ZUR
PERSON
Jochen König (35)
ist ausgebildeter Pädagoge und arbeitet als Autor in Berlin. Er hat
bereits mehrere Bücher über das Thema Vaterschaft
geschrieben.
engels: Herr König, Sie leben in einer Familiensituation, die von dem sogenannten traditionellen Familienbild entfernt ist. Wie sieht es bei Ihnen aus?
Jochen König: Ich habe zwei Kinder und lebe mit beiden allein. Die Große kommt aus einer mittlerweile vergangenen Paarbeziehung und lebt seit ihrer Geburt überwiegend bei mir. Die Kleine habe ich gemeinsam mit einem lesbischen Paar. Sie lebt etwa zur Hälfte bei mir und bei den beiden Müttern.
Dass Sie alleinerziehend sind, hat sich also bei Ihrer ersten Tochter aus der Situation heraus ergeben und bei Ihrer zweiten Tochter war es ein ausdrücklicher Wunsch?
Genau, wobei ich mich nicht alleinerziehend nennen würde. Mit diesem Begriff kann ich nicht so viel anfangen, weil ich nicht alleine bin. Natürlich lebe ich mit ihnen alleine, aber die Mütter waren und sind immer da und unterstützen mich – von beiden Töchtern. Beim ersten Kind sind wir in die Situation hereingeschlittert und ich habe ganz bewusst gesagt, dass ich zuhause bleibe, Elternzeit nehme und meine Tochter zu mir zieht. Ich habe gesagt ich möchte mehr für das Kind da sein als 90 Prozent der anderen Männer.
Und bei dem zweiten Kind fungiert das Pärchen sozusagen noch als Elternteil?
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PERSON
Jochen König (35)
ist ausgebildeter Pädagoge und arbeitet als Autor in Berlin. Er hat
bereits mehrere Bücher über das Thema Vaterschaft
geschrieben.
Ja, wir sehen uns als drei gleichberechtigte Elternteile. Das haben wir im Prinzip so verhandelt, auch wenn das rechtlich nicht möglich ist. Vom Gesetz her ist nur eine der beiden Mütter die Mutter und ich der Vater. Aber wir haben besprochen, dass wir keinen Unterschied machen wollen.
Wie häufig kommt das vor, dass Sie Ihre Situation den Menschen so lang und breit erklären müssen wie mir gerade?
Ich gebe im Schnitt ein bis zwei Interviews die Woche – mit Journalisten oder Studenten, die ihre Bachelorarbeit schreiben (lacht). Ansonsten muss ich mich natürlich im Alltag immer wieder erklären. Irgendwann haben es die Leute aus unserem direkten Umfeld aber kapiert – zum Beispiel in der Kita.
Nervt das?
Teils, teils. Einerseits rede ich gerne darüber, finde es auch spannend und höre mir meinerseits auch gern Besonderheiten aus anderen Familien an. Aber klar, manchmal nervt es auch, dass meine Familie als etwas Besonderes herausgegriffen wird.
Vermutlich auch dann, wenn es keine wohlwollende Reaktion darauf gibt. Kommt sowas vor?
Ja, wenn man eigentlich aus der Fragerei heraushört, dass die eigene Familie als das einzig Richtige, Normale angesehen wird – und meine Situation als „aus einer gescheiterten Beziehung entstanden, und dann war der frustriert und wollte noch ein Kind“, oder so. Klar, wenn das aus der Frage deutlich wird, nervt es auf jeden Fall mehr.
Wie nennen Sie Ihre familiäre Situation eigentlich selbst?
Ich würde sagen es hat Aspekte der ganzen Bandbreite von Kategorien, die man aufmachen könnte. Es hat was von der Ein-Eltern-Familie, es hat was von der Patchwork-Familie, weil beide Kinder nicht die gleiche Mutter haben, und es hat was von der Regenbogen-Familie wegen dem lesbischen Paar als Mütter. Es gibt aber auch den Aspekt Co-Eltern-Familie auf freundschaftlicher Basis… ich finde meine Familie zeigt ganz gut, dass solche Kategorien manchmal überhaupt gar keinen Sinn machen, weil Familien einfach viel zu vielfältig sind, um sie in einen einzelnen Begriff zu packen.
Wie funktioniert das Ganze denn gegenüber den Kindern? Gibt es da schon ein Bewusstsein für die Situation?
Ja, total. Die Große ist sieben und die Kleine anderthalb Jahre alt. Wir gehen alle völlig offen mit der Situation um und reden darüber, zumindest schon mal mit der Großen. Für sie ist das völlig normal und sie geht selbstbewusst damit um. Es gibt Momente in denen sie zum Beispiel auf dem Spielplatz gegenüber anderen Kindern damit angibt: „In meiner Familie gibt es mehr Mütter als in deiner!“ Sie sieht den Vorteil und es hat für sie keinerlei Besonderheit in einem negativen Sinne, dass es absurd oder erklärungsbedürftig wäre. Klar gibt es praktische Unterschiede – sie hat zum Beispiel zwei Zimmer, bei ihrer Mutter und bei mir. Aber das stört sie nicht.
Es gibt diese Anekdote, nach der Ihre ältere Tochter irgendwann angefangen hat, Sie „Mama“ zu nennen. Für Männer mit einem traditionellen Familienbild im Kopf wäre das sicher ein haarsträubender Moment.
