Nicht für die Schule, für das Leben lerne man, sagte man uns immer. „Und wer mit dem Leben nichts zu tun haben wollte, der ging zurück in die Schule“, zog der Kabarettist Volker Pispers schon vor Jahren über jene Berufsgruppe her, die die Zukunft des Nachwuchses in der Hand hat: die Lehrer. Die Schule als lebensferner Ort. Pispers mahnte aber auch: „Man muss den Lehrer wieder zur Respektsperson machen statt zum Fußabtreter der Nation. Das Studium muss doppelt so schwer sein, so dass sich nicht mehr jedes Würstchen durchmogeln kann.“ Pispers Worte sind nach wie vor Utopie. Lehrer gehören zu den am stärksten vom Burnout bedrohten Berufsgruppen. Wer will bei solchen Aussichten noch Lehrern werden? Und was kommt dabei heraus, wenn man solche Leute in eine Brennpunkt-Schule setzt? Einer aktuellen Studie der Varkey GEMS Stiftung zufolge ist der Beruf nur in Israel, Brasilien, Tschechien, Italien und Japan noch unbeliebter als in Deutschland.
Als Gegenbeispiel bietet sich natürlich Finnland an. Das Land wird im Allgemeinen als „Sieger“ der Pisa-Studien betrachtet und demonstriert real das, was bei Pispers nach wie vor nur ein frommer Wunsch bleibt: Finnische Lehrer sind auch für die unteren Klassenstufen gut ausgebildet und genießen in der Bevölkerung einen sehr guten Ruf. Finnen sehen in den Lehrern einen Schlüssel zur Zukunft. Sie werden aus den besten zehn Prozent eines Jahrgangs in einem umfangreichen Verfahren vor, während und nach dem Studium ausgewählt. Wer dieses Verfahren besteht, dem kann man auch mehr Freiheiten einräumen. Anstatt also die Lehrer in ein enges Lehrplan-Korsett zu zwängen und sie zu Vollstreckern einer Verwaltung zu machen, die politisch motivierte Entscheidungen trifft, dürfen sie als akademische Experten eigene Lehrmaterialien einsetzen und den Unterricht nach ihren eigenen Lehrmethoden gestalten.
Obendrein wird das Bildungswesen von Pädagogen gesteuert. Eine leitende Position im Bildungswesen zu erhalten, ohne zuvor als Lehrer tätig gewesen zu sein, ist schlicht unmöglich. NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann würde diese Bedingung erfüllen – Bundes-Bildungsministerin Johanna Wanka und ihre Vorgängerin Annette Schavan hingegen nicht. Während der ersten sechs Jahre erfolgt für die Schüler noch keine Differenzierung, alle besuchen eine Einheitsschule, danach folgt der Wechsel auf ein Gymnasium oder eine Berufsschule. Aufgrund geringer Migration und geringer sozialer Unterschiede stellt dies in Finnland auch kein Problem dar. Die soziale Bildungsschere wird auch dadurch weiter zusammengeklappt, dass es so gut wie keine Privatschulen gibt. Erst ab Klasse 8 gibt es definitiv eine Benotung. Wettbewerb wird bis dahin somit bewusst ausgeschlossen, die Finnen setzen auf kooperatives Lernen: Ergebnisorientierte Partner- und Gruppenarbeit haben höheren Stellenwert als dröges Büffeln, eigenständig oder im Team suchen die Schüler nach Lösungen. Die Stärkeren stützen die Schwächeren. Die Kinder haben sogar die Wahl, ob sie ihre Hausaufgaben machen oder nicht. Und kaum einer fällt durch. Letztlich tragen aber auch äußere Faktoren zur Motivation der Kinder bei: Wer ins Kino gehen will und sich nicht ausschließlich Filme von Aki Kaurismäki anschauen will, sondern auch jede noch so kommerzielle Ware aus den USA, muss lesen können. Hier wird nichts synchronisiert, alles wird untertitelt.
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