Ja, es gibt Idioten auf Fahrrädern. Aber Idioten gibt’s überall. Will man also das Für und Wider von Fortbewegungsmitteln ausloten, gilt es nicht, Hahnenkämpfe mobiler Zeitgenoss:innen zu untersuchen, sondern das, was den Menschen von A nach B bringt. Und was den Unterschied für Mensch und Klima ausmacht, wenn man eigene Kalorien verbrennt statt Treibstoff: Wer läuft, der schont sowohl Ressourcen als auch die Umwelt und kommt nicht weit. Wer radelt, schont Ressourcen und die Umwelt und kommt weiter. Wer ein Verbrennerauto fährt, kommt ungleich schneller ungleich weiter, verbraucht ordentlich Ressourcen, belastet die Umwelt. Und er bugsiert stets ein Mehrgewicht von zwei Tonnen mit sich herum. Letzteres gilt auch für Elektroautos. Auch da macht es also Sinn, nicht allein zu fahren, aber erzähl mal den Verkehrsteilnehmer:innen, was Sinn macht. Auf der Autobahn rechts zu fahren, zum Beispiel. Deshalb bringt es auch nichts, wenn Super-Wissing Autobahnen von vier auf acht Spuren erweitert – weil sich dann sowieso wieder alle Pkw nur auf den vier linken Spuren drängeln.
Politische Brunft
Nein, natürlich haben Personenkraftwagen eine Daseinsberechtigung, SUVs ausgeschlossen. Bei Schnittmengen aber, sprich: bis zu einem gewissen Bewegungsradius, stellt ein Fahrrad eine prima Alternative dar. Relevanteste Schnittmenge dürfte die Stadt sein. Es hat lang gedauert, doch Fahrradfahren gewinnt innerhalb größerer Ortschaften tatsächlich schleichend an Attraktivität. Statt, wie mancherorts beantragt, alle Parkplätze SUV-gerechter zu verbreitern (völlig irre!), sehen wir auch jenseits der Fahrradstadt Münster zunehmend breite Fahrradstreifen auf den Hauptstraßen, es gibt Fahrradstraßen, den Radlern werden Einbahnstraßen in beiden Fahrtrichtungen eröffnet und und und. By the way: Eine fahrradfreundliche Stadt benötigt auch mehr Fahrradparkplätze, und zwar solche, an denen man nicht nur seinen Vorderreifen, sondern sein Fahrrad anschließen kann. Danke.
Dass in pedaler Mobilmache grundsätzlich mehr geht, demonstrieren andere Länder längst. Aber wir sind ja dankbar, wenn überhaupt etwas in Bewegung kommt in unserem Autoland. Denn so vernünftig das Strampeln – für Bedürftige gar mit E-Unterstützung – ist: Das Zweirad hat noch immer einen schweren Stand. Zum einen ist das Auto des Deutschen liebstes Kind. Statussymbol. Wohlstandssymbol. Heimatsymbol. Zum anderen ist der Deutsche träges Gewohnheitstier und eher bequemlich als beweglich. Vor allem aber verkörpert der Verbrennermotor für Lindnermenschen Sexyness. Wenn der Motor röhrt, werden männliche Spieltriebe und Brunftmechanismen geweckt, da setzen Moral, Vernunft und politische Verantwortung aus.
James Bond radelt auch
Ja, das Fahrrad braucht den Imagebooster: Biken ist das neue Sexy! Der Weg dahin ist steinig und reicht bis in den kulturellen Sektor: Haben Sie James Bond schon einmal Fahrrad fahren gesehen? Tatsächlich saß 007 in über sechzig Jahren nur einmal auf dem Radsattel: In „Sag niemals nie“, und dort auch nur zur Tarnung. Umkehrschluss: Wer Fahrrad fährt, ist kein James Bond! Um zu sehen, inwiefern das Umdenken angekommen ist, braucht man also bloß ins Kino zu gehen: Spätestens, wenn James Bond dem Gegner zu Fahrrad auf die Pelle rückt, ist es geschafft! Dann fährt Lindner zu seiner nächsten Hochzeit auf dem Tandem und Wissing vervierfacht innerorts Fahrradspuren. Bis dahin schauen wir zuversichtlich in die Zukunft, in der Verbrennerautos nur noch da röhren werden, wo sie hingehören: auf der Leinwand.
