„Überstaatliche Initiative zur Besteuerung multinationaler Unternehmen“
27. April 2017
Foresight-Expertin Cornelia Daheim über die Zukunft der Arbeit – Thema 05/17 Arbeitsglück
engels: Frau Daheim, in den letzten Jahrzehnten scheint sich auf dem Arbeitsmarkt eine gewisse Kontinuität eingestellt zu haben. Die 40-Stunden-Woche gibt es bereits seit den 1960er Jahren, den klassischen Bürojob mindestens genauso lange. Warum sollte sich nun bis zum Jahr 2050 alles auf den Kopf stellen? Cornelia Daheim: Wir erleben gerade eine nie dagewesene technologische Entwicklung. Viel mehr als die viel beschworene Digitalisierung. Es geht um ganz neue Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz, der weltweiten Vernetzung und dezentralen Produktionsmöglichkeiten und die Synergien zwischen diesen Technologien. Diese Entwicklungen werden unweigerlich zu großen Umwälzungen auf dem globalen Arbeitsmarkt führen. Eine Konsequenz daraus kann tatsächlich sein, die Wochenarbeitszeit zu senken, weil es einfach nicht mehr so viel Arbeit gibt. Ich erlebe aber jetzt schon einen Arbeitsmarkt, der stark im Wandel ist: Flexible Arbeitszeiten und Teilzeitmodelle werden immer populärer. Work-Life-Balance und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind für Berufseinsteiger heute immer wichtiger. Und außerhalb von Deutschland sind diese Entwicklungen teilweise noch weiter fortgeschritten. In Schweden wird ein junger Vater zum Beispiel schief angeschaut, wenn er um 16 Uhr noch im Büro sitzt, statt bei seiner Familie zu sein.
Dennoch: Der Karrieregedanke scheint in den letzten Jahrzehnten eher zugenommen zu haben. Immer mehr Menschen definieren sich über ihren Job. Das klingt nicht so als würden sie in näherer Zukunft freiwillig weniger arbeiten, um die vorhandene Arbeit gerechter zu verteilen.
Cornelia Daheim
Foto:
Arnd Drifte
Zur
Person: Cornelia Daheim (44) ist Zukunftsforscherin und Gründerin von Future
Impacts Consulting. Sie berät zahlreiche Unternehmen und
Institutionen in Zukunftsfragen und war als Autorin an der
internationalen Studie „2050: Die Zukunft der Arbeit“ beteiligt.
Diese Wahrnehmung hängt damit zusammen, dass die Debatte im Moment noch von einer Generation geprägt wird, für die es wichtig war, „sich beruflich etwas aufzubauen“. Bei den jungen Menschen, die jetzt ins Arbeitsleben einsteigen, erlebe ich aber teilweise ganz andere Motivationen: Gehe ich einer sinnvollen Tätigkeit nach? Bleibt mir genug Zeit für die Familie und die Freizeit? Vielen jungen Menschen geht es nicht mehr nur ums Geldverdienen und die klassische Karriere.
In der Studie „2050: Die Zukunft der Arbeit“, in der Sie eine der beiden Autorinnen sind, sprechen Sie von einer globalen Arbeitslosigkeit, die bald schon dauerhaft bei über 20 Prozent liegt. Ist das auch ein bisschen ein Horrorszenario, um politisches Gehör zu finden? Uns geht es ja gerade darum, kein Horrorszenario zu zeichnen, sondern im Gegenteil auf die Chancen aufmerksam zu machen, die daraus entstehen, wenn wir weniger arbeiten müssen. Außerdem wollen wir die Gerechtigkeitsfrage stellen, wie wir dann unseren Wohlstand verteilen sollen.
Welche konkreten Vorschläge haben Sie? Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens ist in vielen Überlegungen zentral. Auch Umverteilungen mittels einer Robotersteuer werden zunehmend diskutiert. Es gibt da ganz interessante Modelle: Beispielsweise die Überlegung, dass die Lastwagenfahrer, die ihren Job verlieren, weil bald autonome Systeme die LKWs lenken, über Aktienfonds an den Gewinnen der Anbieter von autonomen Fahrsystemen beteiligt werden.
In Deutschland erleben wir, dass Menschen, die von Hartz IV leben (immerhin etwa neun Prozent der Gesamtbevölkerung), stigmatisiert werden, auch wenn der Staat eine gewisse finanzielle Grundversorgung garantiert. Wird das mit einem bedingungslosen Grundeinkommen oder anderen Umverteilungsmechanismen für Menschen ohne Job so viel anders sein? Das ist zumindest unsere Hoffnung. Zum einen entfällt für die Antragssteller der häufig demütige Gang durch die Behörden. Gleichzeitig ändert sich mit dem Grundeinkommen aber auch das Selbstverständnis von Arbeit. Arbeit ist dann nicht mehr zwingend ein Mittel zum Geldverdienen, sondern eine Möglichkeit der Selbstverwirklichung. Bei Experimenten, in denen ein bedingungsloses Grundeinkommen verlost wurde, haben die Gewinner mit dem Geld plötzlich ganz tolle Projekte auf die Beine gestellt.
