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Unüberbrückbare Differenzen – die Schere zwischen arm&reich, eine Belastung für die ganze Gesellschaft
Foto: Mira Moroz

Schlechte Gesellschaft

19. September 2013

Christoph Butterwegge über Politik und Entpolitisierung – Thema 09/13 Welche Wahl

Herr Butterwegge, nach der letzten Bundestagswahl kam das „Wachstumsbeschleunigungsgesetz". Erwarten Sie heuer einen ähnlichen schwarz-gelben Renner?
Christoph Butterwegge:
Die FDP möchte sicherlich den Solidaritätszuschlag kippen, wenn sie denn kann. Damit würden einmal mehr die Besserverdienenden gefördert. Der Zuschlag – was immer man sonst von ihm halten mag – wird ja auch auf die Kapitalertrags- und die Körperschaftssteuer erhoben. Als soziale Alternative böte sich z.B. die Senkung der Mehrwertsteuer an. Die käme auch Hartz--IV-Empfängern und anderen Bedürftigen zu Gute. Aber das ist von der schwarz-gelben Regierung, wenn sie denn wiedergewählt wird, kaum zu erwarten.

Derzeit wird in einem „Kulturkampf" – so eine CSU-Politikerin – um das sogenannte Betreuungsgeld gestritten.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge
Foto: Raimond Spekking/CC-BY-SA-3.0 (via Wikimedia Commons)
Prof. Dr. Christoph Butterwegge ist Professor für Politikwissenschaft am Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften der Universität zu Köln. Sein Buch „Armut in einem reichen Land“ erscheint im Januar in der dritten Auflage. Mehr unter www.christophbutterwegge.de.

Das ist die unsinnigste Sozialleistung seit dem Mutterkreuz. Einmal, weil diese „Herdprämie" vor allem Frauen mit geringem Einkommen motiviert, zuhause zu bleiben. Dabei ist eine öffentliche Kinderbetreuung gerade für Kinder aus benachteiligten Familien von Vorteil. Zum zweiten, weil es z.B. alleinerziehenden Müttern auf die Hartz-IV-Leistungen angerechnet wird und für sie keine Verbesserungen bringt. Zum Dritten, weil es vor allem an die fließt, denen es relativ gut geht. Zum Teil wird damit auch die private, profitorientierte Kinderbetreuung subventioniert. Das macht die Perversion dieser neuen Sozialleistung besonders deutlich.

Ist dieser andauernde Sozialabbau eine Gefahr für die Demokratie?
Sozial Benachteiligte beteiligen sich kaum noch an Wahlen. Sie sehen keine wirkliche Alternative und verlieren das Vertrauen in die repräsentative Demokratie. Bei der letzten Bundestagswahl lag die Wahlbeteiligung in Köln-Chorweiler bei 43%, die in Hahnwald bei 87%. Inzwischen hat sich die Spaltung noch verschärft. Eine Demokratie, in der sich ein wachsender Teil der Bevölkerung nicht mehr an Wahlen beteiligt, ist zum Sterben verurteilt.

In diesem Zusammenhang fällt stets das Stichwort Postdemokratie.
Ich halte den Begriff für unglücklich, aber was Colin Crouch an Analyse bietet, deckt sich im Wesentlichen mit dem, was auch ich kritisiere. Zunehmend wird Demokratie zur Fassade. Nicht mehr die BürgerInnen als Gleiche unter Gleichen entscheiden, sondern die großen Konzerne, die Banken, die großen Versicherungsgesellschaften. Was bleibt, ist eine Zuschauerdemokratie.

Sie schreiben, es stehe auch die Entscheidung an, in welcher Gesellschaft wir leben wollen.
Eine Perspektive, die kaum mit der Bundestagswahl zu verbinden ist. Diese wirkt eher entpolitisierend, was insbesondere mit dem „Wahlkampf" der Volksparteien zusammenhängt. Die Kanzlerin tritt sehr präsidial auf und vermeidet jede Polarisierung. Der Kanzlerkandidat der SPD gilt als Mann des großen Geldes und kann schlecht eine Partei der kleinen Leute vertreten. Das alles frustriert viele Menschen. Sie haben das Gefühl, durch Wählen sowieso nichts ändern zu können.

Bleiben gesellschaftliche Initiativen und das sogenannte bürgerschaftliche Engagement?
Die etablierten Parteien sind offensichtlich für eine andere gesellschaftliche Weichenstellung nichtkompetent genug. Sie betreiben – bei durchaus vorhandenen Unterschieden – im Grundsatz nur Krisenmanagement ohne gesellschaftliche Alternativen aufzuzeigen. Deshalb sind zivilgesellschaftliches Engagement und außerparlamentarischer Druck zunehmend wichtig. Die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, kann man ganz unterschiedlich beantworten. Der Mut, das aus- und anzusprechen, fehlt der Regierungspolitik allerdings zunehmend.

Interview: Wolfgang Hippe

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