Es kommt nicht selten vor, dass ich zum Kühlschrank gehe und Opfer meiner eigenen Erwartungen werde. Das liegt nicht daran, dass ich mehr erhoffe, als drin ist. Mein Problem liegt in den drei kleinen Zahlen. Meistens sind sie irgendwo aufgedruckt, „siehe Lasche“, „siehe Boden“, siehe Deckel“. Als Konsument von Frischkäse, Joghurt, Fleischwurst oder Lachs gebe ich zu: Ich achte auf das Mindesthaltbarkeitsdatum. Zu unangenehm ist das Gefühl, wegen Magenproblemen nicht einsatzfähig zu sein, weil sich Bakterien und Schimmelpilze in alten Lebensmitteln wohlfühlen. Dabei weiß ich, dass die Sorge nicht immer berechtigt ist. Das musste ich aber erst lernen. Mittlerweile probiere ich, was abgelaufen ist, und siehe da – nicht alles musste wirklich weg, und was noch geschmeckt hat, hat bisher noch nie meinen Magen umgeschmissen.
Die Sache fängt natürlich viel früher an als mit dem Moment, in dem der Mülleimerdeckel hochgeht. Im Hunger den Wagen durch die Warengassen geschoben, zu viel mitgenommen für die nächsten Wochen, oder aus Bequemlichkeit auswärts gegessen, obwohl noch genug zuhause gewesen wäre – irgendwann kommt die Kühlschrank-Inventur, und es wird weggeschmissen.
Was die Sache nicht besser macht: Ich scheine mit diesen Problemen in Deutschland nicht allein zu sein. Der aid Infodienst wird vom Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft gefördert. Der Dienst schätzt, dass jedes Jahr mehr als zehn Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden. Das sind stolze 40 Milliarden Joghurtbecher. Die kann ich nicht alleine weggeworfen haben, geben Sie es zu. Und es geht dabei auch nicht nur um das Gefühl, hungernden Menschen etwas weggenommen zu haben. „Die Vernichtung von Nahrungsmitteln ist nicht nur ein ethisches, sondern auch ein ökologisches Problem. Immerhin werden sowohl für die Produktion als auch für die Vernichtung von Waren Energie und Wasser benötigt. Mit jedem Nahrungsmittel, das unnötig im Müll landet, werden also auch wertvolle Umweltressourcen verschwendet und es landet überflüssiges Kohlendioxid in der Atmosphäre“, schreibt der aid auf seiner Webseite. Schmeiß’ den Joghurt weg und du bist Menschenfeind, Energieverschwender, Umweltverschmutzer. Eine stolze Hypothek. Aber jeder kann eben bei sich selbst anfangen. Mein erster Vorschlag für eine bessere Müllbilanz: Doppel-P, Planen und Probieren. Man muss nicht alles sofort kaufen und nicht alles wegschmeißen.
Beim Thema Lebensmittel stellt sich auch noch eine andere Frage: Ist das, was wir zu uns nehmen, immer so gut für uns? Manchmal bleibt nicht die Zeit, um sich an das frische und vermutlich gesündere Selberkochen zu machen. Und dann mutiert der Chefkoch in mir doch nur zum einfachen Konsumenten. Dabei ist die Sehnsucht groß, jede Mahlzeit nicht hastig zwischendurch verschlingen zu müssen, sondern in Ruhe und Gelassenheit die eigenhändig ausgewählten, geschälten und verarbeiteten Speisen so zu würdigen, wie sie es wert wären.
Und gesund sollen sie sein. Bei der Recherche zu diesem Artikel habe ich sie alle gelesen, die Überschriften, die uns fragen lassen, ob wirklich alles auf unserem Teller so toll ist: „Jeder zweite Deutsche ist zu dick“, „Übergewicht kostet Millionen“, „Weltgesundheitsorganisation WHO bemängelt ungesunde Ernährung vieler Menschen“, „Schlechte Noten für Schulessen“. Und was sagt es über unsere Essgewohnheiten, wenn auf Platz zwei der meistgekauften Lebensmittel mit 40,1 Prozent die Tafel Schokolade steht? Das hat das Statistische Bundesamt in einer Umfrage herausgefunden. Die Befragten sollten beantworten, was sie in den vergangenen 14 Tagen eingekauft haben. Auf Platz eins stehen übrigens Nudeln und Teigwaren (48,6 Prozent). Biologisch angebautes Gemüse, Obst und Salat landen auf Platz sieben (28,8 Prozent). Hinter Knabbergebäck, Keksen, Fleisch und Fisch aus der Tiefkühltruhe sowie Tiefkühlgemüse.
Herzlichen Glückwunsch, sagen auch die Krankenkassen. Forscher der UNO-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft haben errechnet, dass die jährlichen Kosten durch falsche Ernährung und daraus resultierendem Übergewicht weltweit bei 3,5 Billionen Dollar liegen. Ich quäle Sie jetzt nicht damit, wie viele Joghurtbecher man davon kaufen könnte, sondern mache einen zweiten Vorschlag. Achten wir doch einfach beim nächsten Einkauf darauf, dass die Schokolade nicht auf Platz zwei landet. Auch wenn es manchmal weh tut. Und wer weniger ungesunde Lebensmittel kauft, hat mehr Geld für gesundes Essen. Wie sagte neulich eine Frau, die mir telefonierend im Luisenviertel entgegen kam? „So einen Salat wie ich ihn gerade gegessen habe, hast du in deinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Und für nur 4,50 Euro.“ Ich hoffe er hat auch geschmeckt.
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