Was macht die Arbeit der Zukunft aus? Glaubt man dem Zukunftskongress „New Work Experience“ des Karrierenetzwerks Xing, dann lautet die Antwort: Kreative Energie. Denn während der Rotstift der Digitalisierung bald wohl auch vor hochqualifizierten Tätigkeiten nicht mehr halt machen wird, dürften intelligente Maschinen auch in Zukunft an Kreativität und Empathie scheitern. Immer wieder ist auf dem New Work-Kongress deshalb von den Erfolgsstories der kreativen Start-Ups und von der vermeintlichen Hippness einer neuen Unternehmenskultur die Rede. „Open Space, Kollaboration, Empowerment und flache Hierarchien sind hier keine Buzzwords“, werden zwei Führungskräfte eines Kosmetikherstellers in unfreiwillig selbstentlarvender Offenheit zitiert.
Man kann diese Vorstellung konsequent finden. Im Zuge einer immer effizienteren Produktionsweise haben Menschen schließlich immer wieder Möglichkeiten gefunden, sich zu beschäftigen, wenn ihre Arbeit an anderer Stelle nicht mehr gebraucht wurde–und dabei häufig mehr Wohlstand für alle geschaffen. Warum sollte es jetzt anders sein? Während die Produktion von Waren zunehmend automatisiert wird, gibt es immer mehr Menschen, die sich zu diesen Waren anderweitig einbringen: Unternehmensberater, die mit hübschen Powerpoint-Präsentationen um die Welt düsen, Eventmanager, die ausgefallene Vermarktungsideen ausklügeln, Horden von Kreativen, die mit ihren Video- und Webdesigns dem Kunden immer näher kommen, Investmentbanker, die an zunehmend abstrakteren Finanzprodukten basteln und Anwaltskanzleien, die an Rechtsstreitigkeiten rund um Großprojekte wie den Berliner Flughafen über Jahrzehnte gutes Geld verdienen können. Und weil diese Arbeit in Zukunft immer weniger mit den Produkten an sich, dafür aber viel mit einem gemeinsamen esprit de corps zu tun hat, wandeln sich die Unternehmen von mächtigen Hierarchieinstitutionen in Kumpelbuden mit Wohlfühlecken, Teamevents und Casual-Fridays.
Diese Vision hat allerdings zwei Denkfehler: Zum einen unterschätzt sie den Ausmaß des digitalen Wandels. Mit der Finanzmarktkrise haben sich 2008 erstmals die Grenzen unserer selbstgedachten Wohlstandsblase gezeigt. Von den USA bis Griechenland: Nur langsam erholt sich der Arbeitsmarkt von dieser ersten Schockwelle, die man als direkte Folge der Turbodigitalisierung auf den Finanzmärkten sehen kann. Der zweite Denkfehler liegt in der modernen Arbeitswelt an sich: Denn während die Digitalisierung den Druck erhöht, überhaupt einen dauerhaften Arbeitsplatz zu finden, wird dieser immer mehr zum identitätsstiftenden Element. Zahlreiche Social-Media-Profile–von Facebook über Xing bis LinkedIn–auf denen die aktuelle Arbeitsstelle oft eine zentrale Position einnimmt, spiegeln das ganz gut wider. Unter diesen Rahmenbedingungen ist die gelebte Teamkultur, die vielen modernen Unternehmen heute so wichtig ist, oft nicht mehr als eine Farce und ein subtiles Mittel des Drucks, das Mitarbeiter unbewusst zu Aktionen zwingt, die vor zwanzig Jahren noch verpönt waren: E-Mails weit nach Feierabend schreiben, die Kinder viel länger in der KiTa lassen als es das gute Gewissen erlaubt, häufige Wohnortwechsel.
Konsequenterweise wird auf dem New Work Experience-Kongress dann auch nicht die eigentlich naheliegende Frage „Wie werden wir sicherstellen, dass auch in Zukunft alle Arbeit haben werden?“ gestellt. Stattdessen liegt der Fokus auf der Work-Life-Balance und dem Karrierestreben jedes Einzelnen. Tenor: Wer auf der Strecke bleibt, ist selber schuld.
Dabei gibt es durchaus Ansätze, wie sich der Wohlstand, den die immer effizientere Arbeitswelt schafft, gerechter verteilen lässt. 20-Stunden-Wochen und bedingungsloses Grundeinkommen gelten in diesem Kontext inzwischen längst als grundsätzlich finanzierbare Modelle. Auch Automatisierungsdividenden (in der aktuellen Debatte oft plakativ Robotersteuer genannt) und die Idee, durch staatlich kontrollierte Aktienfonds die exorbitanten Gewinne mancher Unternehmensbranchen wieder an die Allgemeinheit zurück zu verteilen, werden zunehmend populär.
Dabei können die geänderten Organisationsstrukturen in den Unternehmen dann durchaus wieder eine Rolle spielen. Die Digitalisierung erlaubt nämlich die zunehmend dezentrale Organisation von Unternehmensbereichen. Und diese autonomen Einheiten, das ist die Hoffnung mancher Forscher, könnten in Zukunft der Schlüssel sein, um Unternehmen grundsätzlich zu transformieren: Von hierarchiegetriebenen Vehikeln des Kapitalismus zu sinnvollen Bausteinen einer zunehmend am Gemeinwohl orientierten Wirtschafsform.
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