Die 1972 in Berlin geborene Nicolette Krebitz steht bereits seit ihrem zehnten Lebensjahr vor der Kamera. Einen Karriereschub erlebte sie 1997 mit „Bandits“, in dem sie nicht nur mitspielte, sondern auch selbst komponierte Lieder sang. Als Darstellerin pendelte sie daraufhin zwischen Kino („Fandango“, „Die Männer ihrer Majestät“) und Fernsehen („Der Tunnel“), legte mit „Jeans“ und „Das Herz ist ein dunkler Wald“ beeindruckende Regiearbeiten vor. In „Unter dir die Stadt“ spielt sie nun die Frau eines Bankers, die mit dessen arrogantem Chef eine Affäre eingeht.
engels: Frau Krebitz, „Unter Dir die Stadt“ lief im Wettbewerb in Cannes. Sie waren damals mit dabei, was war das für Sie für eine Erfahrung?
Nicolette Krebitz: Das war aufregend und spannend, denn ich bin zuvor noch nie dort gewesen. Aber am Ende war es dann doch so, wie es immer ist: Filmleute ähneln sich, egal in welchem Land. In Cannes sind es einfach wahnsinnig viele auf einem Haufen. Der Filmverkauf läuft dort von morgens um sieben Uhr bis nachts um zwei Uhr, das läuft selbst auf einer Party alles total professionell. Also nicht so lustig wie Berlin.
Haben Sie den Eindruck, dass Filme der Berliner Schule im Ausland besser oder anders wahrgenommen werden als hierzulande?
Es gibt zwar einige Regisseure wie beispielsweise Christian Petzold, die auch hier ihr Publikum gefunden haben. Es handelt sich aber immer noch um eine relativ bescheidene Menge an Menschen, die diese Filme tatsächlich im Kino sieht. In Frankreich gibt es eine andere Kinokultur. Die Filme dort binden das Publikum noch ein in die Entscheidungsfindung, was einem dieser Film sagen will. Für die Franzosen ist es normaler, sich selbst die Bedeutungen zu erschließen. Sie gehen gern wach ins Kino und lesen dort Zeichen und versteckte Dinge. Anschließend gehen sie dann zusammen essen und unterhalten sich über den Film. Das ist Teil ihrer Kultur. Bei uns wird Kino mehr und mehr zu einer Art Unterhaltungsmaschinerie. Autorenfilmer oder eben auch die Berliner Schule kämpfen dagegen an und versuchen, ihre Filmsprache deutlicher werden zu lassen und auch ihre politische Gesinnung in ihre Filme einfließen zu lassen.
Roland Cordes in „Unter dir die Stadt“ ist eine sehr arrogante Figur. Was glauben Sie, fasziniert Svenja dann letztlich doch an ihm?
Ich glaube, dass Svenja zu dem Zeitpunkt, zu dem sie sich auf ihn einlässt, psychologisch schon in einer schwächeren Position ist und sich auch von ihrem Mann allein gelassen fühlt. Sie ist an einem Erschöpfungspunkt in ihrem Leben angekommen. Sie ist nun in einem Alter, in dem sie sich darüber klar werden will, was sie von ihrem Leben erwartet. Wird sie zur Frau eines „hohen Tiers“, die sich zum Beispiel auf Charity-Veranstaltungen tummelt, wird sie Mutter oder will sie ihren eigenen Beruf wieder in die Hand nehmen? Bei dieser Entscheidungsfindung wird sie von ihrem Mann eher allein gelassen. Und dieser Cordes ist mit seinen Angeboten an sie sehr dominant. In ihr lauert auch eine zerstörerische Energie. Dass sie sich auf ihn einlässt, hat damit meiner Meinung nach etwas zu tun – sie selbst, ihr ganzes Schiff, will ins Wanken gebracht werden. In manchen Momenten bringt es einem ja auch etwas, ganz unglücklich zu sein, um endlich etwas zu verändern.
Frankfurt spielt im Film fast eine eigene Rolle. Was wäre denn „Ihre“ Stadt?
Meine Stadt ist Berlin, da bin ich geboren. Eine Faszination für eine Stadt zu haben oder einen Ort, wo man meint, dass das, was einen fasziniert, irgendwie repräsentiert wird, gibt es für mich privat natürlich auch. Ich liebe London, dort bin ich wahnsinnig gerne. Dort wollte ich immer hinziehen, aber es hat nie geklappt. Das hat sich immer zerschlagen, kurz bevor ich es fast getan hätte.
Nachdem Sie in den letzten Jahren auch selbst als Regisseurin arbeiteten, haben Sie nun das Bedürfnis, auch unter anderen Regisseuren ein stückweit mitzureden?
Nein. Man hat schon als Schauspieler genug zu tun, das ist kompliziert genug. Außerdem ist Christoph Hochhäusler ein Regisseur, den ich so verehre und respektiere, dass ich mir gar nicht erlauben würde, irgendetwas dazu zu sagen, was er da macht. Ich möchte lieber herausfinden, was er von mir möchte und wie ich das hinbekommen kann. Wenn jetzt bei einem Dreh alles drunter und drüber gehen würde, wenn der Verschluss noch auf dem Objektiv der Kamera sitzen würde oder so, dann würde ich mich eventuell zu Wort melden. Aber wahrscheinlich würde ich mich auch dann eher darüber amüsieren, als einzuschreiten.
Hatten Sie Probleme mit dem Dreh der Nacktszenen?
Ich hatte noch nie vorher Nacktszenen gedreht, jedenfalls nicht so. Die Entscheidung dazu musste im Vorfeld getroffen werden. Macht man es oder macht man es nicht. Christoph war es wichtig, ich konnte verstehen warum, nachdem er es mir erklärt hatte. Christophs Idee war es, dieser kalten Finanzwelt und den Büroräumen durch diese Nacktheit etwas entgegen zu setzen. Dadurch wird auch die Verletzlichkeit meiner Figur sichtbar gemacht. In den Liebesszenen hingegen wollten wir, dass beide angezogen sind, weil das immer eher kurze, atemlose Begegnungen sein sollten. Ich weiß nicht, ob dieses Konzept aufgegangen ist, aber ich finde es nicht schlimm, dass ich diese Nacktszenen hatte, denn für Christoph Hochhäusler bin ich gerne nackt (lacht).
Wie ist denn heute Ihr Verhältnis zur Musik, die ja in „Bandits“ eine ganz wichtige Rolle gespielt hat, ein Film, bei dem Sie auch selbst musikalisch aktiv waren?
Ich mache noch immer dann und wann Musik, aber eher hobbymäßig.
Könnten Sie sich vorstellen, vielleicht auch bei einem eigenen Projekt als Regisseurin mal wieder im Film Musik zu machen?
Einen Musikfilm kann ich mir nicht so vorstellen, aber Musik für einen Film zu machen schon.
Gibt es schon ein neues Regieprojekt?
Ich habe die erste Fassung meines neuen Buches vor Weihnachten fertig geschrieben und bin gerade auf der Suche nach Partnern, nach einem Produzenten für meinen neuen Film. Ich hoffe, dass ich ihn im Winter drehen kann.
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