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Hinter Gittern
Foto: Benni Klemann

Klappe zu – geläutert

30. Juni 2016

Die Hälfte der verurteilten Straftäter wird rückfällig – ist der Knast noch zeitgemäß? – THEMA 07/16 FREIHEIT

Es mutet auf den ersten Blick schon ein bisschen seltsam an, wenn man die Seite knast.net besucht. Dort gibt es einen „Hotelführer“, der wie ein Bewertungsportal für Hotels im Internet funktioniert. Die Nutzer, aufgeteilt in Gefangene, Bedienstete oder Angehörige, können Sternchen verteilen und kommentieren. Daraus ergibt sich ein (natürlich subjektiver) Eindruck, wie es in Deutschlands Gefängnissen aussieht. 1995 wurde die Seite von einem ehemaligen Ehrenamtlichen der Justizvollzugsanstalt (JVA) Würzburg gegründet.

Seltsam wirkt die Seite, wenn die Nutzer schreiben, dass sie „U-Haft gebucht“ hatten. Wenn sie sich über das Essen beschweren wie Hotelgäste mit all-Inclusive Urlaub in Cala Ratjada. Die Nutzer senden Grüße an ehemalige Mithäftlinge oder Bedienstete, „ich bin hier ja bekannt“, und vergleichen Gefängnisse miteinander. Es gibt auch die, die wissen, dass die Haft eben kein Urlaub ist: „Knast ist nie schön und soll es nicht sein aber Wuppertal war ganz erträglich (sic!)“ heißt es dann. Damit ist die JVA Simonshöfchen gemeint (Bericht S. 7).

Die Bewertungen für das „Hotel“ in Vohwinkel liegen zwischen „menschenunwürdig“ und „Luxushotel“. Wie bei echten Hotelführern. „Ich hab in der Zeit 4 Gefängnisse von innen gesehen und glaubt mir Wuppertal ist der sauberste und beste davon. Ich saß unter anderem noch in Braunschweig Hannover und Essen (sic!)“, schrieb ein Ex-„Knacki“ 2015. Eine Angehörige, die sich über die schlechte Situation beim Besuch des Vaters mit Kind beschwert, postete 2014 „personlich finde ich das Gefängnis schrecklich (sic!)“. Von Gefangenen bekommt die JVA 2,1 Sterne, von Angehörigen 3,0, und von Bediensteten 3,8.

Das Zuchthaus als Abenteuerurlaub? Die Haft kann Menschen zum Positiven verändern, wenn sie die Zeit nutzen, sich auf die Welt draußen vorzubereiten. Um nicht wieder hinein zu müssen. Letztendlich kommt es wohl darauf an, was jeder Einzelne daraus macht.

Es gibt für beide Seiten prominente Beispiele. 18 Jahre lang war der Südafrikaner Nelson Mandela auf Robben Island vor der Küste Kapstadts eingesperrt. „Während dieser langen, einsamen Jahre wurde aus meinem Hunger nach Freiheit für mein eigenes Volk der Hunger nach Freiheit aller Völker, ob weiß oder schwarz“, schrieb Mandela später. Und legte ein Plädoyer gegen körperliche und geistige Gefängnisse ab: „Ein Mensch, der einem anderen die Freiheit raubt, ist ein Gefangener des Hasses“. Adolf Hitler hingegen schrieb während seines neunmonatigen Aufenthalts im Landsberger Knast den rassistischen Volkstumsschinken „Mein Kampf“. Sein Selbstbewusstsein wurde als „Märtyrer“ gestärkt.

Das Statistische Bundesamt legt Zahlen für Deutschland vor. Insgesamt wurden 2014 748.782 Menschen verurteilt. 110.046 bekamen eine Freiheitsstrafe, davon wiederum 33.444 ohne Bewährung. Im vorvergangenen Jahr wurde also die Bevölkerung einer Mittelstadt (Mettmann: 37.000 Einwohner) hinter Gittern geschickt. Sie kamen in eine der 184 JVAen im Land, die Platz für 75.140 Häftlinge bieten. Zum 30. November 2015 saßen in Nordrhein-Westfalen 15.266, in ganz Deutschland 61.737 Menschen ein.

Ob Gefängnisse noch zeitgemäß sind, darüber läuft die Debatte. Kritiker (wie Werner Nickolai, siehe Interview S. 6) glauben nicht, dass Menschen resozialisiert werden können, indem sie vor der Gesellschaft weggesperrt werden. „Mit der Strafe werden dabei verschiedene Zwecke verfolgt: Sie soll dazu dienen, in einer Art des Ausgleichs Gerechtigkeit wieder herzustellen und auch dazu, andere mögliche Straftäter abzuschrecken. Mit der wichtigste Zweck einer Strafe ist es nach heutigem Verständnis, den Täter davon abzuhalten, erneut straffällig zu werden. Ob dies gelingen kann, ob Strafen also eine spezialpräventive Wirkung haben, ist eine Frage, die Strafrechtswissenschaft wie Kriminalpolitik von jeher begleitet“, schreibt selbst das Bundesjustizministerium.

Messen lässt sich das durch die Rückfallquote, die das Max-Planck-Institut untersucht hat. 2014 wurden die Zeiträume zwischen 2004 und 2010 erforscht. Die Zeit unmittelbar nach der Entlassung gilt als besonders anspruchsvoll. Jeder Dritte (34 Prozent) wird innerhalb von drei Jahren rückfällig und erneut verurteilt, allerdings nur vier Prozent zu einer Freiheitsstrafe. Nach sechs Jahren, so das Institut, seien „44 Prozent mit wenigstens einer erneuten Straftat aufgefallen“. Ein Fazit lautet: „Die zu einer freiheitsentziehenden Sanktion wie Freiheits- und Jugendstrafe ohne Bewährung Verurteilten weisen ein höheres Rückfallrisiko auf als diejenigen mit milderen Sanktionen wie Geldstrafe oder jugendrichterlichen Sanktionen.“ Knast als Chance zur Resozialisierung? Dickes Fragezeichen.


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Aktiv im Thema

www.knast.net | Portal mit „Hotelführer“ deutscher Gefängnisse
www.jva-wuppertal-ronsdorf.nrw.de | HP der JVA Ronsdorf
www.jva-wuppertal-vohwinkel.nrw.de | HP der JVA Simonshöfchen
www.jvs.nrw.de | HP der Justizvollzugsschule
www.knastladen.de | Online-Shop der JVAen in NRW mit Produkten, die hinter Gittern hergestellt wurden

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Florian Schmitz

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