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Foto: Mira Moroz

„Regelschulen dürfen sogenannte Außenseiter nicht mehr aussondern“

27. Februar 2014

Dirk Thierbach zu den Chancen und Risiken der Inklusion – Thema 03/14 Wozu Schule

engels: Herr Thierbach, ist Inklusion eine unrealistische Idee?
Dirk Thierbach: Natürlich nicht, es ist ein richtiges Konzept, dass auch Kinder mit Beeinträchtigungen Regelschulen besuchen können. In der Praxis kann dieses Vorhaben aber nur gelingen, wenn entsprechende materielle und personelle Voraussetzungen erfüllt werden. Wenn ein Kind zum Beispiel mit einer geistigen Behinderung in eine Regelschule gehen soll, so benötigt es ein hohes Maß an sonderpädagogischer Betreuung. Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt werden, atmet das Kind wohl die gleiche Luft wie seine Mitschüler, dem Unterricht folgen kann es dann aber noch lange nicht.

Aber es geht wahrscheinlich nicht nur um die unterschiedliche Art der Wissensvermittlung?

Dirk Thierbach
Foto: Privat
Dirk Thierbach (56) Förderschullehrer an einer privaten Förderschule für Schüler mit dem Förderbedarf Geistige Entwicklung in Wuppertal.

Richtig, Kinder mit Beeinträchtigungen müssen auch sozialpädagogisch betreut werden, damit sie innerhalb des Klassenverbandes integriert sind. Regelschulen müssen so funktionieren, dass sie sogenannte Außenseiter nicht mehr aussondern. Hier wäre noch viel zu tun.

Können Sie sich vorstellen, dass Ihre Schülerinnen und Schüler eine Regelschule besuchen?
Das kann ich mir schwer vorstellen. Unsere Klientel hat einen sehr hohen Förderbedarf. Die Kinder und Jugendlichen haben sowohl Defizite in der geistigen wie in der sozialen und emotionalen Entwicklung. Wir haben ein Lehrer-Schüler-Verhältnis von 1:6 bis 1:4. Eine Regelschule wäre da völlig überfordert. Die Kolleginnen und Kollegen dort sind zudem für diese spezielle Aufgabe gar nicht ausgebildet. Zudem gibt es viele Kinder, die einen sozialen Schonraum benötigen, um sich überhaupt entwickeln zu können.

Gibt es also doch nicht eine Schule für wirklich alle?
Das ist abhängig von dem Maß an Unterstützung. Außerdem stellt sich die Frage, wie sehr die Inklusion in alle Bereiche übertragen wird. In Schweden besuchen ja alle Kinder dasselbe Gebäude. Viele Fächer werden dann aber doch getrennt unterrichtet, nur manche Fächer im Sinne der Inklusion gemeinsam. Die Pläne in NRW sehen aber ganz anders aus. Alle Kinder sind in einem Klassenverband, und für die Kinder mit Beeinträchtigung kommt ein oder zwei Mal in der Woche für ein paar Stunden ein Sonderpädagoge. Unter solchen Bedingungen leiden alle Kinder.

Inklusion ist also ganz schön teuer?
Unter den jetzt veröffentlichten Finanzierungsbedingungen handelt es sich bei den Plänen der Landesregierung eher um Exklusion. Ich befürchte, dass unter dem Deckmantel der Inklusion soziale Leistungen abgebaut werden. Spätestens am Ende der Schulzeit stellt sich zudem die Frage, wie Menschen mit Beeinträchtigungen auf dem Arbeitsmarkt bestehen können, zumal dann, wenn sie mit den Schulabgängern der Regelschule konkurrieren müssen. Ein Inklusion, die diese Realität nicht berücksichtig, muss zwangsläufig abstrakt bleiben und dient nicht dem, was sie sich auf die Fahnen schreibt.

Interview: Lutz Debus

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