„Das ist doch nur ein Trend, irgendwann isst du schon wieder Fleisch.“ „Das ist doch nur eine Phase.“ „Wenn wir im Sommer grillen, machst du eh wieder mit.“ Vegetarier und Veganer kennen solche Sätze. So oder ähnlich haben schon viele gesprochen, die sich darüber ausgelassen haben, wenn ihre Mitmenschen auf bestimmte Lebensmittel verzichten. Relativ neu im Sortiment der für so manchen Fleischfresser unergründlichen Lebensformen sind die Veganer. Vegetarier kannte man inzwischen in der metzgereigewöhnten Gesellschaft schon ganz gut. Das waren die, die nur Käse oder Müsli statt Schnitzel und Leberwurst essen. Und sie haben aller Unkenrufe zum Trotz sogar überlebt und sind nicht „vom Fleisch gefallen“ – genau wie ihre „jungen Kollegen“, die Veganer.
Dass es irgendwann einmal relativ viele Menschen geben würde, die auch noch auf die Milch fürs Körnerfutter verzichten würden, war lange nicht abzusehen. Und erst recht nicht, dass aus einer von vielen belächelten „Spinnerei“ oder einem „Trend“ eine breite Strömung werden würde, genau wie beim Vegetarismus.
Dabei ist Veganismus bereits mehr als 70 Jahre alt. 1944 gründete Donald Watson in England die Vegan Society, mit der er der Vegetarian Society noch einen draufsetzte. Tatsächlich entstand das Wort vegan als Neuschöpfung aus den ersten und letzten Buchstaben des Wortes „vegeterian“, also hat es seinen Ursprung auch im Vegetarismus. „Veganismus beginnt mit Vegetarismus und führt ihn zu seinem logischen Ende“, begründete Watson seine Erfindung. Ihm erschien es unlogisch, zwar auf Fleisch, nicht aber auf Milch, Käse, Eier oder andere tierische Produkte zu verzichten.
Mittlerweile ist auch dem Mainstream bekannt: „Echte“ Veganer, die aus Tierschutzgründen verzichten, vermeiden es, alle Arten von tierischen Produkten zu sich zu nehmen oder zu kaufen. Dazu gehören auch Produkte, die mithilfe von Tierversuchen hergestellt wurden. Denn Veganismus hat nicht nur mit dem Essen zu tun, sondern greift auch in den Lebensstil hinein. Ledergürtel, -mäntel oder -taschen sind zum Beispiel ebenfalls tabu. Sich vegan zu ernähren kann aber auch andere Gründe haben als die Absicht, Tieren kein Leid zuzufügen und die Umwelt zu schonen. Neben dem Tierschutz geben Veganer oft das verbesserte eigene Wohlbefinden oder gesundheitliche Gründe an.
Wie viele Menschen in Deutschland vegan leben, ist schwer zu sagen. Schätzungen gehen von 400.000 bis zu einer Million Menschen aus. 2012 ermittelte das Portal statista.de, dass 2,8 Prozent der Befragten vegan lebten, 11 Prozent vegetarisch. 2014 hingegen lag das Umfrageergebnis für Veganer bei 0,7 Prozent. Trotzdem hat man das Gefühl, dass diese verhältnismäßig kleine Gruppe Einfluss nehmen kann. Was sich zeigt, ist, dass immer mehr Wirte, Köche und Läden ein Geschäft mit den ehemals belächelten Exoten wittern. Das Umdenken funktionierte wie so häufig über die Kasse. Geht ein Gast, weil er auf der Speisekarte kein vegan zubereitetes Gericht findet, mag der Inhaber noch abwinken. Gehen zehn, wird er sich Gedanken machen. Gehen hundert, steht am nächsten Tag mit Sicherheit etwas Veganes auf der Speisekarte.
So war es vielerorts auch in Wuppertal. Mittlerweile gibt es ein immer größeres Angebot an Restaurants, die vegane Speisen anbieten. Die Liste ist lang. Das Restaurant glücklich, das in Vohwinkel eröffnet wurde und in die Schöne Gasse in Elberfeld umziehen will, ist vermutlich das erste vegetarisch-vegane Restaurant der Stadt. Die Burger-Kette Hans im Glück hat vegane Burger auf der Speisekarte. Die Konditorei La Petite Confiserie backt regelmäßig vegane Kuchen. Das Löschcafé in Unterbarmen weist aus, was ein Veganer genießen kann und was nicht. Im Café Ada treffen sich Veganer monatlich und speisen von einer eigenen Karte.
Christoph Maria Herbst wäre einer, der in seiner Heimatstadt also problemlos überleben könnte. Seit 2013 ist der Wuppertaler Veganer. Bekannt geworden ist Herbst vor allem durch die TV-Serie Stromberg – darin spielt er einen kernigen Versicherungsmann, der mit Sicherheit auch seine Sprüche für fleischlose Esser parat hätte.„Seit einem Jahr ernähre ich mich vegan. Kleinere Zipperlein sind bereits weggegangen, und diese Art der Ernährung macht mich irgendwie leichter“, sagte Herbst der Deutschen Presseagentur. Als Missionar geht der Schauspieler aber nicht voran: „Ich glaube nicht, dass die vegane Ernährung für jeden das Richtige ist“, sagte er.
Und wer sich noch nicht ganz auf Veganismus einlassen will? Der wird einfach Flexitarier oder Flexi-Veganer. Das sind Menschen, die einfach nur weniger Fleisch essen wollen. 2014 sollen das laut Statista-Umfrage acht Prozent der Deutschen gewesen sein. Auch nur ein Trend?
www.peta.de
vebu.de/
www.tierrechte-wuppertal.beimfluss.de
www.animalequality.de/
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