Aber manche Jobs muss es doch auch in Zukunft geben: Ärzte, Lehrer, Altenpfleger. Ja, Jobs in denen Empathie gefragt ist, können nicht so einfach durch Maschinen ersetzt werden. Aber so befremdlich es uns vorkommt, auch hier spielen Computer und Vernetzung eine immer stärkere Rolle: Ärzte verbringen zum Beispiel viel Zeit mit schriftlichen Dokumentationen. Vieles davon könnte ihnen schon bald eine künstliche Intelligenz abnehmen.
In der Studie „Arbeit 2050“ sprechen Sie von vielen zusätzlichen Jobs, die bald entstehen können. Zum Beispiel Beschäftigungsbeschaffer oder Metaversum-Hausmeister. Was kann man sich darunter vorstellen? Beschäftigungsbeschaffer werden in Zukunft Menschen Möglichkeiten aufzeigen, sich sinnvoll zu betätigen. Man muss sich das so vorstellen: Die Menschen werden in Zukunft nicht mehr so viel Zeit mit ihrer „eigentlichen Arbeit“ verbringen, sondern zusätzlich nach Möglichkeiten suchen, sich sinnvoll in die Gesellschaft einzubringen. Zum Beispiel ehrenamtlich. Da helfen die Beschäftigungsbeschaffer. Metaversum-Hausmeister werden sich in diesen neuen Formen des globalen Zusammenlebens um die digitale Infrastruktur kümmern und beim Aufbau von Netzwerken behilflich sein.
Glauben Sie wirklich, dass diese Jobs kommen werden? Warum nicht? Der Wandel geht schnell. Vor zehn Jahren hätte auch noch niemand etwas mit dem Satz anzufangen gewusst: „Meine Tochter ist Social-Media-Managerin.“
In Ihrer Studie ist auch von 3D-Druckern und dezentralen Produktionsformen die Rede. Kann es sein, dass ein Weltkonzern, sagen wir mal Volkswagen mit immerhin 350.000 Mitarbeitern, verschwindet, weil plötzlich irgendwelche Start-ups in Schwellenländern mit 3D-Druckern Elektromobile produzieren, die viel billiger sind als unsere klassischen industriell gefertigten Autos? Das ist zumindest ein Szenario. Wobei diese Dezentralisierung auch viele Chancen bietet. Allerdings erleben wir ja gerade eher, dass an die Stelle der klassischen Industriekonzerne neue multinationale Unternehmen wie Amazon und facebook treten. Diese Unternehmen haben teilweise eine noch größere Marktmacht, beschäftigen aber viel weniger Mitarbeiter. Gerade deshalb ist es wichtig, diese Firmen viel stärker in die Pflicht zu nehmen, wenn es darum geht, unseren Wohlstand gerechter zu verteilen.
Ist das denn realistisch? Im Moment erleben wir doch genau das Gegenteil. Trotz exorbitanter Gewinne leisten Unternehmen wie Apple oder Amazon nicht mehr Abgaben für das Gemeinwohl. Nein, sie bezahlen so gut wie gar keine Steuern. Das ist in der Tat ein Problem, das wir nur mit einer globalen Anstrengung angehen können. Langfristig kann ich mir aber durchaus vorstellen, dass es eine überstaatliche Initiative zur Besteuerung von multinationalen Unternehmen gibt. Es gibt ja durchaus historische Vorbilder: Wer hätte zum Beispiel vor 80 Jahren gedacht, dass es einmal einen globalen Standard für Menschenrechte gibt?
Am Ende des Gesprächs noch eine persönliche Frage: Welche Vision haben Sie selbst für die Arbeitswelt im Jahr 2050? Ich hoffe, dass immer mehr Menschen den Weg in sinnstiftende Tätigkeiten finden werden: Beispielsweise Lösungen gegen den Klimawandel entwickeln oder die globale Ungerechtigkeit angehen. Arbeit sollte den Menschen mehr bedeuten als Geld zu verdienen und Karriere zu machen.
Mehr zu Cornelia Daheim: future-impacts.de | Hoch spezialisiertes Consulting Team rund um Cornelia Daheim, das Foresight-Projekte für Unternehmen und Organisationen realisiert
www.bertelsmann-stiftung.de | Die internationale Delphi-Studie: „2050: Zukunft der Arbeit“ kann Online als Pdf heruntergeladen werden newworkexperience.xing.com | Wie sieht die Arbeit der Zukunft aus? Der Zukunftskongress des Online-Karrierenetzwerks Xing versucht, diese Frage zu beantworten millennium-project.org | Projekt, das sich mit der Zukunft der Menschheit beschäftigt. Wie sieht sie aus? Wie kann sie möglichst gut gestaltet werden? zukunftsinstitut.de | Institut zu europäischer Trend- und Zukunftsforschung: Welche Entwicklungen prägen die Gegenwart, welche Rückschlüsse lassen sich daraus für Kommendes ziehen?
Thema im Juni: TIERISCH GUT Wir lieben Tiere. Und wir essen sie. Zu Hause, in der Mast, im Zoo – geht das auch artgerecht? Wie heißt Ihr Haustier und warum? Schreiben Sie uns unter meinung@engels-kultur.de
Interview: David Fleschen
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.