Ich finde es schräg, dass es für viele Männer das Schlimmste sein kann, irgendwie in die Nähe von Müttern gerückt zu werden. Unter Vätern gibt es ein großes Bedürfnis, den Unterschied zur Mutter zu betonen. Mir war das nicht wichtig. Ich wusste schnell, dass ich in der Rolle bin, in der sich sonst vor allem die Mütter befinden. Dass ich mich vor allem mit Müttern darüber unterhalten kann, wie unausgeschlafen ich bin oder so etwas, weil wir in derselben Lage sind. Ich fand es völlig logisch, dass meine Tochter mich dann auch Mama genannt hat. Als sie damals zwei Jahre alt war, fand ich es auch unsinnig, ihr zu erklären, warum ich Papa genannt werden müsste, wenn ich die gleichen Dinge tue. Sie wollte einfach eine Bezugsperson haben, die Sachen macht, wie sie eine Mama macht, und diese Rolle ausfüllt.
Die Rolle eines Mannes war früher oft die des starken Ernährers. Welche Erwartungen werden heute an einen Mann gestellt?
Klar gibt es noch diese Ernährer-Erwartung. Aber ich denke, dass sich Väter oft in diese Rolle hineinflüchten. Es ist also auch eine ganz gute Ausrede. Es gibt das Phänomen, dass die Gesellschaft den Ernährer super findet, und wenn dann noch dazukommt, dass er sich um die Kinder kümmert, dann ist es aber ganz toll! Sigmar Gabriel wird gefeiert, dass er einmal in der Woche sein Kind vom Kindergarten abholen will (lacht). Das ist völlig absurd. Wenn seine Frau viermal die Woche das Kind abholt, kommt niemand auf die Idee, das in Schlagzeilen hoch zu loben.
Sie haben mal gesagt: „Keine Ahnung, wie sich Männlichkeit anfühlt“. Kümmert sie das überhaupt?
Ich bin schon in dieser Gesellschaft sozialisiert worden und habe solche Prägungen und Rollenerwartungen natürlich auch mitbekommen und bin da nicht frei von. Aber ich nehme das nicht als Einschränkung wahr. Ich habe einfach kein Problem damit, es anders zu machen, so wie ich Lust habe.
Gibt es dafür konkrete Beispiele?
Wahrscheinlich wäre es sowas wie mit dem Kind zuhause zu bleiben. Das habe ich als Mann eher nicht vorgelebt bekommen. Weil ich mich damit beschäftigt habe und weiß, dass das eine Rolle ist, kann ich es verstehen, mache es aber halt anders.
Manche Forscher behaupten, Männer seien in einer Krise. Können Sie das nachvollziehen?
Ich würde sagen, eine gewisse Form von Männlichkeit ist in einer Krise – und ich finde es verdammt gut, dass das so ist. Dass eine traditionelle Männlichkeit von vielen Leuten hinterfragt wird, bietet neue, tolle Möglichkeiten, so zu sein, wie man sein will, und nicht, wie es die Gesellschaft einem vorschreibt. Dazu zählt für mich, immer stark sein zu müssen, keine Schwäche zu zeigen und erfolgreich im Beruf sein zu müssen. Wenn ich das als gesellschaftliches Bild identifizieren kann, habe ich auch kein Problem damit, es anders zu machen. Dann habe ich kein Problem, vor meinen Kindern zu weinen oder meinen Job zu kündigen, um für meine Kinder da zu sein.
Das Männerbild ist auch durch die Emanzipation der Frau ins Wanken geraten. Kann sich ein Mann dadurch mehr zurücklehnen oder gerät er stärker unters Brennglas?
Die Frage ist, was unter zurücklehnen zu verstehen ist. Wenn das bedeutet, dass es nicht das Wichtigste ist, schnell im Job in Führungsposition zu kommen, sondern sich in diesem Sinne zurückzunehmen, dann würde ich zustimmen. Männer sind einfach gefordert, sich zu verändern und ihr Bild von Männlichkeit zu reflektieren. Sie sollten sich fragen, welche Person sie eigentlich sein wollen, und sich nicht darauf ausruhen, dass ihnen jemand eine Richtung vorgibt. Das ist natürlich eine gewisse Arbeit, das passiert nicht von alleine. Von alleine passiert eher ein klassisches Bild von Familie und Männlichkeit. Es gibt eine Studie, nach der sich die Eltern theoretisch die Kinderbetreuung teilen wollen. In der Praxis rutschen die Väter aber nach und nach doch wieder ins klassische Bild des Ernährers. Ich glaube, Männer müssten sich aktiv dagegen wehren – zum Beispiel, bei Abendterminen im Job bereitzustehen.
Bei Ihnen ist das bewusst passiert?
Ja, ich habe mich bewusst dafür entscheiden, für meine Kinder da zu sein. Dafür habe ich gewisse Perspektiven in der beruflichen Karriere sausen lassen. Es geht einfach nicht alles. Manche Leute kriegen das vielleicht hin, aber ich schaffe es nicht, 40 Stunden in der Woche zu arbeiten und gleichzeitig für meine Kinder da zu sein. Da fehlt mir einfach die Energie. Ich habe mich entschieden, im Beruf zurückzustecken, aber dafür etwas zu tun, mit dem ich glücklicher bin.
Braucht es eine Art Emanzipationsbewegung für den Mann, um stärker zu definieren, was einen Mann ausmacht?
Das finde ich total wichtig. Männer sollten kritisch darüber diskutieren, wie sie leben und was sie sein wollen. Klar kenne ich die Anforderungen an Männlichkeit, aber es ist auch in Ordnung, als Vater zu sagen, dass man zuhause bleibt und für seine Kinder da sein will.
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