VERKEHRSWEGE - Aktiv im Thema
fahrradklima-test.adfc.de/ergebnisse | Wer wissen will, wie fahrradfreundlich deutsche Städte sind, kann die interaktive Karte des ADFC zu Rate ziehen.
radkomm.de | Der „Think Tank für urbane nachhaltige Mobilität und Stadtentwicklung“ will zugunsten des Fuß- und Fahradverkehrs den Autoverkehr eindämmen.
changing-cities.org | Die „unabhängige Bewegung für die bessere Stadt“ setzt sich für eine bessere Mobilität, besonders fürs Fahrrad, ein.
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Einbahnstraße, bitte wenden!
Intro – Verkehrswege
„Alle wollen jetzt Radverkehrskonzepte“
Verkehrsexperte Peter Gwiasda über Radfahren in und außerhalb der Stadt – Teil 1: Interview
Angstfreie Radwege
Aus der Arbeit von Fahrradstadt Wuppertal e.V. – Teil 1: Lokale Initiativen
Mercedes oder per pedes?
Lob des Zufußgehens – Teil 2: Leitartikel
„Warum sollten Fußgänger auf Autos Rücksicht nehmen?“
Stadtplaner Helge Hillnhütter über gute Fußwege – Teil 2: Interview
Für die Rechte der Fußgänger
Kölns Initiative Fuss e.V. – Teil 2: Lokale Initiativen
Vorwärts nimmer, rückwärts immer
Verkehrswende in die Vergangenheit mit der FDP – Teil 3: Leitartikel
„Es ist absurd, zu meinen, das Auto wäre alternativlos“
Architekt Philipp Oswalt über die Verkehrswende im ländlichen Raum – Teil 3: Interview
ÖPNV für alle Menschen
Die Bochumer Initiative Stadt für Alle – Teil 3: Lokale Initiativen
Das Null-Euro-Ticket
Wie kostenloser Nahverkehr funktioniert – Europa-Vorbild Luxemburg
Zu Fuß zur Gerechtigkeit
Von Bahnen, die nicht fahren – Glosse
Glücklich erinnert
Teil 1: Leitartikel – Wir brauchen Erinnerungen, um gut zu leben und gut zusammenzuleben
Aus Alt mach Neu
Teil 2: Leitartikel – (Pop-)Kultur als Spiel mit Vergangenheit und Gegenwart
Nostalgie ist kein Zukunftskonzept
Teil 3: Leitartikel – Die Politik Ludwig Erhards taugt nicht, um gegenwärtige Krisen zu bewältigen
Das Spiel mit der Metapher
Teil 1: Leitartikel – Was uns Brettspiele übers Leben verraten
Es sind bloß Spiele
Teil 2: Leitartikel – Videospiele können überwältigen. Wir sind ihnen aber nicht ausgeliefert.
Werben fürs Sterben
Teil 3: Leitartikel – Zum Deal zwischen Borussia Dortmund und Rheinmetall
Paradigmenwechsel oder Papiertiger?
Teil 1: Leitartikel – Das EU-Lieferkettengesetz macht vieles gut. Zweifel bleiben.
Demokratischer Bettvorleger
Teil 2: Leitartikel – Warum das EU-Parlament kaum etwas zu sagen hat
Europäische Verheißung
Teil 3: Leitartikel – Auf der Suche nach Europa in Georgien
Stimmen des Untergangs
Teil 1: Leitartikel – Allen internationalen Vereinbarungen zum Trotz: Unsere Lebensweise vernichtet Lebensgrundlagen
Friede den Ozeanen
Teil 2: Leitartikel – Meeresschutz vor dem Durchbruch?
Vom Mythos zur Mülldeponie
Teil 3: Leitartikel – Wie der Mensch das Meer unterwarf
Maßgeschneiderte Hilfe
Teil 1: Leitartikel – Gegen häusliche Gewalt braucht es mehr als politische Programme
Zu Staatsfeinden erklärt
Teil 2: Leitartikel – Der Streit über Jugendgewalt ist rassistisch aufgeladen