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Strömen, fließen, zerfleddern

25. Juni 2015

Musikalische Neuheiten aus Afrika, Syrien, der Karibik und dem Traumland – Kompakt Disk 07/15

Sleep ist das Soloprojekt des Ja, Panik-Sängers Andreas Spechtl. Auf dem gleichnamigen, somnambulen Debütalbum widmet er sich mit eleganten Songs zwischen 80er-Jahre-Pop, Dub und Elektronischem dem Schlaf und dem Traum. Ein schönes, zartes Nachtschattengewächs, bei dem man gerne auch mal einschlafen darf (Staatsakt). Jaakko Eino Kalevi schläft zwar nicht im selben Bett, aber immerhin im selben Zimmer: Die 80er-Reminiszenzen sind bei dem Finnen sehr präsent, sein weichgezeichneter Pop erforscht, was man denn noch alles revivaln darf und geht dabei sehr weit. Die musikalische Dringlichkeit eines Ariel Pink oder John Maus, das machen zu müssen, erreicht er allerdings kaum (Weird World). Auch der Franzose Chassol, der u.a. mit Phoenix und Sebastien Tellier zusammengearbeitet hat, scheint in einem traumhaften Zwischenreich gelandet zu sein: Mit „Big Sun“ widmet er sich seiner karibischen Herkunft Martinique. Ausgestattet mit unzähligen Fieldrecordings von einer Reise – Gespräche, Gesänge, allerlei Geräusche vom Vogelzwitschern bis zu Straßenlärm – hat er mit Piano, Schlagzeug, Synthesizern und vielen anderen Sounds eine Art Symphonie entworfen, die bei aller Vertracktheit einen eleganten 70‘s-Flair verströmt (Tricatel).

Beatbastler Hudson Mohawke veröffentlicht mit „Lantern“ sein zweites Album. Dass er inzwischen auch alle möglichen Popgrößen produziert hat, merkt man dem Album an, das wie verhedderter Mainstream klingt. Daneben gibt es auch orchestrale Bombast-Orgien oder experimentellere Tracks. Das Ganze zerfleddert zwischen diesen Polen, und mit den abgesehen von Anthony Hagherty eher gewöhnlichen Gastsängern wird es irgendwie keine runde Sache (Warp). Felix Laband hat zehn Jahre lang keine Musik gemacht, nun kehrt der südafrikanische Elektroniker mit dem Album „Deaf Safari“ zurück, das gleichermaßen von der Faszination des südafrikanischen Kwaito House und dem gesprochenen Wort beeinflusst ist. Denn die oft zehnminütigen, von afrikanischer Melodik durchdrungenen Stücke sind durchzogen mit Sprachsamples aus Funk und Fernsehen, verströmen bei aller sozialkritischen Ambition Ruhe und Gelassenheit (Compost).

Shangaan Electro ist die superschnelle Kreuzung aus südafrikanischer Folklore, Kwaito House und EDM. Jetzt erscheint auf Warp das Album „Nozinja Lodge“ des Genre-Gründungsvaters Nozinja. Hier flirren die trippelnden Sounds wild umher, wie sonst nur noch beim Chicagoer Footwork, dessen Tanzstil auch an die Shangaan-Tänzer erinnert. Hochgepeitschte und verzerrte Vocals ergänzen den aufreibenden Sound. Nozinja hat Fans von Villalobos über Theo Parrish bis Caribou, scheint nach vielen Remix-Tracks sein Album aber selber produziert zu haben. Der Sänger Omar Souleyman ist noch so eine Erscheinung, die von westlichen Elektronikern mit offenen Armen empfangen wurde. Seine ebenfalls superschnellen, wilden Synthie-Tracks für Hochzeiten und andere Feiern klingen rau und im besten Sinne cheap. Das neue Album „Bahdeni Nami“ habe nun Leute wie Four Tet, Gilles Peterson oder Modeselektor produziert. Glücklicherweise verlieren die arabesken Stücke aber nicht ihren rauen, ungehobelten Charakter (Monkeytown). Pat Thomas war schon in den 60er Jahren neben Ebo Taylor der bedeutendste Highlife-Musiker in Ghana. Sein geschmeidiger Gesang ist auch auf seinem neuen Album, das er mit der Kwashibu Area Band in Ghana und Berlin aufgenommen hat, von zarter Schönheit. Tony Allen steuert hier und da das federnde Schlagzeug bei und Ebo Taylor half bei den Bläserarrangements der angenehm fließenden Stücke (Strut).


CHRISTIAN MEYER

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