ZUR PERSON: Mina Ahadi (60) ist Mitgründerin und Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime und engagiert sich gegen die Todesstrafe. Seit 1996 lebt die gebürtige Iranerin in Köln.
engels: Frau Ahadi, warum tragen Sie selbst kein Kopftuch?
Mina Ahadi: (lacht) Bei dieser Frage muss ich erst einmal lachen. Ich bin zufällig in eine muslimische Familie im Iran geboren worden. Ich habe selbst gar nicht entschieden, ob und welche Religion ich haben möchte. Moslem zu sein hatte für mich als Mädchen immer mit Problemen zu tun. Ich war noch sehr jung, 14 oder 15 Jahre alt, als ich aufgehört habe zu beten. Das Kopftuch hat mir wehgetan. Mit sieben Jahren sollte ich im Tschador auf die Straße gehen, der ähnlich aussieht wie eine Burka. Wir durften nur die Augen frei haben. Ich habe das damals nicht verstanden, sondern gedacht: Alle sind Moslems – ich bin Moslem. Alle tragen Tschador – ich trage Tschador. Im Laufe der Zeit habe ich andere Möglichkeiten kennengelernt, vor allem, als ich zum Studieren nach Täbriz kam. Meine Kindheit erinnere ich schwarz wie der Tschador, die Zeit danach hingegen sehr farbenfroh. Das Kopftuch wird immer ein Stück Stoff genannt, es ist im Laufe der Zeit in den islamischen Ländern ein sehr wichtiges politisches Symbol geworden. Ich kämpfe jetzt seit 45 Jahren gegen das Kopftuch und habe es nicht mehr getragen, seit ich nach Teheran kam und es dort weggeschmissen habe. Es ist mit vielen Einschränkungen für die Frauenrechte verbunden – deshalb musste ich bei dieser Frage erstmal lachen.
Wie hat Ihre Familie reagiert, als Sie sich vom Kopftuch losgesagt haben?
ZUR PERSON: Mina Ahadi (60) ist Mitgründerin und Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime und engagiert sich gegen die Todesstrafe. Seit 1996 lebt die gebürtige Iranerin in Köln.
Im Islam ist es so, dass man Moslem bleiben muss, sobald man einer ist. Dazu gehören die Rituale, mit denen man jeden Tag zeigt, Moslem zu sein. Fünfmal pro Tag zu beten, das haben wir auch getan, bis ich aufgehört habe. Zuhause sind alle sehr gelassen damit umgegangen. Meine Mutter war nach dem Tod meines Vaters die Hauptperson in der Familie. Sie hat nur gedacht, dass sehr viele junge Leute diese Phase haben. Als ich ohne Tschador auf die Straße gegangen bin, war das in meiner Familie kein Tabuthema. Die Zeit des Schahs war im Iran anders als unter dem islamischen Regime. Wenn man anfängt, das Leben zu genießen, muss man sich unbedingt mit dieser Religion auseinander setzen.
Sie haben von Einschränkungen gesprochen – welche waren das?
Die erste war, dass ich nicht auf der Straße spielen durfte. Ich musste von A nach B gehen, ohne auf der Straße stehen zu bleiben und mit anderen Mädchen zu sprechen. Mein älterer Bruder hat uns kontrolliert. Als Jugendliche wollte ich einen Freund haben. Das war total gefährlich. Meine Mutter hat mich gewarnt, sie hat immer von Ehre gesprochen: „Wenn unsere Ehre verletzt wird, bringt dein Bruder dich um!“
Bedeutete die Verschleierung für Sie, den eigenen Willen aufzugeben?
Ja. Wenn Staatsführer Khomeini gesagt hat, „entweder tragt ihr ein Kopftuch, oder ihr werdet geschlagen“, dann war das wie ein Gefängnis in meinem Kopf. Ein mobiles Gefängnis. Ich musste mir überlegen, ob ich da rein will, oder nicht. Ich hätte nie gedacht, dass das so brutale Konsequenzen haben könnte, wie ich sie erlebt habe.
War das der Grund für Sie, nach Deutschland auszuwandern?
