark Waldfrieden, wo er mit seiner Band Six, Alps & Jazz eine ausgezeichnete Visitenkarte ablieferte. Dort sorgte er mit seiner siebenköpfigen Bläsertruppe für ein kurzweiliges Spektakel. Nun ist er allein wiedergekommen, oben auf Wuppertals Südhöhe ins Zentrum Emmaus und zeigt erneut auf, dass Musik nicht immer bierernst gepflegt werden muss.
Allein sein clowneskes Outfit macht deutlich, dass Worte und Töne nicht auf die Goldwaage gelegt werden sollten. Er kokettiert mit seiner Vergangenheit, als er in einem „Kuhdorf“ mit seinen damals angeblich 201 Einwohnern im Allgäu aufwuchs, wo es nur zwei Nachnamen gegeben hätte – man schmunzelt im vollen Auditorium. Und schon hat der weit über die Landesgrenzen hochgelobte und mit renommierten Preisen bedachte Jazztrompeter das Publikum auf seiner Seite. Natürlich geht es in diesem Zusammenhang auch musikalisch alpenländisch zu, indem er volksliedhafte Melodien mit einem großen Schalk im Nacken in einen Jazzmantel kleidet. Ebenso muss die karnevaleske Stadt Köln dran glauben, wo er sesshaft ist und die Musik genauso mit Ironie gespickt verjazzt.
Enfant terrible
Schriefl kann aber auch ernste Töne anschlagen. Denn als er klar Stellung zum Krieg Russlands gegen die Ukraine bezieht, ist Schluss mit lustig. Laut seinen Worten liebt er das angegriffene Volk und die Hauptstadt Kiew. Das bringt er mit dem ukrainischen, lyrischen Lied „Yak tebe ne liubyty, Kyieve mii!“ („Wie kann man dich nicht lieben, mein Kiew“), das 2014 zur offiziellen Hymne der Stadt Kiew wurde, zum Ausdruck. Packend singt er es in der Originalsprache. Auch wird seine emotionale Musikalität offensichtlich. Dafür spricht der filigrane Umgang mit dem populären Standard „All The Things You Are”.
Manche bezeichnen Schriefl als Enfant terrible. Das stimmt aber nur ansatzweise. Vielmehr ist er ein musikalischer Hans Dampf in allen Gassen nicht nur mit der Trompete, sondern an diesem Abend auch mit Flügelhorn, Euphonium, Tuba, Alphorn, Akkordeon, Rassel am Bein, gackerndem Moorhuhn und grunzendem Spielzeugschwein namens „Wuppertal“. Sämtliche Instrumente beherrscht er. Seine Spielweise gemahnt an den russischen Jazzmusiker Arkadi Shilkloper, wenn er brillant mit zwei Blasinstrumenten beziehungsweise einem Blasinstrument plus Akkordeon spielt. Auch scheint er von ihm das Verfahren des Overdubbing übernommen zu haben, indem er über einen Sampler Tonsequenzen aufnimmt, sie schichtet, variiert und dazu spielt. Resultat sind etwa Sounds ähnlich eines komplexen Bläserensembles. Auch lagert er einfache und vertrackte Rhythmen übereinander, die zu einem Cluster führen. Laut seiner Anmoderation hat er das Stück auf den Namen „39/8tel-Takt“ getauft.
Wegweisend komponiert
Nach der Pause geht es klassisch-kammermusikalisch zu. Barockmusik wird mit Minimal Musik bzw. dem Genre einfache Musik konfrontiert, solistisch, im Duo und Trio. Dabei handelt es sich um neun Werke unterschiedlichster Couleur, deren reichhaltige Klangbilder zu einem harmonischen Ganzen zusammengefügt werden. Dazu gehören darmbesaitete Geigen, um die Barockmusik aus den Federn von Jean-Marie Leclair und Johann Vierdanck mit ihrem damals viel obertonreicheren Klang als moderne Instrumente zum Schwingen zu bringen. Dafür sorgt da Geigenensemble-„duo micans“. Ebenfalls tief ausgelotet intonieren Lydia Stettinius und Sophia Oertel mit heute gewohnten Geigen Anderson Aldens „ARK“ und Anderson Allens „Hammers“.
Am Marimbaphon glänzt solistisch Salome Amend. Den ersten Satz aus „Glassworks“ von Philipp Glass und die beiden Menuette aus Johann Sebastian Bachs zweiter Cello-Suite gestaltet sie nuanciert und arbeitet Bachs doppeltönige Polyphonie heraus.
Ebenfalls beeindrucken die drei Musikerinnen als harmonisches Trio etwa zum Schluss mit „Pattern Study #2“ von Stacey Bowers. Und bei Arvo Pärts wegweisendem Opus „Fratres“ aus dem Jahr 1977 bringen sie seine von ihm geschaffene Musiksprache zu Gehör, den Tintinnabuli-Stil.
Beide Konzerthälften werden begeistert aufgenommen, wofür der nicht enden wollende Applaus spricht.
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