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Nicht glücklich: Sonja Kirchberger tröstet Meret Becker in „Quellen des Lebens“.
X Verleih

„Ich wurde völlig zugeklebt“

24. Januar 2013

Meret Becker über „Quellen des Lebens“, ihren Regisseur Oskar Roehler und provozierende Themen – Roter Teppich 02/13

Als Tochter des Schauspielerehepaars Monika Hansen und Rolf Becker kam die 1969 geborene Meret Becker schon früh mit der Bühnenluft in Berührung. In den 1990er Jahren hatte sie mit Publikumserfolgen wie „Allein unter Frauen“ und „Kleine Haie“ ihren Durchbruch. Seitdem glänzte die Stieftochter von Otto Sander in zahlreichen anspruchsvollen oder schrägen Rollen, u.a. in „München“, „Mein Führer“ oder „Boxhagener Platz“. In Oskar Roehlers autobiografischem Film „Quellen des Lebens“ ist sie nun als Elisabeth Freytag auf der Leinwand zu sehen.

engels: Frau Becker, ich kannte Sie bislang eher aus selbstbewussten und schrillen Rollen, hat Sie an Elisabeth Freytag in „Quellen des Lebens“ gerade der Gegensatz dazu nun gereizt?
Meret Becker: Das ist ja witzig, dass Sie das so empfinden, denn ich finde eigentlich nicht, dass ich für die selbstbewussten Rollen besetzt werde, sondern eher für diejenigen, die immer am Kämpfen sind. Aber schrill ist Elisabeth Freytag wirklich nicht, das stimmt. Ich habe mir die gar nicht bewusst deswegen ausgesucht, sondern ich bin von Oskar Roehler (dem Regisseur; die Red.) gefragt worden, ob ich mitspielen würde, und da war mir das dann ziemlich Wurscht, was ich bei ihm spielen sollte (lacht). Ich habe einfach ja gesagt.

Elisabeth Freytag ist ja die fiktionalisierte Version von Oskar Roehlers Großmutter. Wie konkret waren denn seine Schauspielanweisungen die Figur betreffend?
Ziemlich konkret! Ich hätte sehr viel ganz anders gemacht, aber bei Oskar versucht man, hinzufühlen und zu erkennen, was er meint. In manchen Dingen geht er äußerst lässig vor, in anderen ist er sehr konkret und aufgeräumt. Man möchte dann auch gerne die Farbe in dem ganzen Konstrukt sein, die er braucht. Denn er ist wirklich wie ein Maler, finde ich. Er muss das tun und muss bestimmte Dinge so und nicht anders erzählen. Das könnte auch kein anderer für ihn tun oder ihm Anweisungen geben, wie etwas auszusehen hat. Das kann eben nur Oskar sagen. Bis auf wenige Ausnahmen macht man das dann eben so, wie er das sagt, und fertig.

Was in diesem Film sicherlich noch extremer als bei anderen gewesen sein dürfte, weil er die meisten Figuren ja mit realen Personen verbindet und eine genaue Vorstellung davon hat, wie diese waren…
Das weiß ich nicht. Ich hatte andererseits auch den Eindruck, dass er mit dieser Situation sehr cool umging. Ich wollte mich einfach darauf einlassen, was mein Regisseur haben wollte. Ob mir das, was ich da mache, am Ende gefällt oder nicht, ob das als richtig oder falsch angesehen wird, wie das aussieht, was ich mache oder dass einige Szenen, in der meine Figur noch jünger war, am Ende aus dem Film rausgefallen sind – das alles war mir egal! Das Gesamtkunstwerk, das Oskar Roehler hier machen musste, – und Kunst kommt von ‚müssen’, wie Schönberg sagt – steht für mich über all diesen Fragen. Dieser Mensch muss einfach Filme machen, und das finde ich ganz toll. Dabei möchte ich sein Spielball sein, alles andere ist mir egal.

Was war das Schwerste daran, die alte Elisabeth zu spielen?
Die Stimme! Die richtige Stimme zu finden, war nicht einfach. Sie durfte nicht zu alt klingen, damit man nicht den Eindruck hat, da spricht eine Hundertzehnjährige (lacht), aber auch nicht zu jung. Je älter die Figur wurde, desto einfacher wurde es dann aber doch für mich. Am Ende ist sie um die 70 Jahre alt, sieht aber aus wie 85, weil die Menschen früher in dem Alter noch älter aussahen. Im Alter von um die sechzig Jahre war es für mich am schwierigsten. Da musste ich ständig ein Mittelmaß finden: Das Gehen ist schon beschwerlich, aber noch nicht zu sehr, und eben vor allem die Stimme. Frauenstimmen gehen, wenn man sich aufregt, tendenziell nach oben. Die Stimme einer Frau um die sechzig geht in den Keller. Die Ruhe dafür muss man sich erst einmal aneignen.

Hinzu kamen sicherlich noch etliche Stunden in der Maske, die nicht weniger anstrengend waren…
Ja, das war total anstrengend, weil man dabei völlig zugeklebt wird. Als Frau mit langen Haaren bekommt man diese, wie man sagt, zunächst ‚geschneckelt’. Darüber wird dann eine Glatze geklebt und dann werden über das ganze Zeug mehrere Schichten künstlicher Hautteile aufgeklebt. Auch die ganze Kinn- und Halspartie bis hin zum Nacken und den Schultern wird zugeklebt – das ist schon krass. Und dann kommt eine Perücke obendrauf (lacht). Bei den Dreharbeiten in Italien in der Sonne war das dann schon sehr unangenehm warm. Aber wenn man alles drauf hat, macht das echt Spaß! Für mich war es toll, solch eine Maske zu bekommen.

