Moritz Freiherr Knigge (46) ist Autor und Inhaber einer Agentur in Düsseldorf. Er berät in Fragen rund um gutes Benehmen.
engels: Herr Knigge, Sie sind Fachmann für die Netiquette, also das gute Benehmen im Internet. Schütteln Sie häufig den Kopf, wenn Sie online sind?
Moritz Freiherr Knigge: Reflexartig geschieht das. Aber eine meiner Grundphilosophien ist es, Gelassenheit zu bewahren. Gelassenheit eröffnet Möglichkeiten, egal ob analog oder digital. Deshalb vergesse ich das schnell wieder. Es ist aber genau das Problem, dass sich im Internet viele Leute gegenseitig anstacheln. Sie schreiben aus der Aufregung heraus.
Das heißt, eine gewisse Ruhe gehört zu gutem Benehmen dazu?
Moritz Freiherr Knigge (46) ist Autor und Inhaber einer Agentur in Düsseldorf. Er berät in Fragen rund um gutes Benehmen.
Das halte ich für existenziell. Ich bin der Meinung, dass die Affekte der Todfeind der Höflichkeit sind. Wenn Sie sich aufregen, ist es nicht mehr möglich, höflich zu reagieren.
Ist es besser, auszuschalten, wenn man sich im Netz über irgendetwas aufgeregt hat?
Das muss man gar nicht. Man sollte anfangen, sich selbst besser kennenzulernen. Wenn man ein Gefühl dafür entwickelt hat, wann man ärgerlich wird, schickt man gewisse Dinge nicht mehr ab. Gerade beim E-Mail-Verkehr rate ich: Antworten Sie mal in einer Situation der Aufregung auf eine Mail und speichern Sie sie ab, ohne sie zu verschicken. Wenn sie sich beruhigt haben, fällt vielen Leuten erst auf, wie sehr die Kommunikation durch den Ärger beeinflusst wird. Meistens wird die E-Mail bei kühlem Kopf wieder gelöscht.
Warum vergessen Menschen im Netz manchmal übliche Verhaltensformen?
Dadurch, dass es kein lebendiges Gegenüber gibt, das eine Reaktion zeigt, vergessen sich die Menschen in ihrer Wut. Wenn sie alleine vor dem Computer sitzen, gibt es keinen Kontrollmechanismus mehr. Sie meinen dann, sie könnten ihren Frust einfach mal herausschießen.
Ist Anonymität ein Faktor? Andererseits schreiben viele Menschen zum Beispiel bei Facebook mit ihrem Klarnamen.
Das Argument der Anonymität wird ja oft gebracht. Ich glaube, selbst dem Letzten muss inzwischen klar sein, dass es Anonymität im Internet nicht gibt. Wenn es tatsächlich so kriminell wird, dass Staatsorgane nachforschen, bleibt keiner mehr anonym. Ich glaube, bei den meisten ist es tatsächlich ein Reflex – Ärger, der raus muss. In Deutschland gilt oft das Diktum „Ich bin doch nur ehrlich“. Ich frage mich, warum Menschen ihre Meinung zur absoluten Wahrheit machen, und das als Ehrlichkeit verkaufen.
Was sind Ihre drei wichtigsten Verhaltenstipps für Internetnutzer?
Wie bei allem, was man schriftlich tut, sollte man das Geschriebene zunächst noch einmal prüfen, bevor man es online stellt oder abschickt. Dann sollte sich jeder darüber bewusst sein, dass alles, was im Internet stattfindet, sehr affektiert ist. Man sollte sich nicht zu sehr darüber aufregen, was andere im Netz hinterlassen. Und sich selbst hinterfragen. Vielleicht auch mal mit jemandem darüber reden, bevor man etwas schreibt.
Und in Sachen Höflichkeit? Gelten für das Internet die gleichen Umgangsformen wie in der Offline-Kommunikation?
Ich rate bei allem Schriftlichen dazu, eine klassische Briefform einzuhalten, wenn man die Leute nicht gut kennt. Bei Freunden ist das irgendwann nicht mehr ganz notwendig. Ich bekomme selbst teilweise Anfragen, die eigentlich keine mehr sind: Ohne Gruß, ohne nette Frage – einfach „Wie habe ich denn das jetzt zu machen?“. Das erstaunt mich schon. Auf angemessene Anschreiben reagieren Menschen natürlich lieber.
Wie können Menschen reagieren, die angegriffen werden?
Unterschiedlich. Teilweise gibt es richtiges Mobbing. Wenn es kriminell wird, muss man sehen, in welchem Rahmen die Reaktion stattfindet. Eine Reaktion kann auch unvernünftig sein. Deshalb sollte man, wie gesagt, nicht aus dem Affekt heraus reagieren. Oft reicht es, gar nicht zu reagieren. Das kenne ich aus Schulzeiten: Ein Mitschüler hat sich über Angriffe unserer Klassenkameraden geärgert. Zu Angriffen gehören aber immer zwei. Wenn er nicht reagiert hätte, wäre es den anderen langweilig geworden.
Haben Sie noch Hoffnung, dass sich das Internet auf Ihre Art und Weise sanft befrieden lässt?
Ich habe generell eine sehr positive Sicht auf die Menschen. Es passieren immer wieder Dinge, die nicht gut sind. Aber das hat eben auch mit fehlender Gelassenheit zu tun. Es gibt ein passendes Grundprinzip, und das heißt „Es ist unhöflich, sich überhaupt Unhöflichkeit anzunehmen“. Es wird nie so sein, dass alle nett sind und alles schön ist. Den Hort des Friedens wird es nicht geben. Dazu ist Kommunikation zu vielfältig und es wird immer Missverständnisse geben – egal ob klassisch oder im Netz.
Thema Smartphone: Hat die Technik die Menschen unaufmerksamer gemacht?
In manchen Bereichen schon. Wenn ich mit dem Zug reise, habe ich das Gefühl, ich muss auf dem Bahnsteig Slalom laufen, weil alle nur noch auf ihr Telefon gucken. Es wird gefährlich, wenn Menschen im Straßenverkehr unaufmerksam sind. Anstrengend wird es, wenn andere durch lautes Sprechen oder Musikhören eingeschränkt werden.
Müssen wir uns daran gewöhnen oder können wir den anderen auf sein Fehlverhalten aufmerksam machen?
Ich glaube das ist möglich. Extrem wichtig ist allerdings der Tonfall und wie man es tut. Bei Vorwürfen neigen Menschen dazu, aggressiv zu reagieren, weil sie sich bevormundet fühlen. Ein Lächeln kann bei der Ansprache helfen.
Aktiv im Thema
www.freiherr-knigge.de | Webseite von Benimm-Berater Moritz Freiherr Knigge
www.bündnis-gegen-cybermobbing.de | Verein Bündnis gegen Cybermobbing
www.bka.de | Das Bundeskriminalamt bietet Infos zu Internetkriminalität
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