Es ist 18.59 Uhr, mein Magen murrt, müde schlappe ich durch die noch immer winterkalten Straßen zur Tramhaltestelle. Nur noch eine Straßenecke, denke ich, dort wartet schon der Schlund der Untergrundstation. Im Jambus hopse ich die Treppenstufen hinab, denke bereits an die restliche Lasagne, die im Kühlschrank auf mich wartet, und mit ihr mein weiches Bett, wohlverdient nach dem langen Arbeitstag.
Siedend heiß
Am Gleis angekommen schlägt mir die gähnende Leere des U-Bahn-Schachts entgegen. Niemand wartet auf verspätete Bahnen, niemand tapst rastlos telefonierend knapp hinter der weißen Sicherheitslinie entlang, niemand sitzt auf den in die Wand eingelassenen grünen Metallklappstühlen und starrt gelangweilt aufs Handy. Und niemand hängt horizontal in trunkenem Schlaf in einer kaltgefliesten Ecke. Nicht ein einziger Mensch an diesem unterirdischen Ort, der doch dafür entworfen wurde, Menschen auszuspucken, ankommen zu lassen oder von hier fort zu transportieren. Der ohne Menschen plötzlich so zweckbefreit, so trostlos, so entfremdet wirkt.
Mein Blick wandert hoch zur Anzeigetafel, die, bis auf den traurig rotierenden Satz am unteren Rand, schwarz bleibt. Am 27.3. streikt die KVB ganztags. Bis um 3 Uhr des darauffolgenden Tages kein Bahnverkehr. Siedend heiß fällt mir der Streik wieder ein, der heute ganztags durch die City wütet – ganz vergessen hatte ich den. Ich checke meine Nahverkehrs-App, nur zur Sicherheit – auch hier steht fett und rot HEUTE STREIK.
Ultrapeinlich
Es ist 19.13 Uhr, als ich die Stufen der Haltestelle wieder nach oben klettere und mich oben entgegen meiner Erwartungen die noch immer hellen Straßen empfangen. Aus Frust öffne ich Instagram, scrolle wahllos umher und stoße dabei auf einen Post zum Streik, der dazu aufruft, die Beschäftigten zu unterstützen. Der ins Gedächtnis ruft, dass höhere Löhne und eine bessere öffentliche Daseinsvorsorge uns alle betreffen. Meine Gedanken fangen an zu rattern. In den nächsten Minuten bin ich dabei, großflächig den Hintergrund des Streiks von ver.di und EVG zu recherchieren. Beginne, mich mit den Streikenden zu identifizieren und spüre, wie die anfängliche Wut sich in Milde und Verständnis verwandelt. Wie Empörung den Hunger in den Hintergrund treibt. Wie mir das Wissen, jetzt nach Hause laufen zu müssen, plötzlich gar nicht mehr so viel ausmacht, weil die Empathie für die Streikenden, gegen unfaire Löhne, gegen Ausgebranntsein, mich antreibt. Auch, weil es sich gut anfühlt, sich nach dem langen Tag im Büro ein klitzekleines bisschen körperlich zu betätigen, kein Uber zu rufen, niemanden zu bitten, mich abzuholen. Und erst recht fühlt es sich gut an, mich gegen einen dieser ultrapeinlichen E-Scooter zu entscheiden.
VERKEHRSWEGE - Aktiv im Thema
fahrradklima-test.adfc.de/ergebnisse | Wer wissen will, wie fahrradfreundlich deutsche Städte sind, kann die interaktive Karte des ADFC zu Rate ziehen.
radkomm.de | Der „Think Tank für urbane nachhaltige Mobilität und Stadtentwicklung“ will zugunsten des Fuß- und Fahradverkehrs den Autoverkehr eindämmen.
changing-cities.org | Die „unabhängige Bewegung für die bessere Stadt“ setzt sich für eine bessere Mobilität, besonders fürs Fahrrad, ein.
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