Die Kinder, sie machen’s richtig. Wahrscheinlich, weil sie es nicht anders können, aber wenn man es sich überlegt, ist es richtig so, dass wir sie da kurzhalten, denn andernfalls würden sie – sie sind ja auch nur Menschen, bloß eben klein und genauso dumm – die gleichen Fehler begehen wie die Erwachsenen. Sie, die Kinder, erkunden ihre Umgebung zu Fuß.
Stellen Sie sich vor, Ihre Eltern sind zu irgendeinem öden Geburtstag eingeladen und Sie als Knirps bzw. Knirpsette müssen eben mit. Während die Erwachsenen fantasielose Erwachsenendinge tun, gehen Sie hinaus in die Welt. Sie erkunden den Garten, das Viertel oder den nahegelegenen Birkenwald, der das alte Stellwerk überwuchert. Nun stellen Sie sich vor, Sie sind zu einem langweiligen Geburtstag eingeladen, können aber nicht das verbotene Emscherufer erkunden, weil Sie einer der Erwachsenen sind. Ihre Option ist die Hoffnung, sich möglichst früh in eine Bar oder in eine Disko zu verdünnisieren. Die sind aber wahrscheinlich beide in der nächsten Stadt, also muss man da auch mit dem Auto, Taxi, Zug hin.
Brechende Äste
Während der Erwachsene also einen, maximal zwei Orte an einem Abend sieht, tut sich dem Kinde ein ganzer Kosmos auf. Wer hat wohl mehr über Gravitation gelernt, als der Ast unter den Füßen wegbrach? Wer hat wohl mehr profunde Kenntnis über die Nachbarschaftsverhältnisse in der drögen Reihenhaussiedlung des langweiligen Gastgebers erworben? Wer hat wohl mehr Spritzbesteck in den Fuß gestochen bekommen? Okay, der letzte Punkt kann auch an die Erwachsenen gehen, je nachdem, was für einen Club sie aufgesucht haben.
Jedenfalls sollte klar sein, dass der Mensch, der sich ohne Hilfsmittel fortbewegt, mehr von seiner Umwelt wahrnimmt als der motorisierte. Ein Hoch auf die Fußläufigkeit! Es gibt einen Ort in jeder US-amerikanischen Stadt, in der der Kapitalismus selbst über Faulheit siegt: die Mall. Ein großes Gebäude mit einem noch größeren Parkplatz, zu dem man mit dem Auto fährt, um dann zu Fuß einzukaufen. Denn vom Auto aus schaufensterbummelt es sich schlecht.
Wurden Sie auch schon mal nach einer bestimmten Adresse gefragt (kommt dank allgegenwärtiger Navigationssysteme immer seltener vor), und Ihre Antwort lautete: „Tut mir leid, das weiß ich nicht“, gefolgt von dem peinlichen Gedanken „Und dabei wohne ich hier schon seit drei Jahren“? Ihre ehrliche Antwort über den Wissensstand zu Ihrer Nachbarschaft sollte lauten: Ich parke hier nur!
Ich parke hier nur
Warum schicken wir unsere Kinder denn Kippen, pardon, Brötchen holen? Nicht, weil wir zu beschäftigt sind mit ganz wichtigen Erwachsenendingen, sondern weil es einfach zu mühsam wäre, dreihundert Meter zum Auto zu laufen, zweihundert Meter zum Automaten, pardon, Bäcker zu fahren, nur um dann festzustellen, dass irgendwer uns in der Zwischenzeit unseren Parkplatz weggenommen hat, so dass wir am Ende noch mal vierhundert Meter laufen müssen. Mit dem Auto zu fahren ist nicht per se schlecht. Aber wenn der Supermarkt dank Spazierwegen und Parks zu Fuß schneller zu erreichen ist als mit dem Wagen, dann ist das eben noch besser. Besser für unseren Körper, unseren Geist und unser Klima.
Unsere Innenstädte bestehen zum Glück nicht, wie etwa die von Atlanta, Georgia, USA, zu 25 Prozent aus Parkplätzen, und unsere Gehwege sind auch keine Hindernisparcours wie jene in kaukasischen Kleinstädten. Aber seit wann orientieren wir uns nach unten? 94 Prozent aller Pariser haben eine boulangerie, also eine Bäckerei, in fünf Minuten Fußweg erreichbar. Und bei uns schwinden ordentliche Bäckereien!
VERKEHRSWEGE - Aktiv im Thema
fahrradklima-test.adfc.de/ergebnisse | Wer wissen will, wie fahrradfreundlich deutsche Städte sind, kann die interaktive Karte des ADFC zu Rate ziehen.
radkomm.de | Der „Think Tank für urbane nachhaltige Mobilität und Stadtentwicklung“ will zugunsten des Fuß- und Fahradverkehrs den Autoverkehr eindämmen.
changing-cities.org | Die „unabhängige Bewegung für die bessere Stadt“ setzt sich für eine bessere Mobilität, besonders fürs Fahrrad, ein.
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