Oskar Roehler ist bekannt dafür, häufig mit den gleichen Leuten zu arbeiten. Sie haben nun zum ersten Mal mit ihm gearbeitet. Haben Sie sich gut eingefunden in sein bewährtes Team?
Oskar spricht viele Dinge nicht aus, da muss man eher hinfühlen. Darin sind wir uns etwas ähnlich. Das macht es mitunter anstrengend, wenn man erst versuchen muss, herauszufinden, was gerade gemeint ist. Man muss ihn dann auch in Ruhe lassen, weil er sich so völlig in seine eigene Welt hineinversenkt. Er arbeitet wahnsinnig konzentriert, das ist wirklich toll und hat großen Spaß gemacht. Er verliert sich völlig in seiner Arbeit. Wenn er dürfte, dann würde er gar keine Mittagspause machen. Er würde durcharbeiten und sich und den anderen lediglich mal zwischendurch ein Brötchen kommen lassen. Aber eigentlich geht es bei ihm die ganze Zeit um die Sache, da ist es dann auch relativ still. Es wird wenig rumgeblödelt und man kommt nicht vom Thema ab. Das macht Spaß, denn dabei kommt auch nie Langeweile auf, das gibt’s bei ihm nicht. Er ist ein Besessener.

Gab es denn bei Ihnen zu Hause früher auch Gartenzwerge?
Nein, bei uns gab’s auch keinen Garten (lacht). Nein, ich bin aus einem anderen Haushalt. Oskars Eltern kommen mir bekannter vor als seine Großeltern. Ich hatte eine Oma väterlicherseits, die sah zumindest meiner Figur im Film ein bisschen ähnlich. Aber mit dieser Seite meiner Familie hatte ich schon sehr früh nicht mehr viel zu tun. Das waren die bürgerlichen Großeltern väterlicherseits. Und mütterlicherseits sind es Zigeuner, Künstler, Zirkus- und Varietéleute gewesen, da ging es nicht wie in normalen Familien zu. Da gab’s keinen Garten oder etwas in der Richtung.

Hätten sie denn selbst auch einmal Lust, Ihre eigene Herkunft künstlerisch aufzuarbeiten, wie das Oskar Roehler ja nun schon mehrfach und in verschiedenen Medien getan hat?
Familiengeschichten aufzuarbeiten finde ich generell sehr gesund, weil man dann seine Wurzeln kennt und bestimmte Mechanismen, die sich von Generation zu Generation wiederholen. Mit Mitte 30 beginnt man zu merken, wie groß diese Einflüsse auf das eigene Leben sind und auf das der eigenen Kinder. Dann muss man sich damit beschäftigen, damit man bestimmte Mechanismen aufbrechen kann, die gar nicht unbedingt mit einem selbst zu tun haben. Deswegen finde ich das früher oder später für jeden Menschen wichtig, dass er sich damit auseinandersetzt. In meinem Fall gibt es auch für eine künstlerische Aufarbeitung zu einer Geschichte eine Idee. In welchem Medium das dann sein könnte, weiß ich noch nicht. Ich könnte mir vorstellen, einen Roman zu schreiben, in dem das dann in verfremdeter Form behandelt wird, oder etwas Ähnliches, so genau weiß ich das noch nicht. Es könnte auch ein Hörspiel werden – ich will erst einmal sammeln und danach weitersehen. Ich wollte das früher mal als Dokumentarfilm mit meinem Onkel Jonny Buchardt aufarbeiten, aber der ist dann leider gestorben. Der konnte schön erzählen, denn der war Entertainer.

Demnächst sieht man Sie auch in der Verfilmung von Charlotte Roches Skandalroman „Feuchtgebiete“ – haben Sie immer noch Lust auf provozierende Themen?
Wieso nicht? Alles was nervt und provoziert, ist erst einmal gut. Alles, was hinterfragt und das Denken anregt, ist gut. Ich habe sogar noch eine dritte Romanverfilmung gemacht, die dieses Jahr in die Kinos kommt, „Der Geschmack von Apfelkernen“, das ist auch wieder ein Familienepos.

Gelegentlich arbeiten Sie auch als Synchronsprecherin, insbesondere für Milla Jovovich in den „Resident Evil“-Filmen. Wie ist es dazu gekommen?
Ja, das ist irgendwie so gekommen, das war nie meine Absicht. Ich habe irgendwann mal die Sally Hawkins in dem Film „Wüstenblume“ synchronisiert, das hat mir einen Riesenspaß gemacht. Bei Sally Hawkins habe ich irgendwie so das Gefühl, das ist mein englischer Gegenpart (lacht). Zu Milla Jovovich kam ich über Umwege. Wim Wenders hat mit ihr mal den Film „Million Dollar Hotel“ gemacht, den ich nie gesehen habe – aber damals scheinen wir uns optisch sehr ähnlich gesehen zu haben. Das ist mehreren Menschen aufgefallen, unter anderem auch Bernd Eichinger. Und deswegen hat er mich angefragt, Jovovich in den „Resident Evil“-Filmen zu sprechen. Was ich seither mache und womit ich einen Heidenspaß habe (lacht). Ich habe sie danach auch in anderen Filmen gesprochen, aber ob das jetzt auf ewig so bleibt, weiß ich nicht. „Resident Evil“ macht mir Spaß, das ist schon eine sehr spezielle Art, das zu sprechen, das ist schon sehr lustig. Sowas könnte ich selbst vor der Kamera gar nicht spielen, das gibt’s ja in Deutschland gar nicht, dieses Genre. In Deutschland hat man gar nicht das Geld, so einen Film auf die Beine zu stellen – eigentlich ist es ja ein Computerspiel (lacht).

Interview: Frank Brenner

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