engels: Frau Gräsel, hat sich die Institution Schule überlebt?
Cornelia Gräsel: Nein, Schule ist in einer Welt, die immer komplexeres Wissen, immer mehr Kompetenzen, aber eben auch Werte an die nachfolgende Generation vermitteln muss, wichtiger denn je. Es wäre nicht passend, diese Aufgabe allein den Eltern zu überlassen.
Aber sobald ich lesen kann, kann ich doch alles googeln, was ich brauche?
Bloßes Wissen ist tatsächlich inzwischen sehr gut aus dem Internet abrufbar. Die Bewertung von Informationen allerdings ist nach wie vor nötig und nicht durch digitale Medien erreichbar. Ein Verständnis komplizierter Zusammenhänge ist oft nur durch das Gespräch möglich. Kinder und Jugendliche benötigen Hilfe, um eigene Wertmaßstäbe zu entwickeln. Das Internet als Informationsquelle reicht als Schulersatz nicht aus. Das wäre so, als würde man Ihnen ein Plastikbesteck in die Hand geben und Sie auffordern, jemanden damit am offenen Herzen zu operieren.
Schülerinnen und Schüler beschäftigen sich lieber mit Smartphone und Tablet als mit Hausaufgaben. Muss Schule diese Medien mehr einsetzen?
Die Frage, wie intensiv digitale Medien in der Schule genutzt werden sollten, wird von der Fachwelt sehr kontrovers diskutiert. Schon in den 1980er Jahren gab es Projekte des netzbasierten Lernens. Warum sollte der Unterricht nicht im Chatroom stattfinden? Es gibt in der Pädagogik und der Psychologie aber auch eine Fraktion, die die Schule vom Internet von Computer und Internet abgrenzen will. Man wünscht sich eine ruhige Atmosphäre, die nicht ständig gestört wird vom permanenten Mediengedaddel. Ich hingegen glaube, dass die neuen Medien gut in den Unterricht integrierbar sind – allerdings auf der Basis eines guten didaktischen Konzepts. Leider sind nicht längst alle Schulen technisch und personell hinreichend ausgestattet. Es gibt sehr gute Lernprogramme, die allerdings voraussetzen, dass jeder Schüler Zugang zu schnellem Internet und einem modernen Computer hat. Dies ist aber nicht die Realität.
Jugendliche finden den Schulhof sehr viel spannender als den Klassenraum. Kann Schule nicht immer so sein wie Große Pause?
Der Schulhof war schon immer interessanter als der Klassenraum und das ist auch gut so. Kinder und Jugendliche benutzen Schule immer auch als sozialen Raum, in dem sie ihre Kontakte pflegen. Andererseits müssen Kinder und Jugendliche auch lernen, Langeweile zu ertragen, Widerstände abzubauen und auch schon mal ohne Motivation Aufgaben zu erfüllen. Mein Idealbild von Schule beinhaltet nicht, dass die Schülerinnen und Schüler von morgens bis nachmittags mit leuchtenden Augen im Klassenraum sitzen. Schule ist nämlich auch immer Vorbereitung auf nachfolgende Institutionen wie Arbeitswelt, Ausbildung und Studium. Man muss doch auch lernen, mit Demotivation umzugehen.
Ist die Vermittlung sozialer Kompetenzen in den letzten Jahrzehnten wichtiger geworden?
Ja, die Kinder und Jugendlichen sind bezüglich ihrer Voraussetzungen viel heterogener als früher. Ins Gymnasium der 1950er Jahre kamen fast alle SchülerInnen aus der oberen Mittelschicht. Sie hatten alle einen ähnlichen Wissensstand, eine ähnliche Werteerziehung, da konnten viele Dinge vorausgesetzt werden. Die Situation hat sich aber stark geändert. Die Heterogenität an heutigen Schulen möchte ich aber nicht als Verlust sondern als Chance begreifen. Unsere SchülerInnen kommen aus unterschiedlichen Kulturen und Subkulturen und haben unterschiedliche Erfahrungen, die sie auch in die Schule mitbringen. Diese Situation bietet beste Voraussetzungen, Wertemaßstäbe miteinander zu vergleichen, darüber zu sprechen, andere auch in ihrer Andersartigkeit zu verstehen. So kann viel soziale Kompetenz geschaffen werden. Diese Chance sollten wir nutzen und sie wird auch zunehmend genutzt.
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