Auch. Ich habe Medizin studiert und stand vor dem Abschluss. Dann kam die Revolution und es wurde gesagt, alle sollten Kopftuch tragen. Ich habe eine Demonstration dagegen organisiert und dort gesprochen. Am nächsten Tag wurde ich an der Universität entlassen. Mein Mann wurde festgenommen und hingerichtet. Daraufhin bin ich über Kurdistan und den Irak nach Wien und anschließend nach Köln geflüchtet.
Sie sind Atheistin. Haben Sie generell das Gefühl, dass es für Frauen in den Weltreligionen schwieriger ist, eigene Entscheidungen zu treffen?
Ich denke Religionen gehören in die Vergangenheit. Fast alle sind frauenfeindlich. Frauen werden oft nicht gleich behandelt. Die Menschen haben dagegen gekämpft, zum Beispiel durch die Aufklärung im Christentum. Dadurch ist es in Deutschland etwas ruhiger, auch wenn die Kirche immer noch sehr viel zu sagen hat. Beim Islam ist das anders – es hat so einen Prozess dort nicht gegeben. Durch das politische Interesse der westlichen Regierungen – die USA wollten eine Verbindung zur Sowjetunion verhindern – ist der Islam eine politische Bewegung geworden, die sehr brutal und frauenfeindlich geworden ist.
Was kann man tun, um Frauen von Unterdrückung zu befreien?
Die Frauen in vielen islamischen Ländern kämpfen schon dagegen. Das wird in Deutschland nicht so oft berichtet. Vieles wird auf die andere Kultur geschoben. Wenn man als Frau jeden Tag im Fernsehen hört, dass Frauen wie ein Esel sind und nichts wert sind, ist das schlimm. Durch die heutigen Möglichkeiten, zu kommunizieren, gibt es eine große Bewegung für Frauenrechte im Iran oder auch in Afghanistan. Wir können diesen Frauen helfen, indem wir über diese Ideologie sprechen, in der Frauen kein Gesicht und keine Stimme haben.
Fürchten Sie, dass sich fremdenfeindliche Menschen Ihr Thema aneignen?
Das ist ein Problem. Ich engagiere mich seit 1996 in Deutschland gegen die Todesstrafe und mich hat nie interessiert, ob die Frau, die im Gefängnis sitzt, eine Muslima ist oder nicht. Mein Problem ist, dass linksorientierte Menschen, die eigentlich Menschenrechte und Gleichberechtigung verteidigen sollten, ein Herz für den politischen Islam haben. Sie empfinden das als Kampf unterdrückter Völker gegen den Imperialismus. Sie ignorieren den Kampf gegen die Steinigung und gegen das Kopftuch. Wir haben uns deshalb an säkulare Organisationen gewendet. Westliche Regierungen haben mit dem Sturz des Schahs einem Monster geholfen, das jetzt nach Europa gekommen ist. Normale Menschen, die das kritisieren, finden hier keine Plattform – nur die rechtsextremistischen Organisationen. Wir müssen aufhören zu verharmlosen, sondern klar über Probleme reden und eine humane Antwort geben, damit wir die Menschen gewinnen, die Sorgen haben.
Spielt Religion in einer idealen Welt für Sie überhaupt eine Rolle?
Ideal wäre für mich, dass es keine Ausbeutung mehr gibt und Menschen machen können, was sie wollen. Ich unterstütze ein laizistisches System. Religion sollte Privatsache sein. Weil ich eine linksorientierte Person bin werde ich oft gefragt, ob ich Religionen vernichten will. Nein – sie sollten nur wie eine Nichtregierungsorganisation agieren und behandelt werden.
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Aktiv im Thema
exmuslime.com | Vereinigung von religionsfreien, säkular denkenden Menschen, die muslimischen Glaubens waren oder als Nicht-MuslimInnen aus einem muslimisch geprägten Land stammen
www.lib-ev.de | Liberal-Islamischer Bund
www.si-wuppertal.de | Soroptimistinnen Wuppertal. Service-Club für Frauen in verantwortlichen Positionen im Berufsleben
fvcourage.de/ | Frauenverband Courage e.V. fördert den Zusammenschluss der Frauen zur Wahrung ihrer Interessen, gesellschaftliche Anerkennung und engagiert sich für die Befreiung der Frau
Thema im November MÄNNERMACHT
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Neue Männlichkeit zwischen Weinen, Wickeln und Weiterentwicklung. Wann ist ein Mann ein Mann? Schreiben Sie uns unter meinung@engels-kultur.de
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